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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Schutz der persönlichen Freiheit

Grund der Verhaftung zu nennen und ans das Rechtsmittel der Beschwerde
hinzuweisen ist. Ein Haftbefehl darf nur erlassen werden, wenn dringende
Verdachtsgründe gegen den zu Verhaftenden vorliegen, dieser der Flucht ver¬
dächtig ist, oder wenn zu befürchten steht, daß er die Spuren der That oder
die Beweismittel vernichten könnte. Der Fluchtverdacht ist ohne weiteres als
begründet anzusehen, wenn ein Verbrechen Gegenstand der Untersuchung ist,
oder der vermeintliche Thäter ein Landstreicher oder unfähig ist, sich über
seine Person auszuweisen, endlich, wenn er ein Ausländer ist, und wenn zu
befürchten steht, daß er der Ladung zum Termin nicht Folge leisten werde.
Die verhängte Haft darf höchstens bis zur Dauer von vier Wochen ausgedehnt
werden, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die öffentliche Klage erhoben wird.
Ist dies der Fall, so ist keine Grenze der Haft vorgesehen. Und es ist nicht
zu leugnen, daß es manchmal recht lange dauert, bis eine Voruntersuchung
abgeschlossen ist und die Hauptverhandlung stattfinden kann.

Grundverschieden von der in dieser Weise geregelten Untersuchungshaft
ist die Haft, die verhängt werden kann, wenn ein Schuldner die Zwangs¬
vollstreckung zu vereiteln droht, oder wenn in dem Falle des Konkurses der
Gemeinschuldner durch sein Verhalten die Masse gefährdet; ferner die Zwangs¬
haft gegen Zeugen, die nicht aussagen wollen, und den Schuldner, der den
Offenbarungseid nicht leisten will; endlich die sich der Strafhaft schon nähernde
Haft, die vom Gericht über Personen verhängt werden kann, die sich in der
Sitzung ungebührlich benehmen oder den Anordnungen des Gerichts nicht
Folge leisten.

Streng von der Verhaftung zu unterscheiden ist die sogenannte vorläufige
Festnahme. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß letztere
nur so lauge dauern darf, als erforderlich ist, die Entscheidung des Richters
anzurufen. Denn ein für allemal gilt der Grundsatz, daß uur der Richter über
die persönliche Freiheit seiner Mitbürger zu entscheiden hat. Dem Amtsrichter
ist daher der Festgenommene unverzüglich vorzuführen, und dieser hat ihn
spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen. Zur vorläufigen
Festnahme ist unter Umständen jedermann befugt, dann nämlich, wenn er
einen andern bei Begehung einer strafbaren Handlung auf frischer That oder
bei der unmittelbaren Verfolgung ergreift, und dieser der weiter" Flucht ver¬
dächtig ist oder sich über seine Person nicht ausweisen kann. Dabei ist die
Schwere der strafbaren Handlung ganz gleichgiltig. Ich kann z. B. einen
Bettler, einen Jungen, der mich mit Steinen wirft, jemand, der ruhestörenden
Lärm verübt, wenn die andern Voraussetzungen vorhanden sind, so gut fest¬
nehmen wie einen Totschläger, ohne daß ich mich der Freiheitsberaubung
schuldig mache.

Die Staatsanwaltschaft und die Polizei- und Sicherheitsbeamten haben
das Recht zur vorläufigen Festnahme noch weiter dann, wenn die oben er-


Der Schutz der persönlichen Freiheit

Grund der Verhaftung zu nennen und ans das Rechtsmittel der Beschwerde
hinzuweisen ist. Ein Haftbefehl darf nur erlassen werden, wenn dringende
Verdachtsgründe gegen den zu Verhaftenden vorliegen, dieser der Flucht ver¬
dächtig ist, oder wenn zu befürchten steht, daß er die Spuren der That oder
die Beweismittel vernichten könnte. Der Fluchtverdacht ist ohne weiteres als
begründet anzusehen, wenn ein Verbrechen Gegenstand der Untersuchung ist,
oder der vermeintliche Thäter ein Landstreicher oder unfähig ist, sich über
seine Person auszuweisen, endlich, wenn er ein Ausländer ist, und wenn zu
befürchten steht, daß er der Ladung zum Termin nicht Folge leisten werde.
Die verhängte Haft darf höchstens bis zur Dauer von vier Wochen ausgedehnt
werden, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die öffentliche Klage erhoben wird.
Ist dies der Fall, so ist keine Grenze der Haft vorgesehen. Und es ist nicht
zu leugnen, daß es manchmal recht lange dauert, bis eine Voruntersuchung
abgeschlossen ist und die Hauptverhandlung stattfinden kann.

Grundverschieden von der in dieser Weise geregelten Untersuchungshaft
ist die Haft, die verhängt werden kann, wenn ein Schuldner die Zwangs¬
vollstreckung zu vereiteln droht, oder wenn in dem Falle des Konkurses der
Gemeinschuldner durch sein Verhalten die Masse gefährdet; ferner die Zwangs¬
haft gegen Zeugen, die nicht aussagen wollen, und den Schuldner, der den
Offenbarungseid nicht leisten will; endlich die sich der Strafhaft schon nähernde
Haft, die vom Gericht über Personen verhängt werden kann, die sich in der
Sitzung ungebührlich benehmen oder den Anordnungen des Gerichts nicht
Folge leisten.

Streng von der Verhaftung zu unterscheiden ist die sogenannte vorläufige
Festnahme. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß letztere
nur so lauge dauern darf, als erforderlich ist, die Entscheidung des Richters
anzurufen. Denn ein für allemal gilt der Grundsatz, daß uur der Richter über
die persönliche Freiheit seiner Mitbürger zu entscheiden hat. Dem Amtsrichter
ist daher der Festgenommene unverzüglich vorzuführen, und dieser hat ihn
spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen. Zur vorläufigen
Festnahme ist unter Umständen jedermann befugt, dann nämlich, wenn er
einen andern bei Begehung einer strafbaren Handlung auf frischer That oder
bei der unmittelbaren Verfolgung ergreift, und dieser der weiter» Flucht ver¬
dächtig ist oder sich über seine Person nicht ausweisen kann. Dabei ist die
Schwere der strafbaren Handlung ganz gleichgiltig. Ich kann z. B. einen
Bettler, einen Jungen, der mich mit Steinen wirft, jemand, der ruhestörenden
Lärm verübt, wenn die andern Voraussetzungen vorhanden sind, so gut fest¬
nehmen wie einen Totschläger, ohne daß ich mich der Freiheitsberaubung
schuldig mache.

Die Staatsanwaltschaft und die Polizei- und Sicherheitsbeamten haben
das Recht zur vorläufigen Festnahme noch weiter dann, wenn die oben er-


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[0430] Der Schutz der persönlichen Freiheit Grund der Verhaftung zu nennen und ans das Rechtsmittel der Beschwerde hinzuweisen ist. Ein Haftbefehl darf nur erlassen werden, wenn dringende Verdachtsgründe gegen den zu Verhaftenden vorliegen, dieser der Flucht ver¬ dächtig ist, oder wenn zu befürchten steht, daß er die Spuren der That oder die Beweismittel vernichten könnte. Der Fluchtverdacht ist ohne weiteres als begründet anzusehen, wenn ein Verbrechen Gegenstand der Untersuchung ist, oder der vermeintliche Thäter ein Landstreicher oder unfähig ist, sich über seine Person auszuweisen, endlich, wenn er ein Ausländer ist, und wenn zu befürchten steht, daß er der Ladung zum Termin nicht Folge leisten werde. Die verhängte Haft darf höchstens bis zur Dauer von vier Wochen ausgedehnt werden, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die öffentliche Klage erhoben wird. Ist dies der Fall, so ist keine Grenze der Haft vorgesehen. Und es ist nicht zu leugnen, daß es manchmal recht lange dauert, bis eine Voruntersuchung abgeschlossen ist und die Hauptverhandlung stattfinden kann. Grundverschieden von der in dieser Weise geregelten Untersuchungshaft ist die Haft, die verhängt werden kann, wenn ein Schuldner die Zwangs¬ vollstreckung zu vereiteln droht, oder wenn in dem Falle des Konkurses der Gemeinschuldner durch sein Verhalten die Masse gefährdet; ferner die Zwangs¬ haft gegen Zeugen, die nicht aussagen wollen, und den Schuldner, der den Offenbarungseid nicht leisten will; endlich die sich der Strafhaft schon nähernde Haft, die vom Gericht über Personen verhängt werden kann, die sich in der Sitzung ungebührlich benehmen oder den Anordnungen des Gerichts nicht Folge leisten. Streng von der Verhaftung zu unterscheiden ist die sogenannte vorläufige Festnahme. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß letztere nur so lauge dauern darf, als erforderlich ist, die Entscheidung des Richters anzurufen. Denn ein für allemal gilt der Grundsatz, daß uur der Richter über die persönliche Freiheit seiner Mitbürger zu entscheiden hat. Dem Amtsrichter ist daher der Festgenommene unverzüglich vorzuführen, und dieser hat ihn spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen. Zur vorläufigen Festnahme ist unter Umständen jedermann befugt, dann nämlich, wenn er einen andern bei Begehung einer strafbaren Handlung auf frischer That oder bei der unmittelbaren Verfolgung ergreift, und dieser der weiter» Flucht ver¬ dächtig ist oder sich über seine Person nicht ausweisen kann. Dabei ist die Schwere der strafbaren Handlung ganz gleichgiltig. Ich kann z. B. einen Bettler, einen Jungen, der mich mit Steinen wirft, jemand, der ruhestörenden Lärm verübt, wenn die andern Voraussetzungen vorhanden sind, so gut fest¬ nehmen wie einen Totschläger, ohne daß ich mich der Freiheitsberaubung schuldig mache. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei- und Sicherheitsbeamten haben das Recht zur vorläufigen Festnahme noch weiter dann, wenn die oben er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/430>, abgerufen am 27.12.2024.