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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph "Lhamberlain

Kolonien eine zu hervorragende Rolle, als daß er sie nicht in erster Reihe
hätte ins Auge fassen müssen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese ameri¬
kanische Sendung ihn bestimmt hat, in Salisburys dritten Kabinette das
Kolonialamt zu übernehmen.

Nun waren die Konservativen schon seit langem eifrige Verfechter im¬
perialistischer Ziele und hatten in der äußern Politik mehr Erfolge auszuweisen
als ihre Gegner, die von der Löwenjagd meist nur Bocke heimbrachten. Für
die Unterlage sozialer Reformen ließen also die Konservativen mehr hoffen als
die Liberalen. Die Frage war nur, ob sie auf, ein soziales Programm ein¬
gehen würden. Sobald Chamberlain ohne Voreingenommenheit an die Konser¬
vativen herantrat, fand er nicht nur keine reaktionären Absichten, sondern sogar
ein bereitwilliges Entgegenkommen. Von Chamberlains vielen Feinden ist oft-
behauptet worden, daß alle seine Handlungen aus Eitelkeit, Selbstsucht und
persönlichem Ehrgeiz entspringen. Andre Politiker sind in ähnlicher Weise
angegriffen worden, doch selten mit solcher Heftigkeit. Im Grunde bezeichnen
alle drei, Eitelkeit, Selbstsucht und Ehrgeiz nur ein und dasselbe, nämlich das
persönliche Wesen, von dem sich die menschliche Natur nun einmal nicht frei¬
machen kann, und je nach dem Standpunkte des Kritikers wird es so oder so
oder noch schlimmer benannt. Ohne ein Urteil auszusprechen, muß gesagt
werden, daß bei Chamberlain die persönlichen Züge stark in die Augen springen.
Er ist in allem erst Chamberlain, und unter den lebenden englischen Politikern
hat keiner eine so stark ausgeprägte Individualität wie er. Als Radikaler
oder Demokrat ist ihm der ausgesprochne Wille der Mehrheit Gesetz. Wenn
aber dieser Wille der Mehrheit ihm nicht behagt, so sucht er, ihn mit allen
einer starken Natur zu Gebote stehenden Mitteln nach seinem Willen zu ändern.
Auch die radikalsten Radikalen und Verehrer des Demos sind Despoten in
ihrer Art, Despoten in der Toga des Volkstribunen und alle nicht abgeneigt,
Andersdenkenden eine Unterkunft in den Steinbrüchen zu verschaffen. Ein
solcher despotischer Charakter wird wohl seineu Zweck erreichen, aber er kann
nicht verhindern, daß seine Führung als ein Joch empfunden wird. Die
kleinern Geister der liberalen Partei sahen das Ausscheiden Chamberlains mit
nichts weniger als Bedauern und thaten ihr Möglichstes, seinen Wiedereintritt
zu verhindern. Schmähungen von ihrer Seite haben also wenig Gewicht und
fallen auf die Urheber selbst zurück, da ihre eigne Eitelkeit durch die Ent¬
fernung des Starken befriedigt wurde.

Grundlos sind die Anklagen darum nicht, ob berechtigt, müssen wir be¬
zweifeln. In der Staatengemeinschaft ist die Freundschaft eines Staates umso
wertvoller, als seine Feindschaft gefährlich sein kann. Ist es im Parteikämpfe
oder selbst im Geschäftsleben anders? Ein Politiker muß sich Gehör ver¬
schaffen, muß Einfluß erlangen. Hartington war als zukünftiges Haupt des
Hauses Cavendish fast der geborne Führer der Whigs. Er brauchte sich nicht in


Joseph «Lhamberlain

Kolonien eine zu hervorragende Rolle, als daß er sie nicht in erster Reihe
hätte ins Auge fassen müssen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese ameri¬
kanische Sendung ihn bestimmt hat, in Salisburys dritten Kabinette das
Kolonialamt zu übernehmen.

Nun waren die Konservativen schon seit langem eifrige Verfechter im¬
perialistischer Ziele und hatten in der äußern Politik mehr Erfolge auszuweisen
als ihre Gegner, die von der Löwenjagd meist nur Bocke heimbrachten. Für
die Unterlage sozialer Reformen ließen also die Konservativen mehr hoffen als
die Liberalen. Die Frage war nur, ob sie auf, ein soziales Programm ein¬
gehen würden. Sobald Chamberlain ohne Voreingenommenheit an die Konser¬
vativen herantrat, fand er nicht nur keine reaktionären Absichten, sondern sogar
ein bereitwilliges Entgegenkommen. Von Chamberlains vielen Feinden ist oft-
behauptet worden, daß alle seine Handlungen aus Eitelkeit, Selbstsucht und
persönlichem Ehrgeiz entspringen. Andre Politiker sind in ähnlicher Weise
angegriffen worden, doch selten mit solcher Heftigkeit. Im Grunde bezeichnen
alle drei, Eitelkeit, Selbstsucht und Ehrgeiz nur ein und dasselbe, nämlich das
persönliche Wesen, von dem sich die menschliche Natur nun einmal nicht frei¬
machen kann, und je nach dem Standpunkte des Kritikers wird es so oder so
oder noch schlimmer benannt. Ohne ein Urteil auszusprechen, muß gesagt
werden, daß bei Chamberlain die persönlichen Züge stark in die Augen springen.
Er ist in allem erst Chamberlain, und unter den lebenden englischen Politikern
hat keiner eine so stark ausgeprägte Individualität wie er. Als Radikaler
oder Demokrat ist ihm der ausgesprochne Wille der Mehrheit Gesetz. Wenn
aber dieser Wille der Mehrheit ihm nicht behagt, so sucht er, ihn mit allen
einer starken Natur zu Gebote stehenden Mitteln nach seinem Willen zu ändern.
Auch die radikalsten Radikalen und Verehrer des Demos sind Despoten in
ihrer Art, Despoten in der Toga des Volkstribunen und alle nicht abgeneigt,
Andersdenkenden eine Unterkunft in den Steinbrüchen zu verschaffen. Ein
solcher despotischer Charakter wird wohl seineu Zweck erreichen, aber er kann
nicht verhindern, daß seine Führung als ein Joch empfunden wird. Die
kleinern Geister der liberalen Partei sahen das Ausscheiden Chamberlains mit
nichts weniger als Bedauern und thaten ihr Möglichstes, seinen Wiedereintritt
zu verhindern. Schmähungen von ihrer Seite haben also wenig Gewicht und
fallen auf die Urheber selbst zurück, da ihre eigne Eitelkeit durch die Ent¬
fernung des Starken befriedigt wurde.

Grundlos sind die Anklagen darum nicht, ob berechtigt, müssen wir be¬
zweifeln. In der Staatengemeinschaft ist die Freundschaft eines Staates umso
wertvoller, als seine Feindschaft gefährlich sein kann. Ist es im Parteikämpfe
oder selbst im Geschäftsleben anders? Ein Politiker muß sich Gehör ver¬
schaffen, muß Einfluß erlangen. Hartington war als zukünftiges Haupt des
Hauses Cavendish fast der geborne Führer der Whigs. Er brauchte sich nicht in


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[0235] Joseph «Lhamberlain Kolonien eine zu hervorragende Rolle, als daß er sie nicht in erster Reihe hätte ins Auge fassen müssen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese ameri¬ kanische Sendung ihn bestimmt hat, in Salisburys dritten Kabinette das Kolonialamt zu übernehmen. Nun waren die Konservativen schon seit langem eifrige Verfechter im¬ perialistischer Ziele und hatten in der äußern Politik mehr Erfolge auszuweisen als ihre Gegner, die von der Löwenjagd meist nur Bocke heimbrachten. Für die Unterlage sozialer Reformen ließen also die Konservativen mehr hoffen als die Liberalen. Die Frage war nur, ob sie auf, ein soziales Programm ein¬ gehen würden. Sobald Chamberlain ohne Voreingenommenheit an die Konser¬ vativen herantrat, fand er nicht nur keine reaktionären Absichten, sondern sogar ein bereitwilliges Entgegenkommen. Von Chamberlains vielen Feinden ist oft- behauptet worden, daß alle seine Handlungen aus Eitelkeit, Selbstsucht und persönlichem Ehrgeiz entspringen. Andre Politiker sind in ähnlicher Weise angegriffen worden, doch selten mit solcher Heftigkeit. Im Grunde bezeichnen alle drei, Eitelkeit, Selbstsucht und Ehrgeiz nur ein und dasselbe, nämlich das persönliche Wesen, von dem sich die menschliche Natur nun einmal nicht frei¬ machen kann, und je nach dem Standpunkte des Kritikers wird es so oder so oder noch schlimmer benannt. Ohne ein Urteil auszusprechen, muß gesagt werden, daß bei Chamberlain die persönlichen Züge stark in die Augen springen. Er ist in allem erst Chamberlain, und unter den lebenden englischen Politikern hat keiner eine so stark ausgeprägte Individualität wie er. Als Radikaler oder Demokrat ist ihm der ausgesprochne Wille der Mehrheit Gesetz. Wenn aber dieser Wille der Mehrheit ihm nicht behagt, so sucht er, ihn mit allen einer starken Natur zu Gebote stehenden Mitteln nach seinem Willen zu ändern. Auch die radikalsten Radikalen und Verehrer des Demos sind Despoten in ihrer Art, Despoten in der Toga des Volkstribunen und alle nicht abgeneigt, Andersdenkenden eine Unterkunft in den Steinbrüchen zu verschaffen. Ein solcher despotischer Charakter wird wohl seineu Zweck erreichen, aber er kann nicht verhindern, daß seine Führung als ein Joch empfunden wird. Die kleinern Geister der liberalen Partei sahen das Ausscheiden Chamberlains mit nichts weniger als Bedauern und thaten ihr Möglichstes, seinen Wiedereintritt zu verhindern. Schmähungen von ihrer Seite haben also wenig Gewicht und fallen auf die Urheber selbst zurück, da ihre eigne Eitelkeit durch die Ent¬ fernung des Starken befriedigt wurde. Grundlos sind die Anklagen darum nicht, ob berechtigt, müssen wir be¬ zweifeln. In der Staatengemeinschaft ist die Freundschaft eines Staates umso wertvoller, als seine Feindschaft gefährlich sein kann. Ist es im Parteikämpfe oder selbst im Geschäftsleben anders? Ein Politiker muß sich Gehör ver¬ schaffen, muß Einfluß erlangen. Hartington war als zukünftiges Haupt des Hauses Cavendish fast der geborne Führer der Whigs. Er brauchte sich nicht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/235>, abgerufen am 27.12.2024.