Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Joseph Lhamberlaiii

Es hat eine Zeit gegeben, wo die Kolonien für nichts galten, wo man
die beste von allen zum Abfall trieb. Die Zeit ist vorüber, Erfahrung macht
weise. Heutzutage werden sie gehätschelt, und sie erhalten vielleicht mehr Kredit,
als ihnen gut ist. Die Kinder sind anch wohl erzogen und erweisen der Frau
Mutter alle gebührende Ehre. Nur ein ernstes Bedenken erhebt sich. Aus
Kindern werden Leute, und Erwachsene stehen gern auf eignen Füßen. Bruder
Jonathan ist mit seiner Freiheit durchaus nicht unzufrieden, ein Beispiel, das
ansteckend wirken könnte. Bei den Antipoden denkt man ferner in vielen
Dingen anders als an der Themse, und wenn sich John Bull senior beim Frei¬
handel wohl befindet, so steht es John Bull junior doch frei, sich mit einem
kräftigen und einträglichen Schutzzollsystem zu gürten. Und gesetzt, das alte
Haus gerät in Verwicklungen irgendwo in Asien, warum sollte das junge
Haus in Kapstadt oder Sydney dafür büßen. Es sind ja doch im Grunde
ganz verschiedne Geschäfte. Im Interesse des Mutterlandes liegt es, im Not¬
falle auf die ganze Stärke der Kolonien zählen zu können, während die Kolo¬
nien eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht für vorteilhafter halten.

Das ganze britische Reich unter einen Hut zu bringen, es zu einer volks¬
wirtschaftlichen Einheit zu machen, einen britischen Zoll- und Kriegsverein zu
bilden, wäre eine Aufgabe, deren Ausführung einen Mann zum Range des
größten Staatsmannes seiner Zeit erheben würde. Sie ist zuerst angebahnt
worden durch die Iinpöri^I I^dörstion I^g^us, die 1884 entstand und sich
1393 auflöste. An die Stelle dieser Liga sind seitdem drei andre Vereine
getreten, von denen die eine Föderation auf der Grundlage des Schutz¬
zolles befürwortet, die zweite auf Grundlage des Freihandels, während
die dritte gemeinsame Verteidigung durch eine gemeinsame Flotte für das
wichtigste hält. Chamberlains Amtsantritt brachte sofort frischen Zug in
alle kolonialen Angelegenheiten. Er zeigte nicht nur selbst das stärkste Inter¬
esse für koloniale Fragen, sondern wußte es auch in andern anzufachen. Mit
solchem Feuereifer führte er bei jeder Gelegenheit die Kolonien vor die Öffent¬
lichkeit, daß ihm nachgesagt wird, er geberde sich, als habe er die Kolonien
erst entdeckt. Ohne Frage stehen die Kolonien seit dem Jahre 1895 im Vorder¬
gründe des Interesses, und die Neichsföderation ist ein Gegenstand, der allent¬
halben erörtert wird. Die Kolonien an das Mutterland anzugliedern, ist daher
der vornehmste und wichtigste Punkt in Chamberlains Kolonialprogramm, und
der zweite Punkt ist, auf soviel wie möglich noch unbesetzte Gebiete für Eng¬
land Beschlag zu legen. Noch ist ja der englische Handel dem aller andern
Nationen überlegen. Aber der Märkte, die noch der Ausschließung harren,
sind nur wenige, und der Wettbewerb der andern läßt den Abstand stetig
kleiner werden. Für Englands Industrie ist es also von der größten Wichtig¬
keit, sich Märkte und Absatzgebiete zu sichern, die nötigenfalls gegen Ausländer
durch Schutzzölle verschlossen werden können.


Joseph Lhamberlaiii

Es hat eine Zeit gegeben, wo die Kolonien für nichts galten, wo man
die beste von allen zum Abfall trieb. Die Zeit ist vorüber, Erfahrung macht
weise. Heutzutage werden sie gehätschelt, und sie erhalten vielleicht mehr Kredit,
als ihnen gut ist. Die Kinder sind anch wohl erzogen und erweisen der Frau
Mutter alle gebührende Ehre. Nur ein ernstes Bedenken erhebt sich. Aus
Kindern werden Leute, und Erwachsene stehen gern auf eignen Füßen. Bruder
Jonathan ist mit seiner Freiheit durchaus nicht unzufrieden, ein Beispiel, das
ansteckend wirken könnte. Bei den Antipoden denkt man ferner in vielen
Dingen anders als an der Themse, und wenn sich John Bull senior beim Frei¬
handel wohl befindet, so steht es John Bull junior doch frei, sich mit einem
kräftigen und einträglichen Schutzzollsystem zu gürten. Und gesetzt, das alte
Haus gerät in Verwicklungen irgendwo in Asien, warum sollte das junge
Haus in Kapstadt oder Sydney dafür büßen. Es sind ja doch im Grunde
ganz verschiedne Geschäfte. Im Interesse des Mutterlandes liegt es, im Not¬
falle auf die ganze Stärke der Kolonien zählen zu können, während die Kolo¬
nien eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht für vorteilhafter halten.

Das ganze britische Reich unter einen Hut zu bringen, es zu einer volks¬
wirtschaftlichen Einheit zu machen, einen britischen Zoll- und Kriegsverein zu
bilden, wäre eine Aufgabe, deren Ausführung einen Mann zum Range des
größten Staatsmannes seiner Zeit erheben würde. Sie ist zuerst angebahnt
worden durch die Iinpöri^I I^dörstion I^g^us, die 1884 entstand und sich
1393 auflöste. An die Stelle dieser Liga sind seitdem drei andre Vereine
getreten, von denen die eine Föderation auf der Grundlage des Schutz¬
zolles befürwortet, die zweite auf Grundlage des Freihandels, während
die dritte gemeinsame Verteidigung durch eine gemeinsame Flotte für das
wichtigste hält. Chamberlains Amtsantritt brachte sofort frischen Zug in
alle kolonialen Angelegenheiten. Er zeigte nicht nur selbst das stärkste Inter¬
esse für koloniale Fragen, sondern wußte es auch in andern anzufachen. Mit
solchem Feuereifer führte er bei jeder Gelegenheit die Kolonien vor die Öffent¬
lichkeit, daß ihm nachgesagt wird, er geberde sich, als habe er die Kolonien
erst entdeckt. Ohne Frage stehen die Kolonien seit dem Jahre 1895 im Vorder¬
gründe des Interesses, und die Neichsföderation ist ein Gegenstand, der allent¬
halben erörtert wird. Die Kolonien an das Mutterland anzugliedern, ist daher
der vornehmste und wichtigste Punkt in Chamberlains Kolonialprogramm, und
der zweite Punkt ist, auf soviel wie möglich noch unbesetzte Gebiete für Eng¬
land Beschlag zu legen. Noch ist ja der englische Handel dem aller andern
Nationen überlegen. Aber der Märkte, die noch der Ausschließung harren,
sind nur wenige, und der Wettbewerb der andern läßt den Abstand stetig
kleiner werden. Für Englands Industrie ist es also von der größten Wichtig¬
keit, sich Märkte und Absatzgebiete zu sichern, die nötigenfalls gegen Ausländer
durch Schutzzölle verschlossen werden können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227875"/>
          <fw type="header" place="top"> Joseph Lhamberlaiii</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_640"> Es hat eine Zeit gegeben, wo die Kolonien für nichts galten, wo man<lb/>
die beste von allen zum Abfall trieb. Die Zeit ist vorüber, Erfahrung macht<lb/>
weise. Heutzutage werden sie gehätschelt, und sie erhalten vielleicht mehr Kredit,<lb/>
als ihnen gut ist. Die Kinder sind anch wohl erzogen und erweisen der Frau<lb/>
Mutter alle gebührende Ehre. Nur ein ernstes Bedenken erhebt sich. Aus<lb/>
Kindern werden Leute, und Erwachsene stehen gern auf eignen Füßen. Bruder<lb/>
Jonathan ist mit seiner Freiheit durchaus nicht unzufrieden, ein Beispiel, das<lb/>
ansteckend wirken könnte. Bei den Antipoden denkt man ferner in vielen<lb/>
Dingen anders als an der Themse, und wenn sich John Bull senior beim Frei¬<lb/>
handel wohl befindet, so steht es John Bull junior doch frei, sich mit einem<lb/>
kräftigen und einträglichen Schutzzollsystem zu gürten. Und gesetzt, das alte<lb/>
Haus gerät in Verwicklungen irgendwo in Asien, warum sollte das junge<lb/>
Haus in Kapstadt oder Sydney dafür büßen. Es sind ja doch im Grunde<lb/>
ganz verschiedne Geschäfte. Im Interesse des Mutterlandes liegt es, im Not¬<lb/>
falle auf die ganze Stärke der Kolonien zählen zu können, während die Kolo¬<lb/>
nien eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht für vorteilhafter halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_641"> Das ganze britische Reich unter einen Hut zu bringen, es zu einer volks¬<lb/>
wirtschaftlichen Einheit zu machen, einen britischen Zoll- und Kriegsverein zu<lb/>
bilden, wäre eine Aufgabe, deren Ausführung einen Mann zum Range des<lb/>
größten Staatsmannes seiner Zeit erheben würde. Sie ist zuerst angebahnt<lb/>
worden durch die Iinpöri^I I^dörstion I^g^us, die 1884 entstand und sich<lb/>
1393 auflöste. An die Stelle dieser Liga sind seitdem drei andre Vereine<lb/>
getreten, von denen die eine Föderation auf der Grundlage des Schutz¬<lb/>
zolles befürwortet, die zweite auf Grundlage des Freihandels, während<lb/>
die dritte gemeinsame Verteidigung durch eine gemeinsame Flotte für das<lb/>
wichtigste hält. Chamberlains Amtsantritt brachte sofort frischen Zug in<lb/>
alle kolonialen Angelegenheiten. Er zeigte nicht nur selbst das stärkste Inter¬<lb/>
esse für koloniale Fragen, sondern wußte es auch in andern anzufachen. Mit<lb/>
solchem Feuereifer führte er bei jeder Gelegenheit die Kolonien vor die Öffent¬<lb/>
lichkeit, daß ihm nachgesagt wird, er geberde sich, als habe er die Kolonien<lb/>
erst entdeckt. Ohne Frage stehen die Kolonien seit dem Jahre 1895 im Vorder¬<lb/>
gründe des Interesses, und die Neichsföderation ist ein Gegenstand, der allent¬<lb/>
halben erörtert wird. Die Kolonien an das Mutterland anzugliedern, ist daher<lb/>
der vornehmste und wichtigste Punkt in Chamberlains Kolonialprogramm, und<lb/>
der zweite Punkt ist, auf soviel wie möglich noch unbesetzte Gebiete für Eng¬<lb/>
land Beschlag zu legen. Noch ist ja der englische Handel dem aller andern<lb/>
Nationen überlegen. Aber der Märkte, die noch der Ausschließung harren,<lb/>
sind nur wenige, und der Wettbewerb der andern läßt den Abstand stetig<lb/>
kleiner werden. Für Englands Industrie ist es also von der größten Wichtig¬<lb/>
keit, sich Märkte und Absatzgebiete zu sichern, die nötigenfalls gegen Ausländer<lb/>
durch Schutzzölle verschlossen werden können.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Joseph Lhamberlaiii Es hat eine Zeit gegeben, wo die Kolonien für nichts galten, wo man die beste von allen zum Abfall trieb. Die Zeit ist vorüber, Erfahrung macht weise. Heutzutage werden sie gehätschelt, und sie erhalten vielleicht mehr Kredit, als ihnen gut ist. Die Kinder sind anch wohl erzogen und erweisen der Frau Mutter alle gebührende Ehre. Nur ein ernstes Bedenken erhebt sich. Aus Kindern werden Leute, und Erwachsene stehen gern auf eignen Füßen. Bruder Jonathan ist mit seiner Freiheit durchaus nicht unzufrieden, ein Beispiel, das ansteckend wirken könnte. Bei den Antipoden denkt man ferner in vielen Dingen anders als an der Themse, und wenn sich John Bull senior beim Frei¬ handel wohl befindet, so steht es John Bull junior doch frei, sich mit einem kräftigen und einträglichen Schutzzollsystem zu gürten. Und gesetzt, das alte Haus gerät in Verwicklungen irgendwo in Asien, warum sollte das junge Haus in Kapstadt oder Sydney dafür büßen. Es sind ja doch im Grunde ganz verschiedne Geschäfte. Im Interesse des Mutterlandes liegt es, im Not¬ falle auf die ganze Stärke der Kolonien zählen zu können, während die Kolo¬ nien eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht für vorteilhafter halten. Das ganze britische Reich unter einen Hut zu bringen, es zu einer volks¬ wirtschaftlichen Einheit zu machen, einen britischen Zoll- und Kriegsverein zu bilden, wäre eine Aufgabe, deren Ausführung einen Mann zum Range des größten Staatsmannes seiner Zeit erheben würde. Sie ist zuerst angebahnt worden durch die Iinpöri^I I^dörstion I^g^us, die 1884 entstand und sich 1393 auflöste. An die Stelle dieser Liga sind seitdem drei andre Vereine getreten, von denen die eine Föderation auf der Grundlage des Schutz¬ zolles befürwortet, die zweite auf Grundlage des Freihandels, während die dritte gemeinsame Verteidigung durch eine gemeinsame Flotte für das wichtigste hält. Chamberlains Amtsantritt brachte sofort frischen Zug in alle kolonialen Angelegenheiten. Er zeigte nicht nur selbst das stärkste Inter¬ esse für koloniale Fragen, sondern wußte es auch in andern anzufachen. Mit solchem Feuereifer führte er bei jeder Gelegenheit die Kolonien vor die Öffent¬ lichkeit, daß ihm nachgesagt wird, er geberde sich, als habe er die Kolonien erst entdeckt. Ohne Frage stehen die Kolonien seit dem Jahre 1895 im Vorder¬ gründe des Interesses, und die Neichsföderation ist ein Gegenstand, der allent¬ halben erörtert wird. Die Kolonien an das Mutterland anzugliedern, ist daher der vornehmste und wichtigste Punkt in Chamberlains Kolonialprogramm, und der zweite Punkt ist, auf soviel wie möglich noch unbesetzte Gebiete für Eng¬ land Beschlag zu legen. Noch ist ja der englische Handel dem aller andern Nationen überlegen. Aber der Märkte, die noch der Ausschließung harren, sind nur wenige, und der Wettbewerb der andern läßt den Abstand stetig kleiner werden. Für Englands Industrie ist es also von der größten Wichtig¬ keit, sich Märkte und Absatzgebiete zu sichern, die nötigenfalls gegen Ausländer durch Schutzzölle verschlossen werden können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/239>, abgerufen am 23.07.2024.