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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

jedoch nicht; es war nur eine wenig retouchirte Photographie der Wirklichkeit,
und unter den zahlreiche,: Einzelbildern, die der Verfasser an dem Leser vorüber¬
ziehen ließ, war auch nicht eins, das dem Leser den Wunsch rege gemacht
Hütte: "Dir wäre ich gern begegnet, um dich noch näher kennen zu lernen."
Sie waren es alle mit einander wert, daß sie elend zu Grunde gingen, mit
Ausnahme von ein paar gleichgiltigen Genußmenschen. In dem Romane
"Quitt!", dessen bewegte Handlung sich in einem verhältnismäßig engen Kreise
Ostpreußens abspielt, geht es anfangs nicht weniger bunt zu. Allmählich
treten aber aus der Menge der Erscheinungen zwei Personen heraus, die so¬
zusagen die Führerrolle übernehmen: ein Freiherr, der nach einem leichtsinnigen
Abenteuer in Europa sich ein neues Dasein als Arzt im holländischen Indien
gegründet hat, und eine Komtesse, die Tochter eines ehrenwerten Mannes, der
mit seinen agrarischen Kollegen in Ostpreußen nicht gern gemeinsame Sache
machen will, der den Begriff des Edelmanns überhaupt höher nimmt als
seine Standesgenossen, mehr im Sinne des alten Fendaladels, der auch sür
die Hörigen und Hintersassen sorgt. Der Freiherr und die Komtesse sind
zwei Herrscherncituren, die sich zuerst auf Tod und Leben bekämpfen, und es
dauert auch sehr lange, bis der anerzogne Stolz und die psychische Unbändigkeit
des Mädchens sich nnter den Willen des Mannes und damit unter das Joch
der reinen selbstlosen Menschenliebe beugen. Es wäre aber zu schön gewesen,
wenn sich die tragischen Konflikte, die der Verfasser mit großer litterarischer
Gewandtheit vorbereitet und langsam gesteigert hat, in einer ruhigen Harmonie
gelöst Hütten. Die Heldin geht an einer Krankheit zu Grunde, die sie sich im
Dienste der Menschenliebe geholt hat, und der Held verschwindet im Dunkel
der Nacht, man erführe nicht wie oder wo. Das liest sich alles sehr schön,
rührend und ergreifend. Aber wenn der erfahrne Leser den ersten Eindruck
überwunden hat, fragt er sich: "Wann habe ich doch zuerst etwas von diesem
Freiherrn von Loja, von diesem unerschrocken Ritter des Geistes, dem alles
glückt, bis der Krach kommt, und von der widerspenstigen Komtesse Marie, die
sich endlich doch dem Demokraten an den Hals wirft, gelesen?" Und dann
werden die Erinnerungen immer lebendiger, und zuletzt tauchen als Großvater
und Großmutter der schöne, Weiber und Barrikaden bezwingende Oswald und
seine bezwungne Melitta auf, die Spielhagen in seinen "Problematischen
Naturen" und in "Durch Nacht zum Licht" für die deutsche Litteratur un¬
sterblich gemacht zu haben scheint.

Für die Söhne und Töchter dieser Großväter hat nach Spielhagens Vor¬
gang Sudermann gesorgt, auch ein Ostpreuße wie zur Megede. Er hat in
seiner Heimat ebenfalls viele problematische Naturen kennen gelernt, aber er
hat sie aus ihrer sonstigen Lieblingsbeschäftigung, verheiratete Frauen, junge
Mädchen und Backfische zugleich zu bezaubern, etwas mehr herausgehoben und
sie zugleich zu Reformatoren der Landwirtschaft gemacht, die selbst den hoff-


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jedoch nicht; es war nur eine wenig retouchirte Photographie der Wirklichkeit,
und unter den zahlreiche,: Einzelbildern, die der Verfasser an dem Leser vorüber¬
ziehen ließ, war auch nicht eins, das dem Leser den Wunsch rege gemacht
Hütte: „Dir wäre ich gern begegnet, um dich noch näher kennen zu lernen."
Sie waren es alle mit einander wert, daß sie elend zu Grunde gingen, mit
Ausnahme von ein paar gleichgiltigen Genußmenschen. In dem Romane
„Quitt!", dessen bewegte Handlung sich in einem verhältnismäßig engen Kreise
Ostpreußens abspielt, geht es anfangs nicht weniger bunt zu. Allmählich
treten aber aus der Menge der Erscheinungen zwei Personen heraus, die so¬
zusagen die Führerrolle übernehmen: ein Freiherr, der nach einem leichtsinnigen
Abenteuer in Europa sich ein neues Dasein als Arzt im holländischen Indien
gegründet hat, und eine Komtesse, die Tochter eines ehrenwerten Mannes, der
mit seinen agrarischen Kollegen in Ostpreußen nicht gern gemeinsame Sache
machen will, der den Begriff des Edelmanns überhaupt höher nimmt als
seine Standesgenossen, mehr im Sinne des alten Fendaladels, der auch sür
die Hörigen und Hintersassen sorgt. Der Freiherr und die Komtesse sind
zwei Herrscherncituren, die sich zuerst auf Tod und Leben bekämpfen, und es
dauert auch sehr lange, bis der anerzogne Stolz und die psychische Unbändigkeit
des Mädchens sich nnter den Willen des Mannes und damit unter das Joch
der reinen selbstlosen Menschenliebe beugen. Es wäre aber zu schön gewesen,
wenn sich die tragischen Konflikte, die der Verfasser mit großer litterarischer
Gewandtheit vorbereitet und langsam gesteigert hat, in einer ruhigen Harmonie
gelöst Hütten. Die Heldin geht an einer Krankheit zu Grunde, die sie sich im
Dienste der Menschenliebe geholt hat, und der Held verschwindet im Dunkel
der Nacht, man erführe nicht wie oder wo. Das liest sich alles sehr schön,
rührend und ergreifend. Aber wenn der erfahrne Leser den ersten Eindruck
überwunden hat, fragt er sich: „Wann habe ich doch zuerst etwas von diesem
Freiherrn von Loja, von diesem unerschrocken Ritter des Geistes, dem alles
glückt, bis der Krach kommt, und von der widerspenstigen Komtesse Marie, die
sich endlich doch dem Demokraten an den Hals wirft, gelesen?" Und dann
werden die Erinnerungen immer lebendiger, und zuletzt tauchen als Großvater
und Großmutter der schöne, Weiber und Barrikaden bezwingende Oswald und
seine bezwungne Melitta auf, die Spielhagen in seinen „Problematischen
Naturen" und in „Durch Nacht zum Licht" für die deutsche Litteratur un¬
sterblich gemacht zu haben scheint.

Für die Söhne und Töchter dieser Großväter hat nach Spielhagens Vor¬
gang Sudermann gesorgt, auch ein Ostpreuße wie zur Megede. Er hat in
seiner Heimat ebenfalls viele problematische Naturen kennen gelernt, aber er
hat sie aus ihrer sonstigen Lieblingsbeschäftigung, verheiratete Frauen, junge
Mädchen und Backfische zugleich zu bezaubern, etwas mehr herausgehoben und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/30>, abgerufen am 27.12.2024.