Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches getäuscht und deshalb betrogen werden, da sie sich vom Anfang bis zu Ende genau Wem nützt eigentlich die große Überproduktion an Neubauten, die ohne Geld Von andrer Seite wird geschrieben: Es wird mit Recht über den im "Wenns gut geht, lobt mans." Und es ist lange gut gegangen. Die Hänser¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches getäuscht und deshalb betrogen werden, da sie sich vom Anfang bis zu Ende genau Wem nützt eigentlich die große Überproduktion an Neubauten, die ohne Geld Von andrer Seite wird geschrieben: Es wird mit Recht über den im „Wenns gut geht, lobt mans." Und es ist lange gut gegangen. Die Hänser¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228097"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1261" prev="#ID_1260"> getäuscht und deshalb betrogen werden, da sie sich vom Anfang bis zu Ende genau<lb/> darüber unterrichten konnten, denn niemand dürste an dem Konkurs teilnehmen,<lb/> der nicht sein Recht dazu nachweisen könnte. Die rechtmäßige Reihenfolge der<lb/> Hypotheken dürfte erst ein Jahr nach völliger Herstellung des neuen Hauses ein¬<lb/> treten, denn es darf wohl angenommen werden, daß dann jeder Lieferant und<lb/> Handwerker zu seinem vollen Recht gekommen wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1262"> Wem nützt eigentlich die große Überproduktion an Neubauten, die ohne Geld<lb/> oder vielmehr mit dem Gelde der betrognen Handwerker erbaut werden? —</p><lb/> <p xml:id="ID_1263"> Von andrer Seite wird geschrieben: Es wird mit Recht über den im<lb/> Baufach herrschenden Schwindel geklagt. Der „Bauherr" ist oft ein vermögens¬<lb/> loser Spekulant, der im glücklichen Falle den Gewinn einsteckt, beim Mißlingen der<lb/> Spekulation aber „verduftet" und seinen Gläubigern das Nachsehen läßt. Aber<lb/> dieser Schwindel hätte nicht so lange bestehen können, wenn nicht das Geschäfts-<lb/> gebahren der Bauhandwerker ihn ermöglicht hätte. Hierin liegt der Hauptübelstand.<lb/> Die Überfüllung des Bauhandwerks mit Arbeitskräften und die dadurch eingetretne<lb/> starke Konkurrenz hat zu einem leichtsinnigen Geschästsgebahren geführt. Man<lb/> prüft nicht genügend die Zahlungsfähigkeit dessen, der die Bauarbeiten vergiebt.<lb/> Es heißt dann: wir müssen die Arbeit übernehmen, denn sonst übernimmt ein<lb/> Konkurrent sie. Das leichtsinnige Kreditgeben, das überall im Geschäftsleben zu<lb/> stark eingerissen ist, leistet dem Bauschwindel Vorschub. Der Schwindler weiß,<lb/> daß, wenn ein Bauhandwerker nicht sür ihn arbeiten will, er leicht einen andern<lb/> findet, der die Arbeiten übernimmt. Er kann auch höhere Preise versprechen als<lb/> der solide Hausbesitzer, weil er entweder gar nicht die Absicht hat, zu bezahlen,<lb/> sondern nur eine Zeit lang auf den ihm geschenkten Kredit hin leben will, oder,<lb/> wenn er auch zu bezahlen beabsichtigt, doch wegen seiner Vermögenslosigkeit um<lb/> die Folgen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht besorgt zu sein braucht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1264" next="#ID_1265"> „Wenns gut geht, lobt mans." Und es ist lange gut gegangen. Die Hänser¬<lb/> preise stiegen. Mancher vermögenslose Spekulant wurde ein reicher Hausbesitzer.<lb/> Das reizte wieder zur Spekulation, zu tollem Überbieten, bis das kam, was kommen<lb/> mußte, der „Krach" oder die Stockung, das Stillstehen und Hinabgehen der Miet¬<lb/> preise und der Häuserpreise, zahlreiche Konkurse von Hausbesitzern und Verluste bei<lb/> den Bauhandwerkern. Hauffe und Baisse lösen einander ab, wenn eine fieberhafte<lb/> Bauthätigkeit einen Überfluß an Wohnungen erzeugt hat, oder wenn nach einer Zeit<lb/> der Stockung und bei fortgesetztem Andrang nach der Großstadt wieder ein Mangel<lb/> an Wohnungen eintritt. In der „guten Zeit," der Zeit des Steigens der Preise<lb/> und der lebhaften Bauthätigkeit, werden viel mehr Wohnungen hergestellt, als durch<lb/> deu Bedarf geboten ist. Vor etwa drei bis vier Jahren war im Umkreise Berlins<lb/> und in einigen Vororten so stark gebaut worden, daß viele Wohnungen in Berlin<lb/> leer stehen blieben, und mancher nicht ganz kapitalkräftige Hausbesitzer Konkurs<lb/> machen mußte. Weil gleichzeitig die Verkehrsverbindungen bequemer geworden<lb/> waren, zogen viele Bewohner Berlins nach den Vororten hinaus. Die Hausbesitzer<lb/> in Berlin sträubten sich zwar gegen die Herabsetzung der Mieter, aber schließlich<lb/> mußten sie sich doch dazu verstehen. Wenigstens hörte das beständige Höherschrauben<lb/> der Mietpreise eine Zeit lang auf, die Mietpreise gingen sogar ein wenig herunter.<lb/> Seitdem aber ist längst eine Gegenbewegung eingetreten. Die leeren Häuserreihen<lb/> in den Vororten haben sich mit Menschen gefüllt; die massenhaft aufsaugenden<lb/> Mietzettel in einigen Straßen Berlins sind verschwunden. Die Mietpreise sind<lb/> wieder die alten. Die Hauswirte machen vergnügte Gesichter, und die Mieter<lb/> stimmen die alte» Klagen über Tyrannei und Ausbeutung an. Da kommt dann</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
getäuscht und deshalb betrogen werden, da sie sich vom Anfang bis zu Ende genau
darüber unterrichten konnten, denn niemand dürste an dem Konkurs teilnehmen,
der nicht sein Recht dazu nachweisen könnte. Die rechtmäßige Reihenfolge der
Hypotheken dürfte erst ein Jahr nach völliger Herstellung des neuen Hauses ein¬
treten, denn es darf wohl angenommen werden, daß dann jeder Lieferant und
Handwerker zu seinem vollen Recht gekommen wäre.
Wem nützt eigentlich die große Überproduktion an Neubauten, die ohne Geld
oder vielmehr mit dem Gelde der betrognen Handwerker erbaut werden? —
Von andrer Seite wird geschrieben: Es wird mit Recht über den im
Baufach herrschenden Schwindel geklagt. Der „Bauherr" ist oft ein vermögens¬
loser Spekulant, der im glücklichen Falle den Gewinn einsteckt, beim Mißlingen der
Spekulation aber „verduftet" und seinen Gläubigern das Nachsehen läßt. Aber
dieser Schwindel hätte nicht so lange bestehen können, wenn nicht das Geschäfts-
gebahren der Bauhandwerker ihn ermöglicht hätte. Hierin liegt der Hauptübelstand.
Die Überfüllung des Bauhandwerks mit Arbeitskräften und die dadurch eingetretne
starke Konkurrenz hat zu einem leichtsinnigen Geschästsgebahren geführt. Man
prüft nicht genügend die Zahlungsfähigkeit dessen, der die Bauarbeiten vergiebt.
Es heißt dann: wir müssen die Arbeit übernehmen, denn sonst übernimmt ein
Konkurrent sie. Das leichtsinnige Kreditgeben, das überall im Geschäftsleben zu
stark eingerissen ist, leistet dem Bauschwindel Vorschub. Der Schwindler weiß,
daß, wenn ein Bauhandwerker nicht sür ihn arbeiten will, er leicht einen andern
findet, der die Arbeiten übernimmt. Er kann auch höhere Preise versprechen als
der solide Hausbesitzer, weil er entweder gar nicht die Absicht hat, zu bezahlen,
sondern nur eine Zeit lang auf den ihm geschenkten Kredit hin leben will, oder,
wenn er auch zu bezahlen beabsichtigt, doch wegen seiner Vermögenslosigkeit um
die Folgen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht besorgt zu sein braucht.
„Wenns gut geht, lobt mans." Und es ist lange gut gegangen. Die Hänser¬
preise stiegen. Mancher vermögenslose Spekulant wurde ein reicher Hausbesitzer.
Das reizte wieder zur Spekulation, zu tollem Überbieten, bis das kam, was kommen
mußte, der „Krach" oder die Stockung, das Stillstehen und Hinabgehen der Miet¬
preise und der Häuserpreise, zahlreiche Konkurse von Hausbesitzern und Verluste bei
den Bauhandwerkern. Hauffe und Baisse lösen einander ab, wenn eine fieberhafte
Bauthätigkeit einen Überfluß an Wohnungen erzeugt hat, oder wenn nach einer Zeit
der Stockung und bei fortgesetztem Andrang nach der Großstadt wieder ein Mangel
an Wohnungen eintritt. In der „guten Zeit," der Zeit des Steigens der Preise
und der lebhaften Bauthätigkeit, werden viel mehr Wohnungen hergestellt, als durch
deu Bedarf geboten ist. Vor etwa drei bis vier Jahren war im Umkreise Berlins
und in einigen Vororten so stark gebaut worden, daß viele Wohnungen in Berlin
leer stehen blieben, und mancher nicht ganz kapitalkräftige Hausbesitzer Konkurs
machen mußte. Weil gleichzeitig die Verkehrsverbindungen bequemer geworden
waren, zogen viele Bewohner Berlins nach den Vororten hinaus. Die Hausbesitzer
in Berlin sträubten sich zwar gegen die Herabsetzung der Mieter, aber schließlich
mußten sie sich doch dazu verstehen. Wenigstens hörte das beständige Höherschrauben
der Mietpreise eine Zeit lang auf, die Mietpreise gingen sogar ein wenig herunter.
Seitdem aber ist längst eine Gegenbewegung eingetreten. Die leeren Häuserreihen
in den Vororten haben sich mit Menschen gefüllt; die massenhaft aufsaugenden
Mietzettel in einigen Straßen Berlins sind verschwunden. Die Mietpreise sind
wieder die alten. Die Hauswirte machen vergnügte Gesichter, und die Mieter
stimmen die alte» Klagen über Tyrannei und Ausbeutung an. Da kommt dann
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