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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

Fuße, wartet aber eifrig seines Dienstes und ist im Notfall bereit, statt mit
Vagabunden von zweifelhafter, mit Sträflingen von unzweifelhafter Vergangenheit
vorlieb zu nehmen. (Geheime Kanzleiakten. 173. Großherz. Se. - A.) Da
auch die "Regierungen" von Weimar und Eisenach "gegen die Überlieferung
von Züchtlingen nichts einzuwenden hatten," so wurden die Herzen der Werber
von Zeit zu Zeit mit Geschenken dieser Art erfreut. So gab man 1782 den
Züchtling H. Simon aus Ostheim an Herrn von Wolffsberg, im nächstfolgenden
Jahre den "im Zuchthause zu Eisenach sitzenden Vagabunden Johann Andreas
Bentziger aus dem Chursächsischen bürtig" an den königlich preußischen Ritt¬
meister von Goechhausen ab und widmete, um die Unparteilichkeit zu wahren,
den Züchtling Gottlob Hürtel aus Werthau der kaiserlichen Werbung zu
Erfurt. Im Jahre 1785, gegen das Ende von Goethes Kriegsministerschaft,
wanderte gar ein Jnsasse des Zuchthauses zu Eisenach, Fr. M. Mehrmann aus
Großrudestedt, hoffentlich zu seiner Besserung, in holländische Kriegsdienste.
(Geheime Kanzleiakten. 179. 180. 195. Grvßherz. Se.-A.)

Das sind nur ein paar Beispiele von vielen; sie würden stark ver¬
mehrt werden können und immer nur dasselbe unerfreuliche Bild geben.
Natürlich begnügten sich die Werbeoffiziere keineswegs mit diesen traurigen
Subjekten, sondern versuchten fort und fort, auch die unbescholtnen kräftigen
Burschen des weimarischen Landes einzufangen.

Goethes Abneigung gegen dies ganze Werde- und Werberwesen führte immer
wieder zu der Zurückweisung der unablässig erneuerten Gesuche. Wer dem
Herzog gut empfohlen zu sein glaubte, hoffte für sich eine Ausnahme; noch 1785
richtete der Oberst de Grauges aus Mittenwalde in der Mark ein Gesuch um
Gestattung der Werbung "für sein unterhabendes Freijägerbataillon" an
die fürstlich sächsische Kriegskommission. Die Anschauung und Stimmung
Goethes gegenüber der üblichen Reisläuferei giebt sich auch darin kund, daß
er die Gnadengesuche der freiwillig in fremdherrische Kriegsdienste eingetretnen
weimarischen Unterthanen, die nach dem strengen Patent Herzog Ernst Augusts
mit empfindlichen Vermögensverlusten bedroht waren, keineswegs befürwortete.
Auch verabschiedeten Soldaten gegenüber machte er geltend, daß "erteilter
Abschied keine Erlaubnis zum Eintritt in fremde Kriegsdienste einschließe."
(Geheime Kanzleiakten 1779--1810. Fol. 164. Großherzogliches Staatsarchiv.)

Am bekanntesten von Goethes Thätigkeit als "Kriegsminister" sind seine
Fahrten durch das weimarische Land zur Rekrutenaushebung geworden. Die
erste dieser Fahrten im Frühling 1779 fiel mit dem Beginn und der Weiter-
führung der Jphigeniendichtung in ihrer ursprünglichen (Prosa-) Gestalt zu¬
sammen, und unzähligemale sind die charakteristischen Ausrufungen des Dichters
aus seinen Briefen an Charlotte von Stein zitirt worden. Am 14. Februar
früh hatte er die "Iphigenia" angefangen zu diktiren, noch am 24. abends
an dieser Dichtung geträumt, am 26. und 27. hatte er in Weimar die "erste
Auslesung der jungen Mannschaft" zu besorgen. Am 1. März war Aushebung


Goethe als Kriegsminister

Fuße, wartet aber eifrig seines Dienstes und ist im Notfall bereit, statt mit
Vagabunden von zweifelhafter, mit Sträflingen von unzweifelhafter Vergangenheit
vorlieb zu nehmen. (Geheime Kanzleiakten. 173. Großherz. Se. - A.) Da
auch die „Regierungen" von Weimar und Eisenach „gegen die Überlieferung
von Züchtlingen nichts einzuwenden hatten," so wurden die Herzen der Werber
von Zeit zu Zeit mit Geschenken dieser Art erfreut. So gab man 1782 den
Züchtling H. Simon aus Ostheim an Herrn von Wolffsberg, im nächstfolgenden
Jahre den „im Zuchthause zu Eisenach sitzenden Vagabunden Johann Andreas
Bentziger aus dem Chursächsischen bürtig" an den königlich preußischen Ritt¬
meister von Goechhausen ab und widmete, um die Unparteilichkeit zu wahren,
den Züchtling Gottlob Hürtel aus Werthau der kaiserlichen Werbung zu
Erfurt. Im Jahre 1785, gegen das Ende von Goethes Kriegsministerschaft,
wanderte gar ein Jnsasse des Zuchthauses zu Eisenach, Fr. M. Mehrmann aus
Großrudestedt, hoffentlich zu seiner Besserung, in holländische Kriegsdienste.
(Geheime Kanzleiakten. 179. 180. 195. Grvßherz. Se.-A.)

Das sind nur ein paar Beispiele von vielen; sie würden stark ver¬
mehrt werden können und immer nur dasselbe unerfreuliche Bild geben.
Natürlich begnügten sich die Werbeoffiziere keineswegs mit diesen traurigen
Subjekten, sondern versuchten fort und fort, auch die unbescholtnen kräftigen
Burschen des weimarischen Landes einzufangen.

Goethes Abneigung gegen dies ganze Werde- und Werberwesen führte immer
wieder zu der Zurückweisung der unablässig erneuerten Gesuche. Wer dem
Herzog gut empfohlen zu sein glaubte, hoffte für sich eine Ausnahme; noch 1785
richtete der Oberst de Grauges aus Mittenwalde in der Mark ein Gesuch um
Gestattung der Werbung „für sein unterhabendes Freijägerbataillon" an
die fürstlich sächsische Kriegskommission. Die Anschauung und Stimmung
Goethes gegenüber der üblichen Reisläuferei giebt sich auch darin kund, daß
er die Gnadengesuche der freiwillig in fremdherrische Kriegsdienste eingetretnen
weimarischen Unterthanen, die nach dem strengen Patent Herzog Ernst Augusts
mit empfindlichen Vermögensverlusten bedroht waren, keineswegs befürwortete.
Auch verabschiedeten Soldaten gegenüber machte er geltend, daß „erteilter
Abschied keine Erlaubnis zum Eintritt in fremde Kriegsdienste einschließe."
(Geheime Kanzleiakten 1779—1810. Fol. 164. Großherzogliches Staatsarchiv.)

Am bekanntesten von Goethes Thätigkeit als „Kriegsminister" sind seine
Fahrten durch das weimarische Land zur Rekrutenaushebung geworden. Die
erste dieser Fahrten im Frühling 1779 fiel mit dem Beginn und der Weiter-
führung der Jphigeniendichtung in ihrer ursprünglichen (Prosa-) Gestalt zu¬
sammen, und unzähligemale sind die charakteristischen Ausrufungen des Dichters
aus seinen Briefen an Charlotte von Stein zitirt worden. Am 14. Februar
früh hatte er die „Iphigenia" angefangen zu diktiren, noch am 24. abends
an dieser Dichtung geträumt, am 26. und 27. hatte er in Weimar die „erste
Auslesung der jungen Mannschaft" zu besorgen. Am 1. März war Aushebung


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[0388] Goethe als Kriegsminister Fuße, wartet aber eifrig seines Dienstes und ist im Notfall bereit, statt mit Vagabunden von zweifelhafter, mit Sträflingen von unzweifelhafter Vergangenheit vorlieb zu nehmen. (Geheime Kanzleiakten. 173. Großherz. Se. - A.) Da auch die „Regierungen" von Weimar und Eisenach „gegen die Überlieferung von Züchtlingen nichts einzuwenden hatten," so wurden die Herzen der Werber von Zeit zu Zeit mit Geschenken dieser Art erfreut. So gab man 1782 den Züchtling H. Simon aus Ostheim an Herrn von Wolffsberg, im nächstfolgenden Jahre den „im Zuchthause zu Eisenach sitzenden Vagabunden Johann Andreas Bentziger aus dem Chursächsischen bürtig" an den königlich preußischen Ritt¬ meister von Goechhausen ab und widmete, um die Unparteilichkeit zu wahren, den Züchtling Gottlob Hürtel aus Werthau der kaiserlichen Werbung zu Erfurt. Im Jahre 1785, gegen das Ende von Goethes Kriegsministerschaft, wanderte gar ein Jnsasse des Zuchthauses zu Eisenach, Fr. M. Mehrmann aus Großrudestedt, hoffentlich zu seiner Besserung, in holländische Kriegsdienste. (Geheime Kanzleiakten. 179. 180. 195. Grvßherz. Se.-A.) Das sind nur ein paar Beispiele von vielen; sie würden stark ver¬ mehrt werden können und immer nur dasselbe unerfreuliche Bild geben. Natürlich begnügten sich die Werbeoffiziere keineswegs mit diesen traurigen Subjekten, sondern versuchten fort und fort, auch die unbescholtnen kräftigen Burschen des weimarischen Landes einzufangen. Goethes Abneigung gegen dies ganze Werde- und Werberwesen führte immer wieder zu der Zurückweisung der unablässig erneuerten Gesuche. Wer dem Herzog gut empfohlen zu sein glaubte, hoffte für sich eine Ausnahme; noch 1785 richtete der Oberst de Grauges aus Mittenwalde in der Mark ein Gesuch um Gestattung der Werbung „für sein unterhabendes Freijägerbataillon" an die fürstlich sächsische Kriegskommission. Die Anschauung und Stimmung Goethes gegenüber der üblichen Reisläuferei giebt sich auch darin kund, daß er die Gnadengesuche der freiwillig in fremdherrische Kriegsdienste eingetretnen weimarischen Unterthanen, die nach dem strengen Patent Herzog Ernst Augusts mit empfindlichen Vermögensverlusten bedroht waren, keineswegs befürwortete. Auch verabschiedeten Soldaten gegenüber machte er geltend, daß „erteilter Abschied keine Erlaubnis zum Eintritt in fremde Kriegsdienste einschließe." (Geheime Kanzleiakten 1779—1810. Fol. 164. Großherzogliches Staatsarchiv.) Am bekanntesten von Goethes Thätigkeit als „Kriegsminister" sind seine Fahrten durch das weimarische Land zur Rekrutenaushebung geworden. Die erste dieser Fahrten im Frühling 1779 fiel mit dem Beginn und der Weiter- führung der Jphigeniendichtung in ihrer ursprünglichen (Prosa-) Gestalt zu¬ sammen, und unzähligemale sind die charakteristischen Ausrufungen des Dichters aus seinen Briefen an Charlotte von Stein zitirt worden. Am 14. Februar früh hatte er die „Iphigenia" angefangen zu diktiren, noch am 24. abends an dieser Dichtung geträumt, am 26. und 27. hatte er in Weimar die „erste Auslesung der jungen Mannschaft" zu besorgen. Am 1. März war Aushebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/388>, abgerufen am 27.12.2024.