Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
General Friedrich von Gagern

Mittelpunkt zur Hauptstadt, dann laßt einen Krieg ausbrechen, und ich komme;
und ich komme dann noch früh genug." Es unterliegt gar keinem Zweifel,
daß er in Berlin die zukünftige Hauptstadt Deutschlands sah.

Bevor wir zu der kurzen tragischen Episode übergehe", in der Friedrich
von Gagern handelnd in Deutschland auftrat, bleibt noch übrig, die weitere
Entwicklung seines holländischen Dienstverhältnisses zu erwähnen. Er war
1842 zum Brigadekommandeur und Provinzialkommandanten von Nordholland
ernannt worden, trat aber 1843 infolge der durch die Finanzlage verursachten
allgemeinen Verminderung der Armee in "Nonaktivität," doch ernannte ihn der
König zu seinem "persönlichen Adjutanten im außerordentlichen Dienst" und
eröffnete ihm die Aussicht, ihn sofort wieder anzustellen, sobald eine geeignete
Stelle offen sein werde. Doch Gagern drängte es nach Deutschland zurück,
und er trat in Vorverhandlungen wegen der Übernahme des Kommandos der
nassauischen Truppen. Die Brüder, namentlich Heinrich, rieten ihm ab
wegen der politischen Verhältnisse, doch er ließ sich nicht irre machen und hielt
sich für den Mann, der diese Verhältnisse "an sich kommen lassen" könne.
Die Entscheidung kam von niederländischer Seite, wo man Gagern nicht ent¬
behren mochte. Nach einer längern Beurlaubung in die Heimat wurde er zum
Generalmajor ernannt und im Mai 1844 mit einer besonders vertraulichen
Gesandtschaft nach den holländischen Kolonien aus deu Sundainseln beauftragt.
Gagern nahm an, aber mit der ausdrücklichen Absicht, sich dadurch die Rückkehr
ins Vaterland zu bahnen. Er schrieb darüber der Mutter: "Nach anderthalb
Jahren kann ich hoffen, in die Heimat zurückzukehren und dort nach eigner
freier Wahl entweder in angenehmer Unabhängigkeit oder vielleicht in ehren¬
voller Thätigkeit den Rest des Lebens zuzubringen." Er ging also nach Indien,
um für später persönliche Unabhängigkeit zu erreichen. Daß in Deutschland
für die nächsten Jahre besondre Ereignisse zu erwarten stünden, nahm er mit
Recht nicht an, nur die Trennung von den hochbetagten Eltern fiel ihm sehr
schwer: er reiste ohne Abschied ab unter dem Vorwande, den Bruder Heinrich
nach Mainz begleiten zu wollen.

Die Sendung nach Indien betraf eine Besichtigung des militärischen
Dienstes und der Verteidigungsmittel der holländischen Kolonien und erstreckte
sich in ihrem amtlichen Teile auf Java, Madura und Sumatra. Die Hinreise
gab Gelegenheit, die Azoren und Brasilien kennen zu lernen, und auf der Rück¬
reise lernte Gagern Britisch-Indien und Ägypten genau kennen. Die Reise,
über die ein interessantes Tagebuch von ihm vorliegt, nahm drei volle Jahre
in Anspruch. Seine amtlichen Berichte wurden in den Niederlanden mit der
größten Anerkennung aufgenommen, und man überhäufte ihn nach der Rückkehr
mit Auszeichnungen. Er wurde zum Kommandeur der Reservebrigade und
zum Gouverneur der Residenz ernannt, der König verlieh ihm das Großkreuz
des Luxemburgischen Ordens mit den Worten: "Das haben Sie aus Indien


Grenzboten U 1M8 34
General Friedrich von Gagern

Mittelpunkt zur Hauptstadt, dann laßt einen Krieg ausbrechen, und ich komme;
und ich komme dann noch früh genug." Es unterliegt gar keinem Zweifel,
daß er in Berlin die zukünftige Hauptstadt Deutschlands sah.

Bevor wir zu der kurzen tragischen Episode übergehe», in der Friedrich
von Gagern handelnd in Deutschland auftrat, bleibt noch übrig, die weitere
Entwicklung seines holländischen Dienstverhältnisses zu erwähnen. Er war
1842 zum Brigadekommandeur und Provinzialkommandanten von Nordholland
ernannt worden, trat aber 1843 infolge der durch die Finanzlage verursachten
allgemeinen Verminderung der Armee in „Nonaktivität," doch ernannte ihn der
König zu seinem „persönlichen Adjutanten im außerordentlichen Dienst" und
eröffnete ihm die Aussicht, ihn sofort wieder anzustellen, sobald eine geeignete
Stelle offen sein werde. Doch Gagern drängte es nach Deutschland zurück,
und er trat in Vorverhandlungen wegen der Übernahme des Kommandos der
nassauischen Truppen. Die Brüder, namentlich Heinrich, rieten ihm ab
wegen der politischen Verhältnisse, doch er ließ sich nicht irre machen und hielt
sich für den Mann, der diese Verhältnisse „an sich kommen lassen" könne.
Die Entscheidung kam von niederländischer Seite, wo man Gagern nicht ent¬
behren mochte. Nach einer längern Beurlaubung in die Heimat wurde er zum
Generalmajor ernannt und im Mai 1844 mit einer besonders vertraulichen
Gesandtschaft nach den holländischen Kolonien aus deu Sundainseln beauftragt.
Gagern nahm an, aber mit der ausdrücklichen Absicht, sich dadurch die Rückkehr
ins Vaterland zu bahnen. Er schrieb darüber der Mutter: „Nach anderthalb
Jahren kann ich hoffen, in die Heimat zurückzukehren und dort nach eigner
freier Wahl entweder in angenehmer Unabhängigkeit oder vielleicht in ehren¬
voller Thätigkeit den Rest des Lebens zuzubringen." Er ging also nach Indien,
um für später persönliche Unabhängigkeit zu erreichen. Daß in Deutschland
für die nächsten Jahre besondre Ereignisse zu erwarten stünden, nahm er mit
Recht nicht an, nur die Trennung von den hochbetagten Eltern fiel ihm sehr
schwer: er reiste ohne Abschied ab unter dem Vorwande, den Bruder Heinrich
nach Mainz begleiten zu wollen.

Die Sendung nach Indien betraf eine Besichtigung des militärischen
Dienstes und der Verteidigungsmittel der holländischen Kolonien und erstreckte
sich in ihrem amtlichen Teile auf Java, Madura und Sumatra. Die Hinreise
gab Gelegenheit, die Azoren und Brasilien kennen zu lernen, und auf der Rück¬
reise lernte Gagern Britisch-Indien und Ägypten genau kennen. Die Reise,
über die ein interessantes Tagebuch von ihm vorliegt, nahm drei volle Jahre
in Anspruch. Seine amtlichen Berichte wurden in den Niederlanden mit der
größten Anerkennung aufgenommen, und man überhäufte ihn nach der Rückkehr
mit Auszeichnungen. Er wurde zum Kommandeur der Reservebrigade und
zum Gouverneur der Residenz ernannt, der König verlieh ihm das Großkreuz
des Luxemburgischen Ordens mit den Worten: „Das haben Sie aus Indien


Grenzboten U 1M8 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227909"/>
          <fw type="header" place="top"> General Friedrich von Gagern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_735" prev="#ID_734"> Mittelpunkt zur Hauptstadt, dann laßt einen Krieg ausbrechen, und ich komme;<lb/>
und ich komme dann noch früh genug." Es unterliegt gar keinem Zweifel,<lb/>
daß er in Berlin die zukünftige Hauptstadt Deutschlands sah.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_736"> Bevor wir zu der kurzen tragischen Episode übergehe», in der Friedrich<lb/>
von Gagern handelnd in Deutschland auftrat, bleibt noch übrig, die weitere<lb/>
Entwicklung seines holländischen Dienstverhältnisses zu erwähnen. Er war<lb/>
1842 zum Brigadekommandeur und Provinzialkommandanten von Nordholland<lb/>
ernannt worden, trat aber 1843 infolge der durch die Finanzlage verursachten<lb/>
allgemeinen Verminderung der Armee in &#x201E;Nonaktivität," doch ernannte ihn der<lb/>
König zu seinem &#x201E;persönlichen Adjutanten im außerordentlichen Dienst" und<lb/>
eröffnete ihm die Aussicht, ihn sofort wieder anzustellen, sobald eine geeignete<lb/>
Stelle offen sein werde. Doch Gagern drängte es nach Deutschland zurück,<lb/>
und er trat in Vorverhandlungen wegen der Übernahme des Kommandos der<lb/>
nassauischen Truppen. Die Brüder, namentlich Heinrich, rieten ihm ab<lb/>
wegen der politischen Verhältnisse, doch er ließ sich nicht irre machen und hielt<lb/>
sich für den Mann, der diese Verhältnisse &#x201E;an sich kommen lassen" könne.<lb/>
Die Entscheidung kam von niederländischer Seite, wo man Gagern nicht ent¬<lb/>
behren mochte. Nach einer längern Beurlaubung in die Heimat wurde er zum<lb/>
Generalmajor ernannt und im Mai 1844 mit einer besonders vertraulichen<lb/>
Gesandtschaft nach den holländischen Kolonien aus deu Sundainseln beauftragt.<lb/>
Gagern nahm an, aber mit der ausdrücklichen Absicht, sich dadurch die Rückkehr<lb/>
ins Vaterland zu bahnen. Er schrieb darüber der Mutter: &#x201E;Nach anderthalb<lb/>
Jahren kann ich hoffen, in die Heimat zurückzukehren und dort nach eigner<lb/>
freier Wahl entweder in angenehmer Unabhängigkeit oder vielleicht in ehren¬<lb/>
voller Thätigkeit den Rest des Lebens zuzubringen." Er ging also nach Indien,<lb/>
um für später persönliche Unabhängigkeit zu erreichen. Daß in Deutschland<lb/>
für die nächsten Jahre besondre Ereignisse zu erwarten stünden, nahm er mit<lb/>
Recht nicht an, nur die Trennung von den hochbetagten Eltern fiel ihm sehr<lb/>
schwer: er reiste ohne Abschied ab unter dem Vorwande, den Bruder Heinrich<lb/>
nach Mainz begleiten zu wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_737" next="#ID_738"> Die Sendung nach Indien betraf eine Besichtigung des militärischen<lb/>
Dienstes und der Verteidigungsmittel der holländischen Kolonien und erstreckte<lb/>
sich in ihrem amtlichen Teile auf Java, Madura und Sumatra. Die Hinreise<lb/>
gab Gelegenheit, die Azoren und Brasilien kennen zu lernen, und auf der Rück¬<lb/>
reise lernte Gagern Britisch-Indien und Ägypten genau kennen. Die Reise,<lb/>
über die ein interessantes Tagebuch von ihm vorliegt, nahm drei volle Jahre<lb/>
in Anspruch. Seine amtlichen Berichte wurden in den Niederlanden mit der<lb/>
größten Anerkennung aufgenommen, und man überhäufte ihn nach der Rückkehr<lb/>
mit Auszeichnungen. Er wurde zum Kommandeur der Reservebrigade und<lb/>
zum Gouverneur der Residenz ernannt, der König verlieh ihm das Großkreuz<lb/>
des Luxemburgischen Ordens mit den Worten: &#x201E;Das haben Sie aus Indien</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten U 1M8 34</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] General Friedrich von Gagern Mittelpunkt zur Hauptstadt, dann laßt einen Krieg ausbrechen, und ich komme; und ich komme dann noch früh genug." Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß er in Berlin die zukünftige Hauptstadt Deutschlands sah. Bevor wir zu der kurzen tragischen Episode übergehe», in der Friedrich von Gagern handelnd in Deutschland auftrat, bleibt noch übrig, die weitere Entwicklung seines holländischen Dienstverhältnisses zu erwähnen. Er war 1842 zum Brigadekommandeur und Provinzialkommandanten von Nordholland ernannt worden, trat aber 1843 infolge der durch die Finanzlage verursachten allgemeinen Verminderung der Armee in „Nonaktivität," doch ernannte ihn der König zu seinem „persönlichen Adjutanten im außerordentlichen Dienst" und eröffnete ihm die Aussicht, ihn sofort wieder anzustellen, sobald eine geeignete Stelle offen sein werde. Doch Gagern drängte es nach Deutschland zurück, und er trat in Vorverhandlungen wegen der Übernahme des Kommandos der nassauischen Truppen. Die Brüder, namentlich Heinrich, rieten ihm ab wegen der politischen Verhältnisse, doch er ließ sich nicht irre machen und hielt sich für den Mann, der diese Verhältnisse „an sich kommen lassen" könne. Die Entscheidung kam von niederländischer Seite, wo man Gagern nicht ent¬ behren mochte. Nach einer längern Beurlaubung in die Heimat wurde er zum Generalmajor ernannt und im Mai 1844 mit einer besonders vertraulichen Gesandtschaft nach den holländischen Kolonien aus deu Sundainseln beauftragt. Gagern nahm an, aber mit der ausdrücklichen Absicht, sich dadurch die Rückkehr ins Vaterland zu bahnen. Er schrieb darüber der Mutter: „Nach anderthalb Jahren kann ich hoffen, in die Heimat zurückzukehren und dort nach eigner freier Wahl entweder in angenehmer Unabhängigkeit oder vielleicht in ehren¬ voller Thätigkeit den Rest des Lebens zuzubringen." Er ging also nach Indien, um für später persönliche Unabhängigkeit zu erreichen. Daß in Deutschland für die nächsten Jahre besondre Ereignisse zu erwarten stünden, nahm er mit Recht nicht an, nur die Trennung von den hochbetagten Eltern fiel ihm sehr schwer: er reiste ohne Abschied ab unter dem Vorwande, den Bruder Heinrich nach Mainz begleiten zu wollen. Die Sendung nach Indien betraf eine Besichtigung des militärischen Dienstes und der Verteidigungsmittel der holländischen Kolonien und erstreckte sich in ihrem amtlichen Teile auf Java, Madura und Sumatra. Die Hinreise gab Gelegenheit, die Azoren und Brasilien kennen zu lernen, und auf der Rück¬ reise lernte Gagern Britisch-Indien und Ägypten genau kennen. Die Reise, über die ein interessantes Tagebuch von ihm vorliegt, nahm drei volle Jahre in Anspruch. Seine amtlichen Berichte wurden in den Niederlanden mit der größten Anerkennung aufgenommen, und man überhäufte ihn nach der Rückkehr mit Auszeichnungen. Er wurde zum Kommandeur der Reservebrigade und zum Gouverneur der Residenz ernannt, der König verlieh ihm das Großkreuz des Luxemburgischen Ordens mit den Worten: „Das haben Sie aus Indien Grenzboten U 1M8 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/273>, abgerufen am 23.07.2024.