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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Voktorfrage

Ehre gereichen; nach glaubwürdigen Mitteilungen kamen von den in den fünf
Jahren 1887 bis 1892 erfolgten juristischen Promotionen auf die drei Uni¬
versitäten Heidelberg, Jena, Leipzig etwa dreimal soviel als auf die sämtlichen
übrigen siebzehn Universitäten zusammen. Von den in den Jahren 1895 und
1896 im ganzen Reiche vorgekommnen 237 juristischen Promotionen sollen volle
107 in Erlangen erfolgt sein; ähnlich ist es in der philosophischen und in der medi¬
zinischen Fakultät/') Einzelne Universitäten werden eben von den Doktoranden
mit ganz besondrer Vorliebe aufgesucht, andre -- insbesondre die altpreußischen --
geradezu gemieden, und über die Gründe dieses eigentümlichen Verhältnisses
herrscht unter den Eingeweihten volles Einverständnis, ohne daß jedoch unter
den hier in Betracht kommenden Universitäten der Mißstand empfunden wird;
denn andernfalls hätte man ihn längst beseitigt. Wenn ein Primaner das Gym¬
nasium zu Stettin ohne jeden sachlichen Grund verläßt und Ausnahme in das
Gymnasium zu Kyritz begehrt, so wird er vom Direktor des letzten nicht eben
freundlich empfangen; denn dieser mutmaße als Grund des Umzugs sofort,
daß der Ankömmling die Reifeprüfung in Kyritz leichter zu bestehen glaube als
in Stettin. In einen solchen Ruf wünscht aber der Direktor die Anstalt nie¬
mals gelangen zu lassen. Dagegen ist es durchaus gebräuchlich, daß sich
Leute, die ihre Studien an einer norddeutschen, sagen wir, preußischen Uni¬
versität gemacht haben und dort oder in der Nähe einheimisch sind, an eine
weitabliegende, ihnen fremde Universität zur Erlangung des Doktortitels
wenden. Die so angegangne fremde Universität kennt die Gründe dieses auf¬
fallenden Verhaltens ganz genau: der Bewerber fürchtet deu wissenschaftlichen
Anforderungen, die die Heimatsnniversität an die Erlangung des Titels stellt,
nicht gerecht zu werden, wohl aber denen der von ihm angegangnen fremden
Universität. Und dabei sind diese Anforderungen "auf dem Papier" gleich:
eine wissenschaftliche Arbeit und eine mündliche Prüfung werden bei allen Uni¬
versitäten verlangt. Die eine Fakultät aber läßt eine von dem Bewerber einge¬
reichte Arbeit als "Doktordissertation" gelten, während diese von der Fakultät
einer andern Universität als wertlos mit Entrüstung zurückgewiesen werden würde;
und Kenntnisse, die die eine Fakultät als zum Nachweis "wissenschaftlicher Eru¬
dition" beim tCn.es.men riMrosum für genügend hält, würden von der andern
Fakultät als völlig ungenügend bezeichnet werden. Das merkwürdige ist, daß Zu¬
stände dieser Art nur gerade bei dieser Fakultätsprüfung zum Doktor gelten,
während sie bei staatlichen Prüfungen unerhört wären. Das Maß der Kenntnisse,
die eine staatliche Behörde bei der Abiturientenprüfung, bei der Prüfung als prak¬
tischer Arzt, als Oberlehrer, als Richter oder Referendar verlangt, ist im wehend-



*) In den evangelisch-theologischen Fakultäten wird der Titel nur Il.nuori" paon ver¬
liehen. Über die Handhabung in den katholisch-theologischen Fakultäten läßt sich bei der ver¬
hältnismäßigen Seltenheit der Promotionen kaum ein Urteil gewinnen.
Die Voktorfrage

Ehre gereichen; nach glaubwürdigen Mitteilungen kamen von den in den fünf
Jahren 1887 bis 1892 erfolgten juristischen Promotionen auf die drei Uni¬
versitäten Heidelberg, Jena, Leipzig etwa dreimal soviel als auf die sämtlichen
übrigen siebzehn Universitäten zusammen. Von den in den Jahren 1895 und
1896 im ganzen Reiche vorgekommnen 237 juristischen Promotionen sollen volle
107 in Erlangen erfolgt sein; ähnlich ist es in der philosophischen und in der medi¬
zinischen Fakultät/') Einzelne Universitäten werden eben von den Doktoranden
mit ganz besondrer Vorliebe aufgesucht, andre — insbesondre die altpreußischen —
geradezu gemieden, und über die Gründe dieses eigentümlichen Verhältnisses
herrscht unter den Eingeweihten volles Einverständnis, ohne daß jedoch unter
den hier in Betracht kommenden Universitäten der Mißstand empfunden wird;
denn andernfalls hätte man ihn längst beseitigt. Wenn ein Primaner das Gym¬
nasium zu Stettin ohne jeden sachlichen Grund verläßt und Ausnahme in das
Gymnasium zu Kyritz begehrt, so wird er vom Direktor des letzten nicht eben
freundlich empfangen; denn dieser mutmaße als Grund des Umzugs sofort,
daß der Ankömmling die Reifeprüfung in Kyritz leichter zu bestehen glaube als
in Stettin. In einen solchen Ruf wünscht aber der Direktor die Anstalt nie¬
mals gelangen zu lassen. Dagegen ist es durchaus gebräuchlich, daß sich
Leute, die ihre Studien an einer norddeutschen, sagen wir, preußischen Uni¬
versität gemacht haben und dort oder in der Nähe einheimisch sind, an eine
weitabliegende, ihnen fremde Universität zur Erlangung des Doktortitels
wenden. Die so angegangne fremde Universität kennt die Gründe dieses auf¬
fallenden Verhaltens ganz genau: der Bewerber fürchtet deu wissenschaftlichen
Anforderungen, die die Heimatsnniversität an die Erlangung des Titels stellt,
nicht gerecht zu werden, wohl aber denen der von ihm angegangnen fremden
Universität. Und dabei sind diese Anforderungen „auf dem Papier" gleich:
eine wissenschaftliche Arbeit und eine mündliche Prüfung werden bei allen Uni¬
versitäten verlangt. Die eine Fakultät aber läßt eine von dem Bewerber einge¬
reichte Arbeit als „Doktordissertation" gelten, während diese von der Fakultät
einer andern Universität als wertlos mit Entrüstung zurückgewiesen werden würde;
und Kenntnisse, die die eine Fakultät als zum Nachweis „wissenschaftlicher Eru¬
dition" beim tCn.es.men riMrosum für genügend hält, würden von der andern
Fakultät als völlig ungenügend bezeichnet werden. Das merkwürdige ist, daß Zu¬
stände dieser Art nur gerade bei dieser Fakultätsprüfung zum Doktor gelten,
während sie bei staatlichen Prüfungen unerhört wären. Das Maß der Kenntnisse,
die eine staatliche Behörde bei der Abiturientenprüfung, bei der Prüfung als prak¬
tischer Arzt, als Oberlehrer, als Richter oder Referendar verlangt, ist im wehend-



*) In den evangelisch-theologischen Fakultäten wird der Titel nur Il.nuori« paon ver¬
liehen. Über die Handhabung in den katholisch-theologischen Fakultäten läßt sich bei der ver¬
hältnismäßigen Seltenheit der Promotionen kaum ein Urteil gewinnen.
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[0435] Die Voktorfrage Ehre gereichen; nach glaubwürdigen Mitteilungen kamen von den in den fünf Jahren 1887 bis 1892 erfolgten juristischen Promotionen auf die drei Uni¬ versitäten Heidelberg, Jena, Leipzig etwa dreimal soviel als auf die sämtlichen übrigen siebzehn Universitäten zusammen. Von den in den Jahren 1895 und 1896 im ganzen Reiche vorgekommnen 237 juristischen Promotionen sollen volle 107 in Erlangen erfolgt sein; ähnlich ist es in der philosophischen und in der medi¬ zinischen Fakultät/') Einzelne Universitäten werden eben von den Doktoranden mit ganz besondrer Vorliebe aufgesucht, andre — insbesondre die altpreußischen — geradezu gemieden, und über die Gründe dieses eigentümlichen Verhältnisses herrscht unter den Eingeweihten volles Einverständnis, ohne daß jedoch unter den hier in Betracht kommenden Universitäten der Mißstand empfunden wird; denn andernfalls hätte man ihn längst beseitigt. Wenn ein Primaner das Gym¬ nasium zu Stettin ohne jeden sachlichen Grund verläßt und Ausnahme in das Gymnasium zu Kyritz begehrt, so wird er vom Direktor des letzten nicht eben freundlich empfangen; denn dieser mutmaße als Grund des Umzugs sofort, daß der Ankömmling die Reifeprüfung in Kyritz leichter zu bestehen glaube als in Stettin. In einen solchen Ruf wünscht aber der Direktor die Anstalt nie¬ mals gelangen zu lassen. Dagegen ist es durchaus gebräuchlich, daß sich Leute, die ihre Studien an einer norddeutschen, sagen wir, preußischen Uni¬ versität gemacht haben und dort oder in der Nähe einheimisch sind, an eine weitabliegende, ihnen fremde Universität zur Erlangung des Doktortitels wenden. Die so angegangne fremde Universität kennt die Gründe dieses auf¬ fallenden Verhaltens ganz genau: der Bewerber fürchtet deu wissenschaftlichen Anforderungen, die die Heimatsnniversität an die Erlangung des Titels stellt, nicht gerecht zu werden, wohl aber denen der von ihm angegangnen fremden Universität. Und dabei sind diese Anforderungen „auf dem Papier" gleich: eine wissenschaftliche Arbeit und eine mündliche Prüfung werden bei allen Uni¬ versitäten verlangt. Die eine Fakultät aber läßt eine von dem Bewerber einge¬ reichte Arbeit als „Doktordissertation" gelten, während diese von der Fakultät einer andern Universität als wertlos mit Entrüstung zurückgewiesen werden würde; und Kenntnisse, die die eine Fakultät als zum Nachweis „wissenschaftlicher Eru¬ dition" beim tCn.es.men riMrosum für genügend hält, würden von der andern Fakultät als völlig ungenügend bezeichnet werden. Das merkwürdige ist, daß Zu¬ stände dieser Art nur gerade bei dieser Fakultätsprüfung zum Doktor gelten, während sie bei staatlichen Prüfungen unerhört wären. Das Maß der Kenntnisse, die eine staatliche Behörde bei der Abiturientenprüfung, bei der Prüfung als prak¬ tischer Arzt, als Oberlehrer, als Richter oder Referendar verlangt, ist im wehend- *) In den evangelisch-theologischen Fakultäten wird der Titel nur Il.nuori« paon ver¬ liehen. Über die Handhabung in den katholisch-theologischen Fakultäten läßt sich bei der ver¬ hältnismäßigen Seltenheit der Promotionen kaum ein Urteil gewinnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/435>, abgerufen am 27.12.2024.