Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Eine Modedichterin wurde, die alte Tyrannin der Menschheit zur Seite -- Frau Mode. Das Es liegt uns durchaus fern, hinsichtlich des Wertes ihrer Dichtung wie Es sind nun etwa drei Jahre her, seitdem der Stern der Johanna Ambrosius Eine Modedichterin wurde, die alte Tyrannin der Menschheit zur Seite — Frau Mode. Das Es liegt uns durchaus fern, hinsichtlich des Wertes ihrer Dichtung wie Es sind nun etwa drei Jahre her, seitdem der Stern der Johanna Ambrosius <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227886"/> <fw type="header" place="top"> Eine Modedichterin</fw><lb/> <p xml:id="ID_669" prev="#ID_668"> wurde, die alte Tyrannin der Menschheit zur Seite — Frau Mode. Das<lb/> Märchen von der Karschin — als ein solches erscheint nun aus der Ferne be¬<lb/> trachtet ihr Leben — klingt trüb aus. Das Berliner Treiben verdarb ihre<lb/> natürlichen Anlagen, aus der Dichterin wurde eine eingebildete, geistlose<lb/> Neimerin, die auch da dichtete, wo sie beim besten Willen nichts zu sagen<lb/> wußte, und so sank sie schnell von der Sonnenhöhe des Ruhms herab, und<lb/> heute, reichlich hundert Jahre nach ihrem Tode, ist sie so gut wie vergessen.<lb/> Keines ihrer vielen Gedichte hat sich im Gedächtnis unsers Volkes erhalten,<lb/> und mir in den Büchern der Litteraturgeschichte steht ihr Name als ein<lb/> trauriges Beispiel, wie sehr auch in dieser Beziehung die Menschen dem<lb/> Zwange der Mode unterworfen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_670"> Es liegt uns durchaus fern, hinsichtlich des Wertes ihrer Dichtung wie<lb/> ihrer Person Johanna Ambrosius mit der Karschin vergleichen zu wollen. Als<lb/> Dichterin steht die Ostprcußiu entschieden über der Schlesierin, und weit sym¬<lb/> pathischer ist ihre Persönlichkeit als die ihrer Schwester in Apoll. Aber in<lb/> andrer Beziehung bietet sich bei beiden manche Ähnlichkeit, die einen Vergleich<lb/> sehr wohl gerechtfertigt erscheinen läßt. Es besteht eine große Ähnlichkeit<lb/> zwischen ihnen in der Art der Lebensschicksale sowohl wie in der fabelhaften<lb/> Schnelligkeit, mit der beide auf den Gipfel des Ruhmes getragen wurden, und<lb/> auch Johanna Ambrosius ist „entdeckt" worden und hat in dem Professor<lb/> Weiß-Schrattenthal zugleich ihren Kottwitz und ihren Ramler gefunden. Vor<lb/> allem aber fließt bei beiden Dichterinnen die ungeheure Popularität aus den¬<lb/> selben drei Quellen, die wir oben genannt haben. Und leider drängt uns der<lb/> jüngst erschienene zweite Band der Gedichte von Johanna Ambrosius, der einen<lb/> unverkennbaren Rückgang bedeutet, die Befürchtung auf, daß auch hier der<lb/> strahlende Nuhmeslranz, den man ihr gewunden hat, die Dichterin geblendet,<lb/> und daß die Öffentlichkeit nicht vorteilhaft auf ihr Schaffen eingewirkt habe.<lb/> Ein Lyriker aber, der aufs liebe Publikum sieht, rührt schon an den<lb/> Wurzeln seiner Kraft. Sollten auch in dieser Beziehung beider Schicksale<lb/> gleichartig sein? Sollte auch Johanna Ambrosius als letztes Ziel die Ver¬<lb/> gessenheit winken?</p><lb/> <p xml:id="ID_671" next="#ID_672"> Es sind nun etwa drei Jahre her, seitdem der Stern der Johanna Ambrosius<lb/> zu strahlen begann und mit seinem Lichte bald ganz Deutschland erfüllte.<lb/> Unter Anführung des Professors Schrattenthal, der durch das Aufbauschen<lb/> dilettantischer Kunstleistungen sogenannter „Naturdichter" neuerdings unheilvoll<lb/> auf unser künstlerisches Leben einwirkt, dessen Verdienste um Johanna Am¬<lb/> brosius aber nicht geschmälert werden sollen, wurde die Lärmtrommel der<lb/> Reklame gerührt; diese Reklame bezog sich hauptsächlich auf die Armut der<lb/> Dichterin und auf die ihr beigelegte Eigenschaft als „Naturdichteriu." Der<lb/> Appell an das Mitleid aber ist in solchen Fällen, soweit die Leistungen selbst<lb/> in Frage kommen, ein mißliches Ding — das weiß jeder Kritiker, der ein<lb/> Wohlthütigkeitskvnzert zu beurteilen hat —, und was die „Naturdichterin"<lb/> anbetrifft, so war das ein der Begründung entbehrendes Schlagwort. Wer<lb/> das nicht aus den Gedichten der Ambrosius, die allzu oft fremde Einflüsse<lb/> verraten, herausempfunden haben sollte, der möge in der Einleitung zum ersten<lb/> Teil den schwülstigen Brief der Schwester Martha lesen und einige Aussprüche<lb/> der Dichterin selbst hinzunehmen, wie: „Der Tod ist in Deutschland der beste<lb/> Empfehlungsbrief der Dichter." So wurde denn der Johannenkultus bald<lb/> eine Modekrankheit, wie es vor einigen Jahren die Mascagnitis und das Suber-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Eine Modedichterin
wurde, die alte Tyrannin der Menschheit zur Seite — Frau Mode. Das
Märchen von der Karschin — als ein solches erscheint nun aus der Ferne be¬
trachtet ihr Leben — klingt trüb aus. Das Berliner Treiben verdarb ihre
natürlichen Anlagen, aus der Dichterin wurde eine eingebildete, geistlose
Neimerin, die auch da dichtete, wo sie beim besten Willen nichts zu sagen
wußte, und so sank sie schnell von der Sonnenhöhe des Ruhms herab, und
heute, reichlich hundert Jahre nach ihrem Tode, ist sie so gut wie vergessen.
Keines ihrer vielen Gedichte hat sich im Gedächtnis unsers Volkes erhalten,
und mir in den Büchern der Litteraturgeschichte steht ihr Name als ein
trauriges Beispiel, wie sehr auch in dieser Beziehung die Menschen dem
Zwange der Mode unterworfen sind.
Es liegt uns durchaus fern, hinsichtlich des Wertes ihrer Dichtung wie
ihrer Person Johanna Ambrosius mit der Karschin vergleichen zu wollen. Als
Dichterin steht die Ostprcußiu entschieden über der Schlesierin, und weit sym¬
pathischer ist ihre Persönlichkeit als die ihrer Schwester in Apoll. Aber in
andrer Beziehung bietet sich bei beiden manche Ähnlichkeit, die einen Vergleich
sehr wohl gerechtfertigt erscheinen läßt. Es besteht eine große Ähnlichkeit
zwischen ihnen in der Art der Lebensschicksale sowohl wie in der fabelhaften
Schnelligkeit, mit der beide auf den Gipfel des Ruhmes getragen wurden, und
auch Johanna Ambrosius ist „entdeckt" worden und hat in dem Professor
Weiß-Schrattenthal zugleich ihren Kottwitz und ihren Ramler gefunden. Vor
allem aber fließt bei beiden Dichterinnen die ungeheure Popularität aus den¬
selben drei Quellen, die wir oben genannt haben. Und leider drängt uns der
jüngst erschienene zweite Band der Gedichte von Johanna Ambrosius, der einen
unverkennbaren Rückgang bedeutet, die Befürchtung auf, daß auch hier der
strahlende Nuhmeslranz, den man ihr gewunden hat, die Dichterin geblendet,
und daß die Öffentlichkeit nicht vorteilhaft auf ihr Schaffen eingewirkt habe.
Ein Lyriker aber, der aufs liebe Publikum sieht, rührt schon an den
Wurzeln seiner Kraft. Sollten auch in dieser Beziehung beider Schicksale
gleichartig sein? Sollte auch Johanna Ambrosius als letztes Ziel die Ver¬
gessenheit winken?
Es sind nun etwa drei Jahre her, seitdem der Stern der Johanna Ambrosius
zu strahlen begann und mit seinem Lichte bald ganz Deutschland erfüllte.
Unter Anführung des Professors Schrattenthal, der durch das Aufbauschen
dilettantischer Kunstleistungen sogenannter „Naturdichter" neuerdings unheilvoll
auf unser künstlerisches Leben einwirkt, dessen Verdienste um Johanna Am¬
brosius aber nicht geschmälert werden sollen, wurde die Lärmtrommel der
Reklame gerührt; diese Reklame bezog sich hauptsächlich auf die Armut der
Dichterin und auf die ihr beigelegte Eigenschaft als „Naturdichteriu." Der
Appell an das Mitleid aber ist in solchen Fällen, soweit die Leistungen selbst
in Frage kommen, ein mißliches Ding — das weiß jeder Kritiker, der ein
Wohlthütigkeitskvnzert zu beurteilen hat —, und was die „Naturdichterin"
anbetrifft, so war das ein der Begründung entbehrendes Schlagwort. Wer
das nicht aus den Gedichten der Ambrosius, die allzu oft fremde Einflüsse
verraten, herausempfunden haben sollte, der möge in der Einleitung zum ersten
Teil den schwülstigen Brief der Schwester Martha lesen und einige Aussprüche
der Dichterin selbst hinzunehmen, wie: „Der Tod ist in Deutschland der beste
Empfehlungsbrief der Dichter." So wurde denn der Johannenkultus bald
eine Modekrankheit, wie es vor einigen Jahren die Mascagnitis und das Suber-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |