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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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zu verstehen schien --, während die Regentenhäuser und die Länder Branden¬
burg und Oranien immer im besten Einvernehmen blieben, und daß Deutsch¬
land, dem es ja nicht mehr an Häfen mangelt, durch Schädigung Hollands
lediglich die Zahl seiner Feinde vermehren könne. Auch ein älterer Herr,
der schon den belgischen Krieg als Freiwilliger mitgemacht hatte, gab alle
Schuld "den Franschen." Eine Dame wußte jedoch bestimmt, daß Deutschland
die niederländischen Kolonien haben wolle. Darüber konnte man nur lächeln,
und der Schluß bleibt, daß den Holländern die Pariser besser gefallen als die
Deutschen.

In den andern Grenzlündern fristet sich offenbar noch der Glaube fort,
daß Gott das große Mittellaud Europas ausdrücklich geschaffen habe, damit
die Nachbarn auf diesem Boden ihre Kriege führen und von seinen Rändern
Fetzen zur Ergünznng und Befestigung ihres Besitzes herunterschneiden könnten.
Solange die Deutschen sich solche Operationen wohl oder übel gefallen ließen,
waren sie ganz erträgliche Nachbarn; doch nun ist Deutschland einig und stark
und hat sich erlaubt, einige Naubbeute zurückzunehmen: nun sind die Deutschen
Ruhestörer, Habgierige, vor denen man sich nur schützen kann durch eine
Koalition aller Beeinträchtigten und Bedrohten. Sogar Nußland hat über
den einstigen Vasallen zu klagen, der es nach dem letzten Türkenkriege heim¬
tückisch im Stiche ließ. So antwortete ein Russe auf die Frage nach dem
Nihilismus ganz trocken, Nihilisten gebe es in Nußland überhaupt nicht, alle
Gerüchte darüber habe "der Bismarck" erfunden. Und kaum ein Vierteljahr
später wurde Alexander II. hingeschlachtet! Im Elsaß vollzieht sich die
Scheidung der Volksstämme langsam aber merklich, die Juden, die dort noch
vielfach das große Wort führen, folgen mehr und mehr dem Zuge ihres
Herzens noch Paris oder bequemen sich wieder Deutsch zu sprechen, was sie
1870 plötzlich verlernt hatten, wogegen das Franzosentum in Lothringen
wohl lange ein schwer verdaulicher Bissen bleiben dürfte. Die nordschleswigsche
Frage ist erst vor kurzem in diesen Blättern gründlich erörtert worden. In
Schweden scheint man an Rügen und Vorpommern nicht mehr zu denken.

Aber das polnische Reich! Zwar versichern die galizischen Edelleute, sie
beabsichtigen nicht mehr die Wiedereroberung Danzigs, allein sie finden und
verdienen damit nicht mehr Glauben, als mit der so oft wiederholten Be¬
teuerung, daß sich die polnischen und ruthenischen Bauern unter der Herrschaft
der Schlacht" höchst glücklich sühlen. Die durch Erweiterung des Wahlrechts
endlich zum Worte gekommnen Bauer" haben es im österreichischen Neichsrate
an greller Beleuchtung ihrer Glückseligkeit nicht fehlen lassen. Das einst von
Bismarck so klassisch charakterisirte polnische Landsknechttum ist immer bereit,
Schwert oder Feder in den Dienst der Feinde Deutschlands zu stellen; der
Staatsmann Beust verschrieb sich eigens aus Paris deu Journalisten Klacztv,
der sich durch eine Parallele der beiden Kanzler nach Kräften dankbar erwies,


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zu verstehen schien —, während die Regentenhäuser und die Länder Branden¬
burg und Oranien immer im besten Einvernehmen blieben, und daß Deutsch¬
land, dem es ja nicht mehr an Häfen mangelt, durch Schädigung Hollands
lediglich die Zahl seiner Feinde vermehren könne. Auch ein älterer Herr,
der schon den belgischen Krieg als Freiwilliger mitgemacht hatte, gab alle
Schuld „den Franschen." Eine Dame wußte jedoch bestimmt, daß Deutschland
die niederländischen Kolonien haben wolle. Darüber konnte man nur lächeln,
und der Schluß bleibt, daß den Holländern die Pariser besser gefallen als die
Deutschen.

In den andern Grenzlündern fristet sich offenbar noch der Glaube fort,
daß Gott das große Mittellaud Europas ausdrücklich geschaffen habe, damit
die Nachbarn auf diesem Boden ihre Kriege führen und von seinen Rändern
Fetzen zur Ergünznng und Befestigung ihres Besitzes herunterschneiden könnten.
Solange die Deutschen sich solche Operationen wohl oder übel gefallen ließen,
waren sie ganz erträgliche Nachbarn; doch nun ist Deutschland einig und stark
und hat sich erlaubt, einige Naubbeute zurückzunehmen: nun sind die Deutschen
Ruhestörer, Habgierige, vor denen man sich nur schützen kann durch eine
Koalition aller Beeinträchtigten und Bedrohten. Sogar Nußland hat über
den einstigen Vasallen zu klagen, der es nach dem letzten Türkenkriege heim¬
tückisch im Stiche ließ. So antwortete ein Russe auf die Frage nach dem
Nihilismus ganz trocken, Nihilisten gebe es in Nußland überhaupt nicht, alle
Gerüchte darüber habe „der Bismarck" erfunden. Und kaum ein Vierteljahr
später wurde Alexander II. hingeschlachtet! Im Elsaß vollzieht sich die
Scheidung der Volksstämme langsam aber merklich, die Juden, die dort noch
vielfach das große Wort führen, folgen mehr und mehr dem Zuge ihres
Herzens noch Paris oder bequemen sich wieder Deutsch zu sprechen, was sie
1870 plötzlich verlernt hatten, wogegen das Franzosentum in Lothringen
wohl lange ein schwer verdaulicher Bissen bleiben dürfte. Die nordschleswigsche
Frage ist erst vor kurzem in diesen Blättern gründlich erörtert worden. In
Schweden scheint man an Rügen und Vorpommern nicht mehr zu denken.

Aber das polnische Reich! Zwar versichern die galizischen Edelleute, sie
beabsichtigen nicht mehr die Wiedereroberung Danzigs, allein sie finden und
verdienen damit nicht mehr Glauben, als mit der so oft wiederholten Be¬
teuerung, daß sich die polnischen und ruthenischen Bauern unter der Herrschaft
der Schlacht« höchst glücklich sühlen. Die durch Erweiterung des Wahlrechts
endlich zum Worte gekommnen Bauer» haben es im österreichischen Neichsrate
an greller Beleuchtung ihrer Glückseligkeit nicht fehlen lassen. Das einst von
Bismarck so klassisch charakterisirte polnische Landsknechttum ist immer bereit,
Schwert oder Feder in den Dienst der Feinde Deutschlands zu stellen; der
Staatsmann Beust verschrieb sich eigens aus Paris deu Journalisten Klacztv,
der sich durch eine Parallele der beiden Kanzler nach Kräften dankbar erwies,


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[0520] vom Deutschenhaß zu verstehen schien —, während die Regentenhäuser und die Länder Branden¬ burg und Oranien immer im besten Einvernehmen blieben, und daß Deutsch¬ land, dem es ja nicht mehr an Häfen mangelt, durch Schädigung Hollands lediglich die Zahl seiner Feinde vermehren könne. Auch ein älterer Herr, der schon den belgischen Krieg als Freiwilliger mitgemacht hatte, gab alle Schuld „den Franschen." Eine Dame wußte jedoch bestimmt, daß Deutschland die niederländischen Kolonien haben wolle. Darüber konnte man nur lächeln, und der Schluß bleibt, daß den Holländern die Pariser besser gefallen als die Deutschen. In den andern Grenzlündern fristet sich offenbar noch der Glaube fort, daß Gott das große Mittellaud Europas ausdrücklich geschaffen habe, damit die Nachbarn auf diesem Boden ihre Kriege führen und von seinen Rändern Fetzen zur Ergünznng und Befestigung ihres Besitzes herunterschneiden könnten. Solange die Deutschen sich solche Operationen wohl oder übel gefallen ließen, waren sie ganz erträgliche Nachbarn; doch nun ist Deutschland einig und stark und hat sich erlaubt, einige Naubbeute zurückzunehmen: nun sind die Deutschen Ruhestörer, Habgierige, vor denen man sich nur schützen kann durch eine Koalition aller Beeinträchtigten und Bedrohten. Sogar Nußland hat über den einstigen Vasallen zu klagen, der es nach dem letzten Türkenkriege heim¬ tückisch im Stiche ließ. So antwortete ein Russe auf die Frage nach dem Nihilismus ganz trocken, Nihilisten gebe es in Nußland überhaupt nicht, alle Gerüchte darüber habe „der Bismarck" erfunden. Und kaum ein Vierteljahr später wurde Alexander II. hingeschlachtet! Im Elsaß vollzieht sich die Scheidung der Volksstämme langsam aber merklich, die Juden, die dort noch vielfach das große Wort führen, folgen mehr und mehr dem Zuge ihres Herzens noch Paris oder bequemen sich wieder Deutsch zu sprechen, was sie 1870 plötzlich verlernt hatten, wogegen das Franzosentum in Lothringen wohl lange ein schwer verdaulicher Bissen bleiben dürfte. Die nordschleswigsche Frage ist erst vor kurzem in diesen Blättern gründlich erörtert worden. In Schweden scheint man an Rügen und Vorpommern nicht mehr zu denken. Aber das polnische Reich! Zwar versichern die galizischen Edelleute, sie beabsichtigen nicht mehr die Wiedereroberung Danzigs, allein sie finden und verdienen damit nicht mehr Glauben, als mit der so oft wiederholten Be¬ teuerung, daß sich die polnischen und ruthenischen Bauern unter der Herrschaft der Schlacht« höchst glücklich sühlen. Die durch Erweiterung des Wahlrechts endlich zum Worte gekommnen Bauer» haben es im österreichischen Neichsrate an greller Beleuchtung ihrer Glückseligkeit nicht fehlen lassen. Das einst von Bismarck so klassisch charakterisirte polnische Landsknechttum ist immer bereit, Schwert oder Feder in den Dienst der Feinde Deutschlands zu stellen; der Staatsmann Beust verschrieb sich eigens aus Paris deu Journalisten Klacztv, der sich durch eine Parallele der beiden Kanzler nach Kräften dankbar erwies,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/520>, abgerufen am 27.12.2024.