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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

An ein psychologisches Problem der alten Heldensage erinnert auch der
Roman Antje Berg Holm von Hanns vonZobeltitz (Dresden, Karl Reißner).
Hier ist es der Siegfried, der zwischen zwei Mädchen steht und lange Zeit
braucht, ehe er seiner Sache sicher wird. Siegfried ist eigentlich dabei zu
viel gesagt. Es ist vielmehr ein Stück vom deutschen Michel, der in Gestalt
eines bayrischen Tiefbautechmkers nach der deutschen Nordmark berufen wird,
um seine Wissenschaft, mehr aber noch seine Rechtlichkeit an den Arbeiten am
Nordostseckanal zu erproben. Sehr bald gerät er in einen Konflikt zwischen
seiner Amtspflicht und seinem Herzen. Einer der Unternehmer, die für die
Ausführung und rechtzeitige Beendigung der Erdarbeiten zu sorgen haben,
einer von den rücksichtslosen Spekulanten aus der Schule Strousbergs, von
dem er aber nur seine schlechten Seiten, nicht aber auch die Weltgewandtheit
und den äußern Schliff angenommen hat, erregt zuerst die Kampflust des
Bajnvaren. Im Gegensatz zu vielen seiner süddeutschen Brüder, denen Gemüt¬
lichkeit und lässige Nachsicht beim behaglichen Genuß des Daseins unentbehrlich
sind, zeigt er norddeutsche, fast preußische Schneidigkeit. In seinem mensch¬
lichen Dasein, in den Gefühlen, die außeramtlich sein Herz bewegen, ist er
aber ein schwankendes, jedem Windhauche gefügiges Rohr. Bald führt ihn eine
Aufwallung edler Ritterlichkeit und innigen Mitgefühls zu Antje Bergholm,
der schuldlosen, unverdorbnen Tochter des durchtriebnen Bauunternehmers, bald
treiben ihn ästhetische Neigungen und selbstsüchtige Regungen zu der ehrgeizigen
Tochter eines Oberstleutnants, der in dem kleinen Kanalnest mit der großen
Zukunft die Stelle eines Varackeuinspektors bekleidet. Der Kampf zwischen
der naiven Bescheidenheit der jungen, kaum erblühten Mädchenknospe und dem
Selbstbewußtsein einer gereiften Weltdame wogt lange unentschieden hin und
her, bis sich endlich der Held aus seinem Traumleben wieder in die Wirklichkeit
zurückfindet und das Veilchen pflückt, dessen stillen Zauber ihm die berauschende
Pracht der Rose geraume Zeit entrückt hat.

In dem Roman geht natürlich alles nicht'so poetisch zu, wie unser
Gleichnis angedeutet hat. Es treten sogar die gemeinen Interessen des Tages
viel stärker in den Vordergrund, als es sich mit einer gewöhnlichen Liebes¬
geschichte zu vertragen scheint. Aber gerade in der Schilderung der Um¬
gebung, in der der Kampf der beiden Frauen um ihren Helden ausgefochten
wird, hat der Verfasser sein Bestes gegeben. Es ist keine einfache Schilderung
der Natur des nördlichen Holsteins, sondern die des Ringens der Menschen
mit der Natur. Es ist die Zeit, wo das Bett für den Kanal gegraben wurde,
der die Ostsee mit der Nordsee verbinden sollte, die Zeit, wo das Brausen
und Zischen der Maschinen, das rastlose Auf und Nieder der Dampfbagger, das
Krachen der Dampframmen die Totenstille der Moorgegenden unterbrach, und wo
von der Welt abgeschiedn? Flecken und Ansiedlungen plötzlich zu Mittelpunkten
lebhaften Verkehrs und regen Handels wurden. Die Einzelschilderungen dieses


Neue Romane und Novellen

An ein psychologisches Problem der alten Heldensage erinnert auch der
Roman Antje Berg Holm von Hanns vonZobeltitz (Dresden, Karl Reißner).
Hier ist es der Siegfried, der zwischen zwei Mädchen steht und lange Zeit
braucht, ehe er seiner Sache sicher wird. Siegfried ist eigentlich dabei zu
viel gesagt. Es ist vielmehr ein Stück vom deutschen Michel, der in Gestalt
eines bayrischen Tiefbautechmkers nach der deutschen Nordmark berufen wird,
um seine Wissenschaft, mehr aber noch seine Rechtlichkeit an den Arbeiten am
Nordostseckanal zu erproben. Sehr bald gerät er in einen Konflikt zwischen
seiner Amtspflicht und seinem Herzen. Einer der Unternehmer, die für die
Ausführung und rechtzeitige Beendigung der Erdarbeiten zu sorgen haben,
einer von den rücksichtslosen Spekulanten aus der Schule Strousbergs, von
dem er aber nur seine schlechten Seiten, nicht aber auch die Weltgewandtheit
und den äußern Schliff angenommen hat, erregt zuerst die Kampflust des
Bajnvaren. Im Gegensatz zu vielen seiner süddeutschen Brüder, denen Gemüt¬
lichkeit und lässige Nachsicht beim behaglichen Genuß des Daseins unentbehrlich
sind, zeigt er norddeutsche, fast preußische Schneidigkeit. In seinem mensch¬
lichen Dasein, in den Gefühlen, die außeramtlich sein Herz bewegen, ist er
aber ein schwankendes, jedem Windhauche gefügiges Rohr. Bald führt ihn eine
Aufwallung edler Ritterlichkeit und innigen Mitgefühls zu Antje Bergholm,
der schuldlosen, unverdorbnen Tochter des durchtriebnen Bauunternehmers, bald
treiben ihn ästhetische Neigungen und selbstsüchtige Regungen zu der ehrgeizigen
Tochter eines Oberstleutnants, der in dem kleinen Kanalnest mit der großen
Zukunft die Stelle eines Varackeuinspektors bekleidet. Der Kampf zwischen
der naiven Bescheidenheit der jungen, kaum erblühten Mädchenknospe und dem
Selbstbewußtsein einer gereiften Weltdame wogt lange unentschieden hin und
her, bis sich endlich der Held aus seinem Traumleben wieder in die Wirklichkeit
zurückfindet und das Veilchen pflückt, dessen stillen Zauber ihm die berauschende
Pracht der Rose geraume Zeit entrückt hat.

In dem Roman geht natürlich alles nicht'so poetisch zu, wie unser
Gleichnis angedeutet hat. Es treten sogar die gemeinen Interessen des Tages
viel stärker in den Vordergrund, als es sich mit einer gewöhnlichen Liebes¬
geschichte zu vertragen scheint. Aber gerade in der Schilderung der Um¬
gebung, in der der Kampf der beiden Frauen um ihren Helden ausgefochten
wird, hat der Verfasser sein Bestes gegeben. Es ist keine einfache Schilderung
der Natur des nördlichen Holsteins, sondern die des Ringens der Menschen
mit der Natur. Es ist die Zeit, wo das Bett für den Kanal gegraben wurde,
der die Ostsee mit der Nordsee verbinden sollte, die Zeit, wo das Brausen
und Zischen der Maschinen, das rastlose Auf und Nieder der Dampfbagger, das
Krachen der Dampframmen die Totenstille der Moorgegenden unterbrach, und wo
von der Welt abgeschiedn? Flecken und Ansiedlungen plötzlich zu Mittelpunkten
lebhaften Verkehrs und regen Handels wurden. Die Einzelschilderungen dieses


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[0032] Neue Romane und Novellen An ein psychologisches Problem der alten Heldensage erinnert auch der Roman Antje Berg Holm von Hanns vonZobeltitz (Dresden, Karl Reißner). Hier ist es der Siegfried, der zwischen zwei Mädchen steht und lange Zeit braucht, ehe er seiner Sache sicher wird. Siegfried ist eigentlich dabei zu viel gesagt. Es ist vielmehr ein Stück vom deutschen Michel, der in Gestalt eines bayrischen Tiefbautechmkers nach der deutschen Nordmark berufen wird, um seine Wissenschaft, mehr aber noch seine Rechtlichkeit an den Arbeiten am Nordostseckanal zu erproben. Sehr bald gerät er in einen Konflikt zwischen seiner Amtspflicht und seinem Herzen. Einer der Unternehmer, die für die Ausführung und rechtzeitige Beendigung der Erdarbeiten zu sorgen haben, einer von den rücksichtslosen Spekulanten aus der Schule Strousbergs, von dem er aber nur seine schlechten Seiten, nicht aber auch die Weltgewandtheit und den äußern Schliff angenommen hat, erregt zuerst die Kampflust des Bajnvaren. Im Gegensatz zu vielen seiner süddeutschen Brüder, denen Gemüt¬ lichkeit und lässige Nachsicht beim behaglichen Genuß des Daseins unentbehrlich sind, zeigt er norddeutsche, fast preußische Schneidigkeit. In seinem mensch¬ lichen Dasein, in den Gefühlen, die außeramtlich sein Herz bewegen, ist er aber ein schwankendes, jedem Windhauche gefügiges Rohr. Bald führt ihn eine Aufwallung edler Ritterlichkeit und innigen Mitgefühls zu Antje Bergholm, der schuldlosen, unverdorbnen Tochter des durchtriebnen Bauunternehmers, bald treiben ihn ästhetische Neigungen und selbstsüchtige Regungen zu der ehrgeizigen Tochter eines Oberstleutnants, der in dem kleinen Kanalnest mit der großen Zukunft die Stelle eines Varackeuinspektors bekleidet. Der Kampf zwischen der naiven Bescheidenheit der jungen, kaum erblühten Mädchenknospe und dem Selbstbewußtsein einer gereiften Weltdame wogt lange unentschieden hin und her, bis sich endlich der Held aus seinem Traumleben wieder in die Wirklichkeit zurückfindet und das Veilchen pflückt, dessen stillen Zauber ihm die berauschende Pracht der Rose geraume Zeit entrückt hat. In dem Roman geht natürlich alles nicht'so poetisch zu, wie unser Gleichnis angedeutet hat. Es treten sogar die gemeinen Interessen des Tages viel stärker in den Vordergrund, als es sich mit einer gewöhnlichen Liebes¬ geschichte zu vertragen scheint. Aber gerade in der Schilderung der Um¬ gebung, in der der Kampf der beiden Frauen um ihren Helden ausgefochten wird, hat der Verfasser sein Bestes gegeben. Es ist keine einfache Schilderung der Natur des nördlichen Holsteins, sondern die des Ringens der Menschen mit der Natur. Es ist die Zeit, wo das Bett für den Kanal gegraben wurde, der die Ostsee mit der Nordsee verbinden sollte, die Zeit, wo das Brausen und Zischen der Maschinen, das rastlose Auf und Nieder der Dampfbagger, das Krachen der Dampframmen die Totenstille der Moorgegenden unterbrach, und wo von der Welt abgeschiedn? Flecken und Ansiedlungen plötzlich zu Mittelpunkten lebhaften Verkehrs und regen Handels wurden. Die Einzelschilderungen dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/32>, abgerufen am 23.07.2024.