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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die hannoverschen Nutioncilliberalen

Ministern gnädigst geduldet wurde, da jene Herren offenbar mit ihrem Libe¬
ralismus das konservative Regiment nicht im entferntesten schädigten und sich
als Abgeordnete -- was auch zuweilen vorkam -- zahm und musterhaft brav
verhielten. Einige von ihnen machten denn auch eine für ihre Fähigkeiten und
Ansprüche völlig ausreichende kleine Karriere und sind seitdem stille Männer
geworden. Manch echter Junker übrigens, der unter den Eulenburgs und unter
Puttkamer als Regierungsbeamter herüberkam, zeigte sich für das stille Liebes-
werben nationalliberaler Kreise schlechterdings unempfänglich; er war weit
mehr geneigt, den adlichen Welsen entgegenzukommen, um wenigstens den einen
oder andern seiner Standesgenossen in die seligen Gefilde der ostelbischen Kon¬
servativen hinüberzuleiten -- was freilich kaum gelang --, als sich mit Liberalen
zu befreunden, vor denen schon seine politische Amme gewarnt hatte, und deren
verschiedne Schnttirungen seinem ungeübten Ange nicht leicht sichtbar wurden.
Einige von diesen Herren haben nie begreifen können, wie außerordentlich wert¬
voll für eine konservative Regierung eine so traktable Gesellschaft wie die der
Nationalliberalen in manchen Zeitläuften sein mußte.

Immerhin traten in der Provinz Hannover gleich in den ersten Jahren
nach 1866 die Nationalliberalen als eine stattliche Macht auf. Ihre Partei
war dort der feste Punkt, um den sich alle Nationalgesinnten scharten. Sie
geboten über eine gutgeschulte Presse, die ihre Gedanken vertrieb, und der selbst
die meisten Kreis- und Amtsorgane angehörten. Die intelligenten Volks¬
schichten standen zum größten Teile zu ihnen. Bürgerliche Gutsbesitzer, Kauf¬
leute, Fabrikanten, der größte Teil der Richter, freier gestellte Verwciltuugs-
becnnte, die Bürgermeister und "Senatoren" der Städte mit den städtischen
Angestellten, staatliche Subalternbeamte, der größte Teil der Rechtsanwälte
und Ärzte wie der Lehrerschaft an den höhern Lehranstalten stellten sich in
ihre Reihen, während sich den Welsen besonders der welfische Adel, die Klein¬
bauern, viele Handwerker, die meisten Geistlichen und ein Teil der Volksschul-
lehrer, sowie die alten, meist inaktiven hannoverschen Beamten einschlossen.
In der That war der Nationalliberalismus in seiner Jugend, die freilich
viel zu früh einer kraftlosen Greisenhaftigkeit Platz machen sollte, Wohl ge¬
eignet, die hoffnungsfreudigen nationalgesinnten Elemente um sich zu ver¬
sammeln.

Im Reichstage wie im preußischen Landtage waren die hannoverschen
Mitglieder der nationalliberalen Fraktion der Kern des rechten Flügels, der
sich schon früh hie und da dem Zusammengehen mit der Fortschrittspartei
widersetzte, das bis etwa um die Mitte des siebenten Jahrzehnts in allen den
Liberalisinus angehenden Fragen die Regel war, und der sich auch gelegentlich
regierungsfreundlicher zeigte als der linke Flügel, was zuerst bei der Ab¬
stimmung über den Servis der Offiziere im Mai 1873 hervortrat. Es war
bezeichnend, daß Herr von Bennigsen und die Seinigen bei dieser keineswegs


Die hannoverschen Nutioncilliberalen

Ministern gnädigst geduldet wurde, da jene Herren offenbar mit ihrem Libe¬
ralismus das konservative Regiment nicht im entferntesten schädigten und sich
als Abgeordnete — was auch zuweilen vorkam — zahm und musterhaft brav
verhielten. Einige von ihnen machten denn auch eine für ihre Fähigkeiten und
Ansprüche völlig ausreichende kleine Karriere und sind seitdem stille Männer
geworden. Manch echter Junker übrigens, der unter den Eulenburgs und unter
Puttkamer als Regierungsbeamter herüberkam, zeigte sich für das stille Liebes-
werben nationalliberaler Kreise schlechterdings unempfänglich; er war weit
mehr geneigt, den adlichen Welsen entgegenzukommen, um wenigstens den einen
oder andern seiner Standesgenossen in die seligen Gefilde der ostelbischen Kon¬
servativen hinüberzuleiten — was freilich kaum gelang —, als sich mit Liberalen
zu befreunden, vor denen schon seine politische Amme gewarnt hatte, und deren
verschiedne Schnttirungen seinem ungeübten Ange nicht leicht sichtbar wurden.
Einige von diesen Herren haben nie begreifen können, wie außerordentlich wert¬
voll für eine konservative Regierung eine so traktable Gesellschaft wie die der
Nationalliberalen in manchen Zeitläuften sein mußte.

Immerhin traten in der Provinz Hannover gleich in den ersten Jahren
nach 1866 die Nationalliberalen als eine stattliche Macht auf. Ihre Partei
war dort der feste Punkt, um den sich alle Nationalgesinnten scharten. Sie
geboten über eine gutgeschulte Presse, die ihre Gedanken vertrieb, und der selbst
die meisten Kreis- und Amtsorgane angehörten. Die intelligenten Volks¬
schichten standen zum größten Teile zu ihnen. Bürgerliche Gutsbesitzer, Kauf¬
leute, Fabrikanten, der größte Teil der Richter, freier gestellte Verwciltuugs-
becnnte, die Bürgermeister und „Senatoren" der Städte mit den städtischen
Angestellten, staatliche Subalternbeamte, der größte Teil der Rechtsanwälte
und Ärzte wie der Lehrerschaft an den höhern Lehranstalten stellten sich in
ihre Reihen, während sich den Welsen besonders der welfische Adel, die Klein¬
bauern, viele Handwerker, die meisten Geistlichen und ein Teil der Volksschul-
lehrer, sowie die alten, meist inaktiven hannoverschen Beamten einschlossen.
In der That war der Nationalliberalismus in seiner Jugend, die freilich
viel zu früh einer kraftlosen Greisenhaftigkeit Platz machen sollte, Wohl ge¬
eignet, die hoffnungsfreudigen nationalgesinnten Elemente um sich zu ver¬
sammeln.

Im Reichstage wie im preußischen Landtage waren die hannoverschen
Mitglieder der nationalliberalen Fraktion der Kern des rechten Flügels, der
sich schon früh hie und da dem Zusammengehen mit der Fortschrittspartei
widersetzte, das bis etwa um die Mitte des siebenten Jahrzehnts in allen den
Liberalisinus angehenden Fragen die Regel war, und der sich auch gelegentlich
regierungsfreundlicher zeigte als der linke Flügel, was zuerst bei der Ab¬
stimmung über den Servis der Offiziere im Mai 1873 hervortrat. Es war
bezeichnend, daß Herr von Bennigsen und die Seinigen bei dieser keineswegs


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[0317] Die hannoverschen Nutioncilliberalen Ministern gnädigst geduldet wurde, da jene Herren offenbar mit ihrem Libe¬ ralismus das konservative Regiment nicht im entferntesten schädigten und sich als Abgeordnete — was auch zuweilen vorkam — zahm und musterhaft brav verhielten. Einige von ihnen machten denn auch eine für ihre Fähigkeiten und Ansprüche völlig ausreichende kleine Karriere und sind seitdem stille Männer geworden. Manch echter Junker übrigens, der unter den Eulenburgs und unter Puttkamer als Regierungsbeamter herüberkam, zeigte sich für das stille Liebes- werben nationalliberaler Kreise schlechterdings unempfänglich; er war weit mehr geneigt, den adlichen Welsen entgegenzukommen, um wenigstens den einen oder andern seiner Standesgenossen in die seligen Gefilde der ostelbischen Kon¬ servativen hinüberzuleiten — was freilich kaum gelang —, als sich mit Liberalen zu befreunden, vor denen schon seine politische Amme gewarnt hatte, und deren verschiedne Schnttirungen seinem ungeübten Ange nicht leicht sichtbar wurden. Einige von diesen Herren haben nie begreifen können, wie außerordentlich wert¬ voll für eine konservative Regierung eine so traktable Gesellschaft wie die der Nationalliberalen in manchen Zeitläuften sein mußte. Immerhin traten in der Provinz Hannover gleich in den ersten Jahren nach 1866 die Nationalliberalen als eine stattliche Macht auf. Ihre Partei war dort der feste Punkt, um den sich alle Nationalgesinnten scharten. Sie geboten über eine gutgeschulte Presse, die ihre Gedanken vertrieb, und der selbst die meisten Kreis- und Amtsorgane angehörten. Die intelligenten Volks¬ schichten standen zum größten Teile zu ihnen. Bürgerliche Gutsbesitzer, Kauf¬ leute, Fabrikanten, der größte Teil der Richter, freier gestellte Verwciltuugs- becnnte, die Bürgermeister und „Senatoren" der Städte mit den städtischen Angestellten, staatliche Subalternbeamte, der größte Teil der Rechtsanwälte und Ärzte wie der Lehrerschaft an den höhern Lehranstalten stellten sich in ihre Reihen, während sich den Welsen besonders der welfische Adel, die Klein¬ bauern, viele Handwerker, die meisten Geistlichen und ein Teil der Volksschul- lehrer, sowie die alten, meist inaktiven hannoverschen Beamten einschlossen. In der That war der Nationalliberalismus in seiner Jugend, die freilich viel zu früh einer kraftlosen Greisenhaftigkeit Platz machen sollte, Wohl ge¬ eignet, die hoffnungsfreudigen nationalgesinnten Elemente um sich zu ver¬ sammeln. Im Reichstage wie im preußischen Landtage waren die hannoverschen Mitglieder der nationalliberalen Fraktion der Kern des rechten Flügels, der sich schon früh hie und da dem Zusammengehen mit der Fortschrittspartei widersetzte, das bis etwa um die Mitte des siebenten Jahrzehnts in allen den Liberalisinus angehenden Fragen die Regel war, und der sich auch gelegentlich regierungsfreundlicher zeigte als der linke Flügel, was zuerst bei der Ab¬ stimmung über den Servis der Offiziere im Mai 1873 hervortrat. Es war bezeichnend, daß Herr von Bennigsen und die Seinigen bei dieser keineswegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/317>, abgerufen am 23.07.2024.