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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von (Lagern

Vaterlandes ihr ganzes Sein und Können einzusetzen, Ihr Ziel wurde nicht
erreicht, denn jene Tage erst haben ihnen und vielen tausend andern gelehrt,
daß die Geschicke Deutschlands nicht von Frankfurt, sondern nur von Berlin
aus entschieden werden konnten und mußten. Die Vewegnng ging ihren
furchtbaren Gang, schon nach wenigen Wochen siel Friedrich von Gagern als
ein Opfer der deutschen Revolution. Seinem Andenken, das nahezu vergessen
ist, seien die folgenden Zeilen gewidmet, denn er war die bedeutendste und
edelste Erscheinung jener Zeit.

Die Gagernsche Familie, ursprünglich auf der Insel Rügen heimisch, jedoch
schon seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in einem Zweige am Mittel¬
rhein angesessen, hat dem deutschen Vaterlande mehrere verdiente Söhne ge¬
geben. Friedrich Balduin von Gagern, ungewöhnlich begabt an Geist und
Charakter, wurde am 24. Oktober 1794 auf dem Schlosse zu Weilburg ge¬
höre", wo sein Vater, Hans Christoph von Gagern, als erster Beamter das
kleine Fürstentum Nassau-Weilburg mit Geschick verwaltete. Als Westdeutsch¬
land 1795 zum Kriegsschauplatz wurde, flüchteten Hof und Minister unter
preußischen Schutz nach Bahreuth, und die Familie Gagern wohnte dort in
der Eremitage. Auch ein Großvheim lebte als Emigrant in Hanau, die Jugend¬
eindrücke des Knaben waren somit keineswegs der Fremdherrschaft günstig.
Bezeichnend dafür ist ein Vorfall aus dem Jahre 1805. Der nachmals be¬
rüchtigte französische General Snrasin, unzufrieden darüber, nicht im Schlosse
zu Weilburg aufgenommen, sondern in der Stadt einquartiert zu sein, hatte
schon vom Vater die nötigen Aufklärungen erhalten, brachte aber nichtsdesto¬
weniger abends am Theetisch vor der Mutter von neuem seine Beschwerde zur
Sprache. Der elfjährige Friedrich stand bei der Mutter am Sofa, und da
er sich über die läppischen Klagen des Franzosen ärgerte, sagte er nach jedem
Satze halblaut vor sich hin: "Gut genug für dich, gut genug für dich!" bis
die Mutter, verlegen über die Unart des Knaben und besorgt, daß der General
doch Deutsch verstehen könnte, ihn hinausschickte.

Auch der Vater litt sehr unter der Fremdherrschaft, denn im Grunde
seines reichsfreiherrlichen Herzens war er ein guter Deutscher, wenn auch in
einem Sinne, den unsre Tage nicht mehr verstehen. Nach dem Zusammenbruch
des Reiches hatte er mit allen Hilfsmitteln der Diplomatie in Paris die
Existenz seines Fürstenhauses gerettet und dessen Länderbestand aus Kosten der
geistlichen Fürstentümer auf das Doppelte gebracht, aber das Gefühl der tiefen
Unsittlichkeit der rheinbündischen Dinge lastete von Tag zu Tag quälender ans
ihm. Als Freiherr vom Stein geächtet und sein Besitztum eingezogen worden
war, gelang es dem wohlwollenden uasscmischen Minister, obwohl er dabei
mithelfen mußte, wenigstens die bittere Not von der Familie des Patrioten
abzuwenden. Franzose wollte Gagern um keinen Preis werden. Vergeblich hatte
er seine Abstammung aus Rügen vorgeschützt, umsonst ließ er sich von seinem


General Friedrich von (Lagern

Vaterlandes ihr ganzes Sein und Können einzusetzen, Ihr Ziel wurde nicht
erreicht, denn jene Tage erst haben ihnen und vielen tausend andern gelehrt,
daß die Geschicke Deutschlands nicht von Frankfurt, sondern nur von Berlin
aus entschieden werden konnten und mußten. Die Vewegnng ging ihren
furchtbaren Gang, schon nach wenigen Wochen siel Friedrich von Gagern als
ein Opfer der deutschen Revolution. Seinem Andenken, das nahezu vergessen
ist, seien die folgenden Zeilen gewidmet, denn er war die bedeutendste und
edelste Erscheinung jener Zeit.

Die Gagernsche Familie, ursprünglich auf der Insel Rügen heimisch, jedoch
schon seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in einem Zweige am Mittel¬
rhein angesessen, hat dem deutschen Vaterlande mehrere verdiente Söhne ge¬
geben. Friedrich Balduin von Gagern, ungewöhnlich begabt an Geist und
Charakter, wurde am 24. Oktober 1794 auf dem Schlosse zu Weilburg ge¬
höre», wo sein Vater, Hans Christoph von Gagern, als erster Beamter das
kleine Fürstentum Nassau-Weilburg mit Geschick verwaltete. Als Westdeutsch¬
land 1795 zum Kriegsschauplatz wurde, flüchteten Hof und Minister unter
preußischen Schutz nach Bahreuth, und die Familie Gagern wohnte dort in
der Eremitage. Auch ein Großvheim lebte als Emigrant in Hanau, die Jugend¬
eindrücke des Knaben waren somit keineswegs der Fremdherrschaft günstig.
Bezeichnend dafür ist ein Vorfall aus dem Jahre 1805. Der nachmals be¬
rüchtigte französische General Snrasin, unzufrieden darüber, nicht im Schlosse
zu Weilburg aufgenommen, sondern in der Stadt einquartiert zu sein, hatte
schon vom Vater die nötigen Aufklärungen erhalten, brachte aber nichtsdesto¬
weniger abends am Theetisch vor der Mutter von neuem seine Beschwerde zur
Sprache. Der elfjährige Friedrich stand bei der Mutter am Sofa, und da
er sich über die läppischen Klagen des Franzosen ärgerte, sagte er nach jedem
Satze halblaut vor sich hin: „Gut genug für dich, gut genug für dich!" bis
die Mutter, verlegen über die Unart des Knaben und besorgt, daß der General
doch Deutsch verstehen könnte, ihn hinausschickte.

Auch der Vater litt sehr unter der Fremdherrschaft, denn im Grunde
seines reichsfreiherrlichen Herzens war er ein guter Deutscher, wenn auch in
einem Sinne, den unsre Tage nicht mehr verstehen. Nach dem Zusammenbruch
des Reiches hatte er mit allen Hilfsmitteln der Diplomatie in Paris die
Existenz seines Fürstenhauses gerettet und dessen Länderbestand aus Kosten der
geistlichen Fürstentümer auf das Doppelte gebracht, aber das Gefühl der tiefen
Unsittlichkeit der rheinbündischen Dinge lastete von Tag zu Tag quälender ans
ihm. Als Freiherr vom Stein geächtet und sein Besitztum eingezogen worden
war, gelang es dem wohlwollenden uasscmischen Minister, obwohl er dabei
mithelfen mußte, wenigstens die bittere Not von der Familie des Patrioten
abzuwenden. Franzose wollte Gagern um keinen Preis werden. Vergeblich hatte
er seine Abstammung aus Rügen vorgeschützt, umsonst ließ er sich von seinem


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[0266] General Friedrich von (Lagern Vaterlandes ihr ganzes Sein und Können einzusetzen, Ihr Ziel wurde nicht erreicht, denn jene Tage erst haben ihnen und vielen tausend andern gelehrt, daß die Geschicke Deutschlands nicht von Frankfurt, sondern nur von Berlin aus entschieden werden konnten und mußten. Die Vewegnng ging ihren furchtbaren Gang, schon nach wenigen Wochen siel Friedrich von Gagern als ein Opfer der deutschen Revolution. Seinem Andenken, das nahezu vergessen ist, seien die folgenden Zeilen gewidmet, denn er war die bedeutendste und edelste Erscheinung jener Zeit. Die Gagernsche Familie, ursprünglich auf der Insel Rügen heimisch, jedoch schon seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in einem Zweige am Mittel¬ rhein angesessen, hat dem deutschen Vaterlande mehrere verdiente Söhne ge¬ geben. Friedrich Balduin von Gagern, ungewöhnlich begabt an Geist und Charakter, wurde am 24. Oktober 1794 auf dem Schlosse zu Weilburg ge¬ höre», wo sein Vater, Hans Christoph von Gagern, als erster Beamter das kleine Fürstentum Nassau-Weilburg mit Geschick verwaltete. Als Westdeutsch¬ land 1795 zum Kriegsschauplatz wurde, flüchteten Hof und Minister unter preußischen Schutz nach Bahreuth, und die Familie Gagern wohnte dort in der Eremitage. Auch ein Großvheim lebte als Emigrant in Hanau, die Jugend¬ eindrücke des Knaben waren somit keineswegs der Fremdherrschaft günstig. Bezeichnend dafür ist ein Vorfall aus dem Jahre 1805. Der nachmals be¬ rüchtigte französische General Snrasin, unzufrieden darüber, nicht im Schlosse zu Weilburg aufgenommen, sondern in der Stadt einquartiert zu sein, hatte schon vom Vater die nötigen Aufklärungen erhalten, brachte aber nichtsdesto¬ weniger abends am Theetisch vor der Mutter von neuem seine Beschwerde zur Sprache. Der elfjährige Friedrich stand bei der Mutter am Sofa, und da er sich über die läppischen Klagen des Franzosen ärgerte, sagte er nach jedem Satze halblaut vor sich hin: „Gut genug für dich, gut genug für dich!" bis die Mutter, verlegen über die Unart des Knaben und besorgt, daß der General doch Deutsch verstehen könnte, ihn hinausschickte. Auch der Vater litt sehr unter der Fremdherrschaft, denn im Grunde seines reichsfreiherrlichen Herzens war er ein guter Deutscher, wenn auch in einem Sinne, den unsre Tage nicht mehr verstehen. Nach dem Zusammenbruch des Reiches hatte er mit allen Hilfsmitteln der Diplomatie in Paris die Existenz seines Fürstenhauses gerettet und dessen Länderbestand aus Kosten der geistlichen Fürstentümer auf das Doppelte gebracht, aber das Gefühl der tiefen Unsittlichkeit der rheinbündischen Dinge lastete von Tag zu Tag quälender ans ihm. Als Freiherr vom Stein geächtet und sein Besitztum eingezogen worden war, gelang es dem wohlwollenden uasscmischen Minister, obwohl er dabei mithelfen mußte, wenigstens die bittere Not von der Familie des Patrioten abzuwenden. Franzose wollte Gagern um keinen Preis werden. Vergeblich hatte er seine Abstammung aus Rügen vorgeschützt, umsonst ließ er sich von seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/266>, abgerufen am 27.12.2024.