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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

deutschfeindliche Gesinnung vor dem gesamten Vaterlande kund, als es uns
um den Siegespreis betrog und den Raub der Ludwige von der Freigraf¬
schaft Hochburgund bis zu den französischen Niederlanden hinab bei Frankreich
ließ. Bei den belgischen Selbständigkeitskämpfen schürte England ebenso geflissent¬
lich den Abfall, der doch nur eine französische Einverleibung nach der Absicht
der Machthaber in Paris vorbereiten sollte, wie es 1870 die Neutralität ans
Geschäftsrücksichten brach, indem es harmlos Kriegskontrebande gegen teure
Preise unter seiner Flagge nach Frankreich einführte. Die Franzosenfreundlichkeit
kam auch unverhohlen auf politischem Gebiete zum Vorschein, als geschäftige
Frauenhünde diesseits und jenseits des Kanals die Fäden der deutschen Politik
zu verwirren suchten. Bei dem Beginn unsrer Kolonialbestrebungen und deren
Verwirklichung zeigte sich uns England als offnen Gegner.

Es war ein wunderbarer Zufall, daß das Steppenland der südwest-
afrikanischen Küste zuerst der britischen Begehrlichkeit entrissen wurde; ohne
Bismarcks geniale Meisterkunst Hütte England wie damals thatsächlich, so auch
heute staatsrechtlich die Herrschaft bis zum Kumme in Anspruch genommen. Liegt
auch Südwestafrika unsrer gegenwärtigen praktischen und amtlichen Kolonialpolitik
ferner, als man wünschen müßte, da es die einzige Siedelungskolonie ist, so ist es
doch politisch und national die bedeutungsvollste. Es bildet geographisch die Ver¬
bindung mit dem niederdeutschen Element in dem englischen und dem boerischen
Südafrika. Wie in Belgien, so tritt uns hier auf afrikanischen Boden die nieder¬
deutsche Frage entgegen. Aber die boerische Bevölkerung im Kapland wie auch
die der Freistaaten ist keineswegs besonders holländisch, also nvrdniederländisch,
sondern das reichsdeutsche Element Frieslands und Niedersachsens ist mindestens
ebenso stark vertreten wie das holländische selbst, abgesehen von der beträcht¬
lichen hochdeutschen Einwanderung. Wie Frankreich in Belgien die Ohnmacht
Deutschlands ausnutzte, so benutzt England dort unten die deutsche Un-
thütigkeit, um mit beharrlicher Rücksichtslosigkeit die englische Vorherrschaft
auch auf deutsches Volkstum auszudehnen. Die kapländische, boerische und
hochdeutsche Bevölkerung hatte vor einem Jahrzehnt noch die Mehrheit im
Kapparlament und ist noch heute an Zahl stärker als die verhältnismäßig
junge englische Einwanderung, die aber von der Negierung planmäßig ge¬
fördert wird. Die Aussichten der wirtschaftlichen Erschließung dieses auch
für Europäer dauernd und ohne Schaden für die Gesundheit bewohnbaren
Landes sind durchaus günstig, aber der hoch- und niederdeutsche Zufluß ist
winzig, und das erregt sür die deutsche Zukunft des Kaps ernstliche Befürch¬
tungen. Eine praktische Politik müßte auf die Auswanderung Deutscher nach
dem Kaplande viel mehr Wert legen. England kann uns darin als Muster dienen.
Die Rinderpest ist nur eine vorübergehende Plage, die auch bei uns im Reiche
vor nicht zu langer Zeit gewütet hat. Die Angst um das Wohl unsrer Volks¬
genossen in diesem gesunden und aufblühenden Steppenlande, unsre Kolonie


Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

deutschfeindliche Gesinnung vor dem gesamten Vaterlande kund, als es uns
um den Siegespreis betrog und den Raub der Ludwige von der Freigraf¬
schaft Hochburgund bis zu den französischen Niederlanden hinab bei Frankreich
ließ. Bei den belgischen Selbständigkeitskämpfen schürte England ebenso geflissent¬
lich den Abfall, der doch nur eine französische Einverleibung nach der Absicht
der Machthaber in Paris vorbereiten sollte, wie es 1870 die Neutralität ans
Geschäftsrücksichten brach, indem es harmlos Kriegskontrebande gegen teure
Preise unter seiner Flagge nach Frankreich einführte. Die Franzosenfreundlichkeit
kam auch unverhohlen auf politischem Gebiete zum Vorschein, als geschäftige
Frauenhünde diesseits und jenseits des Kanals die Fäden der deutschen Politik
zu verwirren suchten. Bei dem Beginn unsrer Kolonialbestrebungen und deren
Verwirklichung zeigte sich uns England als offnen Gegner.

Es war ein wunderbarer Zufall, daß das Steppenland der südwest-
afrikanischen Küste zuerst der britischen Begehrlichkeit entrissen wurde; ohne
Bismarcks geniale Meisterkunst Hütte England wie damals thatsächlich, so auch
heute staatsrechtlich die Herrschaft bis zum Kumme in Anspruch genommen. Liegt
auch Südwestafrika unsrer gegenwärtigen praktischen und amtlichen Kolonialpolitik
ferner, als man wünschen müßte, da es die einzige Siedelungskolonie ist, so ist es
doch politisch und national die bedeutungsvollste. Es bildet geographisch die Ver¬
bindung mit dem niederdeutschen Element in dem englischen und dem boerischen
Südafrika. Wie in Belgien, so tritt uns hier auf afrikanischen Boden die nieder¬
deutsche Frage entgegen. Aber die boerische Bevölkerung im Kapland wie auch
die der Freistaaten ist keineswegs besonders holländisch, also nvrdniederländisch,
sondern das reichsdeutsche Element Frieslands und Niedersachsens ist mindestens
ebenso stark vertreten wie das holländische selbst, abgesehen von der beträcht¬
lichen hochdeutschen Einwanderung. Wie Frankreich in Belgien die Ohnmacht
Deutschlands ausnutzte, so benutzt England dort unten die deutsche Un-
thütigkeit, um mit beharrlicher Rücksichtslosigkeit die englische Vorherrschaft
auch auf deutsches Volkstum auszudehnen. Die kapländische, boerische und
hochdeutsche Bevölkerung hatte vor einem Jahrzehnt noch die Mehrheit im
Kapparlament und ist noch heute an Zahl stärker als die verhältnismäßig
junge englische Einwanderung, die aber von der Negierung planmäßig ge¬
fördert wird. Die Aussichten der wirtschaftlichen Erschließung dieses auch
für Europäer dauernd und ohne Schaden für die Gesundheit bewohnbaren
Landes sind durchaus günstig, aber der hoch- und niederdeutsche Zufluß ist
winzig, und das erregt sür die deutsche Zukunft des Kaps ernstliche Befürch¬
tungen. Eine praktische Politik müßte auf die Auswanderung Deutscher nach
dem Kaplande viel mehr Wert legen. England kann uns darin als Muster dienen.
Die Rinderpest ist nur eine vorübergehende Plage, die auch bei uns im Reiche
vor nicht zu langer Zeit gewütet hat. Die Angst um das Wohl unsrer Volks¬
genossen in diesem gesunden und aufblühenden Steppenlande, unsre Kolonie


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[0122] Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika deutschfeindliche Gesinnung vor dem gesamten Vaterlande kund, als es uns um den Siegespreis betrog und den Raub der Ludwige von der Freigraf¬ schaft Hochburgund bis zu den französischen Niederlanden hinab bei Frankreich ließ. Bei den belgischen Selbständigkeitskämpfen schürte England ebenso geflissent¬ lich den Abfall, der doch nur eine französische Einverleibung nach der Absicht der Machthaber in Paris vorbereiten sollte, wie es 1870 die Neutralität ans Geschäftsrücksichten brach, indem es harmlos Kriegskontrebande gegen teure Preise unter seiner Flagge nach Frankreich einführte. Die Franzosenfreundlichkeit kam auch unverhohlen auf politischem Gebiete zum Vorschein, als geschäftige Frauenhünde diesseits und jenseits des Kanals die Fäden der deutschen Politik zu verwirren suchten. Bei dem Beginn unsrer Kolonialbestrebungen und deren Verwirklichung zeigte sich uns England als offnen Gegner. Es war ein wunderbarer Zufall, daß das Steppenland der südwest- afrikanischen Küste zuerst der britischen Begehrlichkeit entrissen wurde; ohne Bismarcks geniale Meisterkunst Hütte England wie damals thatsächlich, so auch heute staatsrechtlich die Herrschaft bis zum Kumme in Anspruch genommen. Liegt auch Südwestafrika unsrer gegenwärtigen praktischen und amtlichen Kolonialpolitik ferner, als man wünschen müßte, da es die einzige Siedelungskolonie ist, so ist es doch politisch und national die bedeutungsvollste. Es bildet geographisch die Ver¬ bindung mit dem niederdeutschen Element in dem englischen und dem boerischen Südafrika. Wie in Belgien, so tritt uns hier auf afrikanischen Boden die nieder¬ deutsche Frage entgegen. Aber die boerische Bevölkerung im Kapland wie auch die der Freistaaten ist keineswegs besonders holländisch, also nvrdniederländisch, sondern das reichsdeutsche Element Frieslands und Niedersachsens ist mindestens ebenso stark vertreten wie das holländische selbst, abgesehen von der beträcht¬ lichen hochdeutschen Einwanderung. Wie Frankreich in Belgien die Ohnmacht Deutschlands ausnutzte, so benutzt England dort unten die deutsche Un- thütigkeit, um mit beharrlicher Rücksichtslosigkeit die englische Vorherrschaft auch auf deutsches Volkstum auszudehnen. Die kapländische, boerische und hochdeutsche Bevölkerung hatte vor einem Jahrzehnt noch die Mehrheit im Kapparlament und ist noch heute an Zahl stärker als die verhältnismäßig junge englische Einwanderung, die aber von der Negierung planmäßig ge¬ fördert wird. Die Aussichten der wirtschaftlichen Erschließung dieses auch für Europäer dauernd und ohne Schaden für die Gesundheit bewohnbaren Landes sind durchaus günstig, aber der hoch- und niederdeutsche Zufluß ist winzig, und das erregt sür die deutsche Zukunft des Kaps ernstliche Befürch¬ tungen. Eine praktische Politik müßte auf die Auswanderung Deutscher nach dem Kaplande viel mehr Wert legen. England kann uns darin als Muster dienen. Die Rinderpest ist nur eine vorübergehende Plage, die auch bei uns im Reiche vor nicht zu langer Zeit gewütet hat. Die Angst um das Wohl unsrer Volks¬ genossen in diesem gesunden und aufblühenden Steppenlande, unsre Kolonie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/122>, abgerufen am 23.07.2024.