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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das ungarländische Deutschtum und das Deutsche Reich

in sich schloß. Den sechs Millionen Magyaren stehen zwölf Millionen Deutsche,
Slawen und Walachei, gegenüber, aber von diesen ist jetzt noch eine weitere
Million magyarisirt, größtenteils Deutsche, von denen nur zwei Millionen
bisher noch dem Verderben entgangen sind. So traurig hat sich die Lage des
Deutschtums in Ungarn entwickelt, dem es durch seine Bürger und Bauern
deutsche Gesittung und deutsches Recht gebracht, und dem es unter dem kaiser¬
lichen Doppeladler die Freiheit vom Türkenjoch geschenkt hat.

Dieser geschichtliche Rückblick erscheint notwendig, um die Ereignisse der
Gegenwart zu würdigen und die geflissentliche Entstellung der Thatsachen auf¬
zudecken. Die österreichischen Tschechen erscheinen als ein selbstbewußtes, einst
unterdrücktes Volk, das ein stärkeres nationales Empfinden hegt und zum Aus¬
druck bringt, als ihre in die Verteidigungsstellung getriebnen deutschen Widersacher.
Die Magyaren sind thatsächlich die Minderheit im Lande der Stephanskrone,
sie haben immer ohne eignes Verdienst die Herren gespielt, haben auf Kosten
der andern Steuerzahler einen ungeschichtlichen, rein magyarischen Staat auf¬
gerichtet und gegen das geschriebne Recht die gleichberechtigten Volksstämme
unterdrückt. Alle diese Willkürhandlungen spielen sich unter der trügerischen
Flagge des liberalen Parlamentarismus ab, wo nach Fug und Recht die nicht¬
magyarische Mehrheit herrschen müßte. Ein willkürliches, gewaltthätig gehand-
habtes Wahlgesetz schließt aber die thatsächliche Mehrheit der Bevölkerung von
dem Wahlrecht aus; auch wird mit Hilfe jüdischer und deutscher Renegaten
und lauer Vertreter andrer Stämme jede andre nationale Regung rücksichtslos
unterdrückt. Die an Bildung am tiefsten stehenden Wallachen zeigen noch die
größte Widerstandskraft, und die in Kroatien und Slawonieu einigermaßen
gegen magyarische Übergriffe gesicherten Slawen wehren sich tapfer ihrer Haut.
Nur die einstigen, geistigen und wirtschaftlichen Führer im Lande, die deutschen
Kulturbringer und -träger werden ohne Gegenwehr mißhandelt. Schon ist
der deutsche Stamm trotz dauernder Einwanderung aus dem Reiche und aus
Österreich auf zwei Millionen gesunken. Die deutsche Hauptstadt Ungarns
kleidet sich in ein aufdringliches magyarisches Gewand mit französischem Firnis,
hinter dem asiatische Wildheit und Sittenlosigkeit versteckt ist. Das ist das
Bild der ritterlichen magyarischen Nation, die ihre Hilfe dem habsburgisch-
lothringischen Königshause immer nur auf Kosten der übrigen Volksstämme
Ungarns gewährt hat.

Vom nationalmagyarischen Standpunkte aus können wir freilich nur die
Geschicklichkeit und Verschlagenheit bewundern, womit eine Minderheit im
Staate die freilich national getrennte Mehrheit in rohester Weise vergewaltigt.
Die Leistung ist für dieses noch halbasiatische Hirtenvolk erstaunlich, wenn
man bedenkt, daß seine Stammverwandten, die Türken und Finnen, zu einer
staatlichen Ordnung ihrer Länder unfähig sind. Finnland ist noch heute ein
schwedisch-deutscher Staat unter russischer Hoheit. Würden die ungarländischen


Das ungarländische Deutschtum und das Deutsche Reich

in sich schloß. Den sechs Millionen Magyaren stehen zwölf Millionen Deutsche,
Slawen und Walachei, gegenüber, aber von diesen ist jetzt noch eine weitere
Million magyarisirt, größtenteils Deutsche, von denen nur zwei Millionen
bisher noch dem Verderben entgangen sind. So traurig hat sich die Lage des
Deutschtums in Ungarn entwickelt, dem es durch seine Bürger und Bauern
deutsche Gesittung und deutsches Recht gebracht, und dem es unter dem kaiser¬
lichen Doppeladler die Freiheit vom Türkenjoch geschenkt hat.

Dieser geschichtliche Rückblick erscheint notwendig, um die Ereignisse der
Gegenwart zu würdigen und die geflissentliche Entstellung der Thatsachen auf¬
zudecken. Die österreichischen Tschechen erscheinen als ein selbstbewußtes, einst
unterdrücktes Volk, das ein stärkeres nationales Empfinden hegt und zum Aus¬
druck bringt, als ihre in die Verteidigungsstellung getriebnen deutschen Widersacher.
Die Magyaren sind thatsächlich die Minderheit im Lande der Stephanskrone,
sie haben immer ohne eignes Verdienst die Herren gespielt, haben auf Kosten
der andern Steuerzahler einen ungeschichtlichen, rein magyarischen Staat auf¬
gerichtet und gegen das geschriebne Recht die gleichberechtigten Volksstämme
unterdrückt. Alle diese Willkürhandlungen spielen sich unter der trügerischen
Flagge des liberalen Parlamentarismus ab, wo nach Fug und Recht die nicht¬
magyarische Mehrheit herrschen müßte. Ein willkürliches, gewaltthätig gehand-
habtes Wahlgesetz schließt aber die thatsächliche Mehrheit der Bevölkerung von
dem Wahlrecht aus; auch wird mit Hilfe jüdischer und deutscher Renegaten
und lauer Vertreter andrer Stämme jede andre nationale Regung rücksichtslos
unterdrückt. Die an Bildung am tiefsten stehenden Wallachen zeigen noch die
größte Widerstandskraft, und die in Kroatien und Slawonieu einigermaßen
gegen magyarische Übergriffe gesicherten Slawen wehren sich tapfer ihrer Haut.
Nur die einstigen, geistigen und wirtschaftlichen Führer im Lande, die deutschen
Kulturbringer und -träger werden ohne Gegenwehr mißhandelt. Schon ist
der deutsche Stamm trotz dauernder Einwanderung aus dem Reiche und aus
Österreich auf zwei Millionen gesunken. Die deutsche Hauptstadt Ungarns
kleidet sich in ein aufdringliches magyarisches Gewand mit französischem Firnis,
hinter dem asiatische Wildheit und Sittenlosigkeit versteckt ist. Das ist das
Bild der ritterlichen magyarischen Nation, die ihre Hilfe dem habsburgisch-
lothringischen Königshause immer nur auf Kosten der übrigen Volksstämme
Ungarns gewährt hat.

Vom nationalmagyarischen Standpunkte aus können wir freilich nur die
Geschicklichkeit und Verschlagenheit bewundern, womit eine Minderheit im
Staate die freilich national getrennte Mehrheit in rohester Weise vergewaltigt.
Die Leistung ist für dieses noch halbasiatische Hirtenvolk erstaunlich, wenn
man bedenkt, daß seine Stammverwandten, die Türken und Finnen, zu einer
staatlichen Ordnung ihrer Länder unfähig sind. Finnland ist noch heute ein
schwedisch-deutscher Staat unter russischer Hoheit. Würden die ungarländischen


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[0467] Das ungarländische Deutschtum und das Deutsche Reich in sich schloß. Den sechs Millionen Magyaren stehen zwölf Millionen Deutsche, Slawen und Walachei, gegenüber, aber von diesen ist jetzt noch eine weitere Million magyarisirt, größtenteils Deutsche, von denen nur zwei Millionen bisher noch dem Verderben entgangen sind. So traurig hat sich die Lage des Deutschtums in Ungarn entwickelt, dem es durch seine Bürger und Bauern deutsche Gesittung und deutsches Recht gebracht, und dem es unter dem kaiser¬ lichen Doppeladler die Freiheit vom Türkenjoch geschenkt hat. Dieser geschichtliche Rückblick erscheint notwendig, um die Ereignisse der Gegenwart zu würdigen und die geflissentliche Entstellung der Thatsachen auf¬ zudecken. Die österreichischen Tschechen erscheinen als ein selbstbewußtes, einst unterdrücktes Volk, das ein stärkeres nationales Empfinden hegt und zum Aus¬ druck bringt, als ihre in die Verteidigungsstellung getriebnen deutschen Widersacher. Die Magyaren sind thatsächlich die Minderheit im Lande der Stephanskrone, sie haben immer ohne eignes Verdienst die Herren gespielt, haben auf Kosten der andern Steuerzahler einen ungeschichtlichen, rein magyarischen Staat auf¬ gerichtet und gegen das geschriebne Recht die gleichberechtigten Volksstämme unterdrückt. Alle diese Willkürhandlungen spielen sich unter der trügerischen Flagge des liberalen Parlamentarismus ab, wo nach Fug und Recht die nicht¬ magyarische Mehrheit herrschen müßte. Ein willkürliches, gewaltthätig gehand- habtes Wahlgesetz schließt aber die thatsächliche Mehrheit der Bevölkerung von dem Wahlrecht aus; auch wird mit Hilfe jüdischer und deutscher Renegaten und lauer Vertreter andrer Stämme jede andre nationale Regung rücksichtslos unterdrückt. Die an Bildung am tiefsten stehenden Wallachen zeigen noch die größte Widerstandskraft, und die in Kroatien und Slawonieu einigermaßen gegen magyarische Übergriffe gesicherten Slawen wehren sich tapfer ihrer Haut. Nur die einstigen, geistigen und wirtschaftlichen Führer im Lande, die deutschen Kulturbringer und -träger werden ohne Gegenwehr mißhandelt. Schon ist der deutsche Stamm trotz dauernder Einwanderung aus dem Reiche und aus Österreich auf zwei Millionen gesunken. Die deutsche Hauptstadt Ungarns kleidet sich in ein aufdringliches magyarisches Gewand mit französischem Firnis, hinter dem asiatische Wildheit und Sittenlosigkeit versteckt ist. Das ist das Bild der ritterlichen magyarischen Nation, die ihre Hilfe dem habsburgisch- lothringischen Königshause immer nur auf Kosten der übrigen Volksstämme Ungarns gewährt hat. Vom nationalmagyarischen Standpunkte aus können wir freilich nur die Geschicklichkeit und Verschlagenheit bewundern, womit eine Minderheit im Staate die freilich national getrennte Mehrheit in rohester Weise vergewaltigt. Die Leistung ist für dieses noch halbasiatische Hirtenvolk erstaunlich, wenn man bedenkt, daß seine Stammverwandten, die Türken und Finnen, zu einer staatlichen Ordnung ihrer Länder unfähig sind. Finnland ist noch heute ein schwedisch-deutscher Staat unter russischer Hoheit. Würden die ungarländischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/467>, abgerufen am 23.07.2024.