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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Siams Kulturbestrebungen und Deutschlands Anteil

und hier lernte er die europäische Verwaltung durch eigne Anschauung kennen.
Von da an beseelte ihn lebhaft der Wunsch, auch sein Land allmählich der
Kultur zuzuführen.

Die Regierungsform im siamesischen Reiche war absolut, aber beschränkt
durch die Herrschaft des Adels. Ohne heftige Stürme ging es daher nicht
ab, als der junge König seine Ideen durchzuführen versuchte. Seit dem
8. Mai 1874 übt der König die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit
dem großen Staatsrate und dem Ministerrate aus. Die Minister und Prinzen
sind meist Brüder des Königs. Die Beamten zerfallen in fünf Rangklassen.
Unter ihnen giebt es mehr gebildete Siamesen, als man gewöhnlich anzunehmen
pflegt. Die Bestrebungen des Königs gehen vor allem darauf aus, einen
tüchtigen Beamtenstand zu schaffen. Deshalb zieht er europäische Beamte ins
Land, auch läßt er junge Siamesen in Europa dazu heranbilden. In diesem
Bestreben wird der König von einer Anzahl von Prinzen unterstützt. Es
giebt aber auch am Hofe und unter den Beamten eine Sippe, die von dieser
Neuordnung nach europäischer Weise nichts wissen will und den königlichen
Befehlen teils offen, teils im geheimen Widerstand leistet oder sie durch
morgenländische Thatennnlust vereitelt. Da der König öfter durch Vorspiege¬
lungen getäuscht wurde, so faßte er den Beschluß, Europa selbst zu besuchen
und sich von den Einrichtungen an Ort und Stelle zu überzeugen. Diesen
Beschluß hat er auch im Jahre 1897 ausgeführt.

Nach seiner Rückkehr aus Europa, anfangs Januar dieses Jahres, brachten
ihm dreitausend Priester im Welt Prakeo, in der Tempelstadt zu Bangkok,
eine Huldigung dar. Auf diese antwortete der König, umgeben von seinem
Hofstaate, von den Vertretern der fremden Mächte, von Hunderten von Offi¬
zieren und Beamten und von Abordnungen ans allen Teilen des Landes.
Diese Antwort ist von höchster Bedeutung für die gesamte Entwicklung Siams.
Der König schloß mit der Aufforderung an sein Volk, es möge mit ihm einen
festen Bund schließen, um Siam glücklich zu machen. Gute Gesetze wolle er
ihnen geben, und eine gerechte Verteilung der öffentlichen Lasten solle folgen.
Laßt uns treu zusammenhalten und nicht nur das, was nützlich ist, ausführen,
sondern auch das, was edel und gut ist! Laßt uns nicht blind bewundern,
was fremd ist, und verachten, was siamesisch ist, laßt uns aber auch nicht
alles loben, was siamesisch und tadeln, was fremd ist! Es ist wohl bekannt,
daß der König auf dieser Reise unsre deutschen Herrscher und den Fürsten
Bismarck in Friedrichsruh besucht hat, denn aus seiner Neigung für Deutsch¬
land macht der König kein Hehl. Daß gerade Deutschland sein Augenmerk
auf sich zog, lag daran, daß zu derselben Zeit, wo sich in Siam eine bedeut¬
same innere Umwälzung vollzog, auch unser deutsches Vaterland zu einem
großen Reiche zusammenwuchs. Wie es die Aufmerksamkeit der ganzen Welt
auf sich lenkte, so konnte sich auch der junge, strebsame König von Siam diesen
Eindrücken nicht entziehen.


Siams Kulturbestrebungen und Deutschlands Anteil

und hier lernte er die europäische Verwaltung durch eigne Anschauung kennen.
Von da an beseelte ihn lebhaft der Wunsch, auch sein Land allmählich der
Kultur zuzuführen.

Die Regierungsform im siamesischen Reiche war absolut, aber beschränkt
durch die Herrschaft des Adels. Ohne heftige Stürme ging es daher nicht
ab, als der junge König seine Ideen durchzuführen versuchte. Seit dem
8. Mai 1874 übt der König die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit
dem großen Staatsrate und dem Ministerrate aus. Die Minister und Prinzen
sind meist Brüder des Königs. Die Beamten zerfallen in fünf Rangklassen.
Unter ihnen giebt es mehr gebildete Siamesen, als man gewöhnlich anzunehmen
pflegt. Die Bestrebungen des Königs gehen vor allem darauf aus, einen
tüchtigen Beamtenstand zu schaffen. Deshalb zieht er europäische Beamte ins
Land, auch läßt er junge Siamesen in Europa dazu heranbilden. In diesem
Bestreben wird der König von einer Anzahl von Prinzen unterstützt. Es
giebt aber auch am Hofe und unter den Beamten eine Sippe, die von dieser
Neuordnung nach europäischer Weise nichts wissen will und den königlichen
Befehlen teils offen, teils im geheimen Widerstand leistet oder sie durch
morgenländische Thatennnlust vereitelt. Da der König öfter durch Vorspiege¬
lungen getäuscht wurde, so faßte er den Beschluß, Europa selbst zu besuchen
und sich von den Einrichtungen an Ort und Stelle zu überzeugen. Diesen
Beschluß hat er auch im Jahre 1897 ausgeführt.

Nach seiner Rückkehr aus Europa, anfangs Januar dieses Jahres, brachten
ihm dreitausend Priester im Welt Prakeo, in der Tempelstadt zu Bangkok,
eine Huldigung dar. Auf diese antwortete der König, umgeben von seinem
Hofstaate, von den Vertretern der fremden Mächte, von Hunderten von Offi¬
zieren und Beamten und von Abordnungen ans allen Teilen des Landes.
Diese Antwort ist von höchster Bedeutung für die gesamte Entwicklung Siams.
Der König schloß mit der Aufforderung an sein Volk, es möge mit ihm einen
festen Bund schließen, um Siam glücklich zu machen. Gute Gesetze wolle er
ihnen geben, und eine gerechte Verteilung der öffentlichen Lasten solle folgen.
Laßt uns treu zusammenhalten und nicht nur das, was nützlich ist, ausführen,
sondern auch das, was edel und gut ist! Laßt uns nicht blind bewundern,
was fremd ist, und verachten, was siamesisch ist, laßt uns aber auch nicht
alles loben, was siamesisch und tadeln, was fremd ist! Es ist wohl bekannt,
daß der König auf dieser Reise unsre deutschen Herrscher und den Fürsten
Bismarck in Friedrichsruh besucht hat, denn aus seiner Neigung für Deutsch¬
land macht der König kein Hehl. Daß gerade Deutschland sein Augenmerk
auf sich zog, lag daran, daß zu derselben Zeit, wo sich in Siam eine bedeut¬
same innere Umwälzung vollzog, auch unser deutsches Vaterland zu einem
großen Reiche zusammenwuchs. Wie es die Aufmerksamkeit der ganzen Welt
auf sich lenkte, so konnte sich auch der junge, strebsame König von Siam diesen
Eindrücken nicht entziehen.


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[0418] Siams Kulturbestrebungen und Deutschlands Anteil und hier lernte er die europäische Verwaltung durch eigne Anschauung kennen. Von da an beseelte ihn lebhaft der Wunsch, auch sein Land allmählich der Kultur zuzuführen. Die Regierungsform im siamesischen Reiche war absolut, aber beschränkt durch die Herrschaft des Adels. Ohne heftige Stürme ging es daher nicht ab, als der junge König seine Ideen durchzuführen versuchte. Seit dem 8. Mai 1874 übt der König die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem großen Staatsrate und dem Ministerrate aus. Die Minister und Prinzen sind meist Brüder des Königs. Die Beamten zerfallen in fünf Rangklassen. Unter ihnen giebt es mehr gebildete Siamesen, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt. Die Bestrebungen des Königs gehen vor allem darauf aus, einen tüchtigen Beamtenstand zu schaffen. Deshalb zieht er europäische Beamte ins Land, auch läßt er junge Siamesen in Europa dazu heranbilden. In diesem Bestreben wird der König von einer Anzahl von Prinzen unterstützt. Es giebt aber auch am Hofe und unter den Beamten eine Sippe, die von dieser Neuordnung nach europäischer Weise nichts wissen will und den königlichen Befehlen teils offen, teils im geheimen Widerstand leistet oder sie durch morgenländische Thatennnlust vereitelt. Da der König öfter durch Vorspiege¬ lungen getäuscht wurde, so faßte er den Beschluß, Europa selbst zu besuchen und sich von den Einrichtungen an Ort und Stelle zu überzeugen. Diesen Beschluß hat er auch im Jahre 1897 ausgeführt. Nach seiner Rückkehr aus Europa, anfangs Januar dieses Jahres, brachten ihm dreitausend Priester im Welt Prakeo, in der Tempelstadt zu Bangkok, eine Huldigung dar. Auf diese antwortete der König, umgeben von seinem Hofstaate, von den Vertretern der fremden Mächte, von Hunderten von Offi¬ zieren und Beamten und von Abordnungen ans allen Teilen des Landes. Diese Antwort ist von höchster Bedeutung für die gesamte Entwicklung Siams. Der König schloß mit der Aufforderung an sein Volk, es möge mit ihm einen festen Bund schließen, um Siam glücklich zu machen. Gute Gesetze wolle er ihnen geben, und eine gerechte Verteilung der öffentlichen Lasten solle folgen. Laßt uns treu zusammenhalten und nicht nur das, was nützlich ist, ausführen, sondern auch das, was edel und gut ist! Laßt uns nicht blind bewundern, was fremd ist, und verachten, was siamesisch ist, laßt uns aber auch nicht alles loben, was siamesisch und tadeln, was fremd ist! Es ist wohl bekannt, daß der König auf dieser Reise unsre deutschen Herrscher und den Fürsten Bismarck in Friedrichsruh besucht hat, denn aus seiner Neigung für Deutsch¬ land macht der König kein Hehl. Daß gerade Deutschland sein Augenmerk auf sich zog, lag daran, daß zu derselben Zeit, wo sich in Siam eine bedeut¬ same innere Umwälzung vollzog, auch unser deutsches Vaterland zu einem großen Reiche zusammenwuchs. Wie es die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich lenkte, so konnte sich auch der junge, strebsame König von Siam diesen Eindrücken nicht entziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/418>, abgerufen am 23.07.2024.