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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Ein Vormarsch Ebben Paschas ohne jede Rücksicht auf seine rückwärtigen
Verbindungen und ohne daß er von griechischer Seite behindert worden wäre,
hätte bis nach Athen zum mindesten vierzehn Tage bis drei Wochen bean¬
sprucht. Auch dann aber wäre der griechischen Negierung die Flucht nach
Morea oder nach Euböa offen geblieben. Die Landung eines Expeditions¬
korps der Griechen von 40000 Mann auf Kassandra oder nordwestlich von
Gallipoli hätte bei genügender Vorbereitung und Sammlung der Transport¬
mittel drei bis fünf Tage erfordert und konnte erfolgen im Momente der
Kriegserklärung. Man sollte meinen, diese Zahlen sprächen genng.

Man hat sich in Europa daran gewöhnt, die Niederlage der Griechen
als eine endgiltige zu betrachten, und einer der ruhigsten und klügsten Menschen,
die ich kennen gelernt habe, und dabei einer der ersten Kenner des Orients
schreibt mir: "Jedenfalls bedeutet der Ausgang des Kampfes für Griechenland
nicht nur eine Erleichterung um fünf Millionen Pfund und einige Quadrat¬
kilometer Ödland: vor allem ist sein Prestige dahin, und Makedonien dürfte
an die Slawen verloren sein." Aber gleichzeitig meint dieser zuständige Be¬
urteiler: "Auffüllig ist es allerdings, mit welcher Resignation und Ruhe die
Griechen schließlich die Friedensbedingungen acceptirt haben. Das ist ver¬
dächtig und sieht so aus, als ob es sich nnr um einen Waffenstillstand und
nicht um einen Frieden auf ewige Zeiten handelte." Und von andrer diplo¬
matischer Seite aus dem Orient wird mir geschrieben: "Der politische Horizont
sieht wirklich trüb aus; dennoch bin ich der Meinung und Hoffnung, daß in
Alteurvpa nichts ausbrechen wird, wahrscheinlich aber, wie Sie auch meinen,
zwischen Dardanellen und Suezkanal, und da bin ich des Gutachtens eines
zweiten Trafalgars." Ja wenn Ebben Pascha das griechische Landheer, das
sich ihm so sinnlos in den Weg stellte, nicht hätte viermal entweichen lassen,
sondern wenn er es vernichtet Hütte, wie er konnte, dann wäre die Lage heute
anders als vor einem Jahre.

Aber während die griechische Flotte überhaupt nicht ins Gefecht kam, blieb
das griechische Lcmdheer, von dem Verluste einiger tausend Verwundeter und
Toter abgesehen, unbeschädigt. Im Gegenteil, während vielleicht die Nation ge¬
läutert wurde durch das erlittne Unglück und die Aussicht auf den endgiltigen
Verlust ihrer Expansionssphüre an die Slawen, und während sie dnrch den
Mißerfolg des Kampfes ihrer Landarmee im Innern des Landes geradezu mit
der Nase auf die Küsten und den Kampf zur See hingestoßen wurde, hat die
Armee selbst durch die Erfahrung und Schulung in diesem Kriege fraglos
gewonnen. Wie Frankreichs Heer in den Jahren nach dem siebziger Kriege un¬
zweifelhaft zu einem andern Werkzeug wurde, als es vorher gewesen war, so
hat sicher auch diese Niederlage im griechischen Heere ihre Folgen. Schon
heute sehen wir den tüchtigsten der Führer im Feldzug des vorigen Frühjahrs,
General Smolenski, der die richtige Erkenntnis von der unvergleichlichen


Ein Vormarsch Ebben Paschas ohne jede Rücksicht auf seine rückwärtigen
Verbindungen und ohne daß er von griechischer Seite behindert worden wäre,
hätte bis nach Athen zum mindesten vierzehn Tage bis drei Wochen bean¬
sprucht. Auch dann aber wäre der griechischen Negierung die Flucht nach
Morea oder nach Euböa offen geblieben. Die Landung eines Expeditions¬
korps der Griechen von 40000 Mann auf Kassandra oder nordwestlich von
Gallipoli hätte bei genügender Vorbereitung und Sammlung der Transport¬
mittel drei bis fünf Tage erfordert und konnte erfolgen im Momente der
Kriegserklärung. Man sollte meinen, diese Zahlen sprächen genng.

Man hat sich in Europa daran gewöhnt, die Niederlage der Griechen
als eine endgiltige zu betrachten, und einer der ruhigsten und klügsten Menschen,
die ich kennen gelernt habe, und dabei einer der ersten Kenner des Orients
schreibt mir: „Jedenfalls bedeutet der Ausgang des Kampfes für Griechenland
nicht nur eine Erleichterung um fünf Millionen Pfund und einige Quadrat¬
kilometer Ödland: vor allem ist sein Prestige dahin, und Makedonien dürfte
an die Slawen verloren sein." Aber gleichzeitig meint dieser zuständige Be¬
urteiler: „Auffüllig ist es allerdings, mit welcher Resignation und Ruhe die
Griechen schließlich die Friedensbedingungen acceptirt haben. Das ist ver¬
dächtig und sieht so aus, als ob es sich nnr um einen Waffenstillstand und
nicht um einen Frieden auf ewige Zeiten handelte." Und von andrer diplo¬
matischer Seite aus dem Orient wird mir geschrieben: „Der politische Horizont
sieht wirklich trüb aus; dennoch bin ich der Meinung und Hoffnung, daß in
Alteurvpa nichts ausbrechen wird, wahrscheinlich aber, wie Sie auch meinen,
zwischen Dardanellen und Suezkanal, und da bin ich des Gutachtens eines
zweiten Trafalgars." Ja wenn Ebben Pascha das griechische Landheer, das
sich ihm so sinnlos in den Weg stellte, nicht hätte viermal entweichen lassen,
sondern wenn er es vernichtet Hütte, wie er konnte, dann wäre die Lage heute
anders als vor einem Jahre.

Aber während die griechische Flotte überhaupt nicht ins Gefecht kam, blieb
das griechische Lcmdheer, von dem Verluste einiger tausend Verwundeter und
Toter abgesehen, unbeschädigt. Im Gegenteil, während vielleicht die Nation ge¬
läutert wurde durch das erlittne Unglück und die Aussicht auf den endgiltigen
Verlust ihrer Expansionssphüre an die Slawen, und während sie dnrch den
Mißerfolg des Kampfes ihrer Landarmee im Innern des Landes geradezu mit
der Nase auf die Küsten und den Kampf zur See hingestoßen wurde, hat die
Armee selbst durch die Erfahrung und Schulung in diesem Kriege fraglos
gewonnen. Wie Frankreichs Heer in den Jahren nach dem siebziger Kriege un¬
zweifelhaft zu einem andern Werkzeug wurde, als es vorher gewesen war, so
hat sicher auch diese Niederlage im griechischen Heere ihre Folgen. Schon
heute sehen wir den tüchtigsten der Führer im Feldzug des vorigen Frühjahrs,
General Smolenski, der die richtige Erkenntnis von der unvergleichlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/120>, abgerufen am 23.07.2024.