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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

Philosophen, d. h. den Denkenden, den Wissenden zu, die zu ihrem Berufe
aufs sorgfältigste erzogen werden sollten. Seine Bemühungen, dies Ideal
mit seinem Schüler Dionysios von Syrakus zu verwirklichen -- denn zwischen
einer Monarchie und Aristokratie dieser Art machte er keinen grundsätzlichen
Unterschied, da die Form der Regierung das Wesen des "Jdealstaats," der
x"^t?ro>>.de,' nicht ändert --, scheiterten bekanntlich, und das ganze Altertum
vermochte es nicht zu verwirklichen; seine erste und großartigste Verwirklichung
fand es während des Mittelalters in der Hierarchie der römischen Kirche, also
eben nicht für den Staat. Erst als seit der zweiten Hülste des siebzehnten
Jahrhunderts der neue fürstlich-absolute Staat sein monarchisches Heerwesen
und Beamtentum schuf, da entstand die zur Herrschaft berufne und befähigte
Geistesaristokratie. Denn wer in der Verwaltung oder im Heere ein ,,Amt" .
erhielt, dessen Name und Begriff ihrem Ursprünge nach deutsch sind, der diente
nicht einem persönlichen Interesse, sondern er diente dem Monarchen, dem
Staate, dem Ganzen; er diente nicht, weil er Grundbesitzer war oder
überhaupt zu den besitzenden Klassen zählte, sondern weil er das Maß von
Kenntnissen und Charaktereigenschaften inne hatte, das ihn dazu befähigte, sein
Amt auszufüllen; er diente endlich nicht auf Zeit im Ehrenamt, sondern lebens¬
länglich im Berufe. Damit kam etwas ganz neues in die Welt. Dies neue
Beamtentum erhielt seine begriffliche Vollendung, als Friedrich Wilhelm I.
von Preußen sich schlechtweg als Offizier seines Heeres fühlte, und als Friedrich
der Große bekannte, der König sei der erste Diener seines Staats, eine An¬
schauung, die schon sein Vater praktisch verwirklicht hatte, die aber in dem
Zeitalter der unumschränkten Fürstenmacht zunächst ebenso neu war, wie etwa
der Gedanke der persönlichen Glaubensfreiheit im sechzehnten Jahrhundert, und
die doch mit unwiderstehlicher Gewalt alle Staaten und alle Fürsten Europas
in ihre Kreise zwang. Dies Monarchische Beamtentum innerhalb und außer¬
halb Preußens hat die Grundlagen der neuen deutschen Größe geschaffen, den
Zollverein noch mit eingeschlossen.

Doch es kam die Zeit, wo das ganz unpolitisch gewordne und daher
politisch unmündige städtische.Bürgertum politisch und also mündig wurde.
Es schuf sich zunächst seine städtische Selbstverwaltung, die doch auch den
neuen Begriff des Beamtentums in sich aufnahm; sodann erlangte es in den
neuen Verfassungen einen Anteil auch an der Leitung des Staats, endlich
stellten sich nach dem Muster der Stadtverwaltung neben das berufsmäßige
Beamtentum für immer zahlreichere und weitere Kreise die Ehrenämter der
Selbstverwaltung in Stadt und Land. Darauf beruht auch die wahre, die
echte Freiheit. Denn unter der Freiheit verstehen wir Germanen nicht in erster
Linie die Berechtigung des Staatsbürgers, möglichst häufig irgend welchen
Wahlzettel in irgend welchen als "Urne" bezeichneten Kasten zu werfen, um
irgend einem dem Wähler persönlich meist unbekannten und gleichgiltigen Mit-


K
Geistesaristokratie

Philosophen, d. h. den Denkenden, den Wissenden zu, die zu ihrem Berufe
aufs sorgfältigste erzogen werden sollten. Seine Bemühungen, dies Ideal
mit seinem Schüler Dionysios von Syrakus zu verwirklichen — denn zwischen
einer Monarchie und Aristokratie dieser Art machte er keinen grundsätzlichen
Unterschied, da die Form der Regierung das Wesen des „Jdealstaats," der
x«^t?ro>>.de,' nicht ändert —, scheiterten bekanntlich, und das ganze Altertum
vermochte es nicht zu verwirklichen; seine erste und großartigste Verwirklichung
fand es während des Mittelalters in der Hierarchie der römischen Kirche, also
eben nicht für den Staat. Erst als seit der zweiten Hülste des siebzehnten
Jahrhunderts der neue fürstlich-absolute Staat sein monarchisches Heerwesen
und Beamtentum schuf, da entstand die zur Herrschaft berufne und befähigte
Geistesaristokratie. Denn wer in der Verwaltung oder im Heere ein ,,Amt" .
erhielt, dessen Name und Begriff ihrem Ursprünge nach deutsch sind, der diente
nicht einem persönlichen Interesse, sondern er diente dem Monarchen, dem
Staate, dem Ganzen; er diente nicht, weil er Grundbesitzer war oder
überhaupt zu den besitzenden Klassen zählte, sondern weil er das Maß von
Kenntnissen und Charaktereigenschaften inne hatte, das ihn dazu befähigte, sein
Amt auszufüllen; er diente endlich nicht auf Zeit im Ehrenamt, sondern lebens¬
länglich im Berufe. Damit kam etwas ganz neues in die Welt. Dies neue
Beamtentum erhielt seine begriffliche Vollendung, als Friedrich Wilhelm I.
von Preußen sich schlechtweg als Offizier seines Heeres fühlte, und als Friedrich
der Große bekannte, der König sei der erste Diener seines Staats, eine An¬
schauung, die schon sein Vater praktisch verwirklicht hatte, die aber in dem
Zeitalter der unumschränkten Fürstenmacht zunächst ebenso neu war, wie etwa
der Gedanke der persönlichen Glaubensfreiheit im sechzehnten Jahrhundert, und
die doch mit unwiderstehlicher Gewalt alle Staaten und alle Fürsten Europas
in ihre Kreise zwang. Dies Monarchische Beamtentum innerhalb und außer¬
halb Preußens hat die Grundlagen der neuen deutschen Größe geschaffen, den
Zollverein noch mit eingeschlossen.

Doch es kam die Zeit, wo das ganz unpolitisch gewordne und daher
politisch unmündige städtische.Bürgertum politisch und also mündig wurde.
Es schuf sich zunächst seine städtische Selbstverwaltung, die doch auch den
neuen Begriff des Beamtentums in sich aufnahm; sodann erlangte es in den
neuen Verfassungen einen Anteil auch an der Leitung des Staats, endlich
stellten sich nach dem Muster der Stadtverwaltung neben das berufsmäßige
Beamtentum für immer zahlreichere und weitere Kreise die Ehrenämter der
Selbstverwaltung in Stadt und Land. Darauf beruht auch die wahre, die
echte Freiheit. Denn unter der Freiheit verstehen wir Germanen nicht in erster
Linie die Berechtigung des Staatsbürgers, möglichst häufig irgend welchen
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irgend einem dem Wähler persönlich meist unbekannten und gleichgiltigen Mit-


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[0014] Geistesaristokratie Philosophen, d. h. den Denkenden, den Wissenden zu, die zu ihrem Berufe aufs sorgfältigste erzogen werden sollten. Seine Bemühungen, dies Ideal mit seinem Schüler Dionysios von Syrakus zu verwirklichen — denn zwischen einer Monarchie und Aristokratie dieser Art machte er keinen grundsätzlichen Unterschied, da die Form der Regierung das Wesen des „Jdealstaats," der x«^t?ro>>.de,' nicht ändert —, scheiterten bekanntlich, und das ganze Altertum vermochte es nicht zu verwirklichen; seine erste und großartigste Verwirklichung fand es während des Mittelalters in der Hierarchie der römischen Kirche, also eben nicht für den Staat. Erst als seit der zweiten Hülste des siebzehnten Jahrhunderts der neue fürstlich-absolute Staat sein monarchisches Heerwesen und Beamtentum schuf, da entstand die zur Herrschaft berufne und befähigte Geistesaristokratie. Denn wer in der Verwaltung oder im Heere ein ,,Amt" . erhielt, dessen Name und Begriff ihrem Ursprünge nach deutsch sind, der diente nicht einem persönlichen Interesse, sondern er diente dem Monarchen, dem Staate, dem Ganzen; er diente nicht, weil er Grundbesitzer war oder überhaupt zu den besitzenden Klassen zählte, sondern weil er das Maß von Kenntnissen und Charaktereigenschaften inne hatte, das ihn dazu befähigte, sein Amt auszufüllen; er diente endlich nicht auf Zeit im Ehrenamt, sondern lebens¬ länglich im Berufe. Damit kam etwas ganz neues in die Welt. Dies neue Beamtentum erhielt seine begriffliche Vollendung, als Friedrich Wilhelm I. von Preußen sich schlechtweg als Offizier seines Heeres fühlte, und als Friedrich der Große bekannte, der König sei der erste Diener seines Staats, eine An¬ schauung, die schon sein Vater praktisch verwirklicht hatte, die aber in dem Zeitalter der unumschränkten Fürstenmacht zunächst ebenso neu war, wie etwa der Gedanke der persönlichen Glaubensfreiheit im sechzehnten Jahrhundert, und die doch mit unwiderstehlicher Gewalt alle Staaten und alle Fürsten Europas in ihre Kreise zwang. Dies Monarchische Beamtentum innerhalb und außer¬ halb Preußens hat die Grundlagen der neuen deutschen Größe geschaffen, den Zollverein noch mit eingeschlossen. Doch es kam die Zeit, wo das ganz unpolitisch gewordne und daher politisch unmündige städtische.Bürgertum politisch und also mündig wurde. Es schuf sich zunächst seine städtische Selbstverwaltung, die doch auch den neuen Begriff des Beamtentums in sich aufnahm; sodann erlangte es in den neuen Verfassungen einen Anteil auch an der Leitung des Staats, endlich stellten sich nach dem Muster der Stadtverwaltung neben das berufsmäßige Beamtentum für immer zahlreichere und weitere Kreise die Ehrenämter der Selbstverwaltung in Stadt und Land. Darauf beruht auch die wahre, die echte Freiheit. Denn unter der Freiheit verstehen wir Germanen nicht in erster Linie die Berechtigung des Staatsbürgers, möglichst häufig irgend welchen Wahlzettel in irgend welchen als „Urne" bezeichneten Kasten zu werfen, um irgend einem dem Wähler persönlich meist unbekannten und gleichgiltigen Mit- K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/14>, abgerufen am 27.12.2024.