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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zum Doppeljulliläum Aönig Alberts

Bekanntlich ist die thatsächliche und rechtliche Grundlage des deutschen
Fürstentums die Stellung des Reichsbeamten, ein bedeutsamer Ursprung, denn
er wies den damit betrauten Edeln von Anfang an sehr entschieden darauf
hin, daß er für das Ganze zu sorgen habe und um des Ganzen willen da sei.
Nirgends war diese Amtsgewalt starker, trat diese ihre Bestimmung scharfer
hervor als in den Marken des Reichs, denn eine Mark war thatsächlich und
rechtlich erobertes Feindesland unter der militärischen Diktatur des Markgrafen
als Neichsbeamten. Bei der in den Kultur- und Wirtschaftsverhältnissen des
frühern deutschen Mittelalters unvermeidlichen Neigung aller Reichsämter,
mit dem Boden, auf den sie sich bezogen, durch Eigen- und Lehnsbcsitz, die
einzige in diesem Zeitalter der Naturalwirtschaft mögliche Form der Besoldung,
zu verwachsen, dadurch erblich in dem Geschlecht zu werden, und damit
wiederum den Amtschnrakter mehr und mehr abzustreifen, trat diese Umwand¬
lung des Amts in ein Fürstentum eignen Rechts am frühesten in den am
meisten sich selbst überlassenen Marken ein, war daher anch in der Mark
Meißen der Hauptsache nach schon eingetreten, als die Wettiner 1089 die
Markgrafschaft erhielten. Wenn diese allmählich alle Reichsämter, zuletzt
auch die Herzogtümer, die freilich längst nicht mehr den alten Stammesgebieten
entsprachen, ergreifende Verwandlung des Amts in eine Herrschaft eignen
Rechts das Reich thatsächlich zerstörte, es auflöste in eine Gruppe von erblichen
Fürstentümern unter einem gewühlten Kaiser, der seine Wahl jedesmal mit neuen
Zugeständnissen erkaufe" mußte, so knüpfte sie doch andrerseits ein festes Band
zwischen der einzelnen Landschaft und dem Fürstenhause, das in dieser Zeit,
wo die zentralisirte Verwaltung eines großen Reichs ganz unmöglich war,
allein eine Stetigkeit der Zustände wenigstens in den Teilen verbürgte. Diese
lange, rein thatsächliche Entwicklung erhielt eine allgemein rechtliche Grundlage
durch die Zugestündnisse Kaiser Friedrichs II., der, um sich den Beistand der
deutschen Fürsten in seinen italienischen Machtkämpfen zu sichern, 1213 und
1220 zunächst den geistlichen Fürsten als den damals wichtigsten eine Reihe
landesherrlicher Rechte einräumte und sie auch zuerst als "Landesherren"
bezeichnete; dann gewährte 1356 die Goldne Bulle Karls IV. den sieben Kur¬
fürsten die volle Landeshoheit, und der Westfälische Friede dehnte sie 1648
auf alle Fürsten des Reiches aus.

Doch dieser thatsächlichen und rechtlichen Begründung des deutschen Neichs-
fürstentums ging eine sittliche zur Seite, die ihr erst einen tiefern Inhalt,
eine neue Rechtfertigung verlieh: die Reichsfürsten übernahmen selbständig eine
Reihe von Aufgaben des Reichs, sie traten ein für große Interessen der Nation.
Diese entscheidende Wendung begann, als die deutsche Kaiserkrone, das Werk
eines norddeutsche" Geschlechts, der sächsischen Ludolfiuger, dauernd in die'
Hände süddeutscher, fränkischer und schwäbischer Herrscher überging. Denn
diese vermochten zwar die eine der großen nationalen Aufgaben, die Herrschaft


Zum Doppeljulliläum Aönig Alberts

Bekanntlich ist die thatsächliche und rechtliche Grundlage des deutschen
Fürstentums die Stellung des Reichsbeamten, ein bedeutsamer Ursprung, denn
er wies den damit betrauten Edeln von Anfang an sehr entschieden darauf
hin, daß er für das Ganze zu sorgen habe und um des Ganzen willen da sei.
Nirgends war diese Amtsgewalt starker, trat diese ihre Bestimmung scharfer
hervor als in den Marken des Reichs, denn eine Mark war thatsächlich und
rechtlich erobertes Feindesland unter der militärischen Diktatur des Markgrafen
als Neichsbeamten. Bei der in den Kultur- und Wirtschaftsverhältnissen des
frühern deutschen Mittelalters unvermeidlichen Neigung aller Reichsämter,
mit dem Boden, auf den sie sich bezogen, durch Eigen- und Lehnsbcsitz, die
einzige in diesem Zeitalter der Naturalwirtschaft mögliche Form der Besoldung,
zu verwachsen, dadurch erblich in dem Geschlecht zu werden, und damit
wiederum den Amtschnrakter mehr und mehr abzustreifen, trat diese Umwand¬
lung des Amts in ein Fürstentum eignen Rechts am frühesten in den am
meisten sich selbst überlassenen Marken ein, war daher anch in der Mark
Meißen der Hauptsache nach schon eingetreten, als die Wettiner 1089 die
Markgrafschaft erhielten. Wenn diese allmählich alle Reichsämter, zuletzt
auch die Herzogtümer, die freilich längst nicht mehr den alten Stammesgebieten
entsprachen, ergreifende Verwandlung des Amts in eine Herrschaft eignen
Rechts das Reich thatsächlich zerstörte, es auflöste in eine Gruppe von erblichen
Fürstentümern unter einem gewühlten Kaiser, der seine Wahl jedesmal mit neuen
Zugeständnissen erkaufe» mußte, so knüpfte sie doch andrerseits ein festes Band
zwischen der einzelnen Landschaft und dem Fürstenhause, das in dieser Zeit,
wo die zentralisirte Verwaltung eines großen Reichs ganz unmöglich war,
allein eine Stetigkeit der Zustände wenigstens in den Teilen verbürgte. Diese
lange, rein thatsächliche Entwicklung erhielt eine allgemein rechtliche Grundlage
durch die Zugestündnisse Kaiser Friedrichs II., der, um sich den Beistand der
deutschen Fürsten in seinen italienischen Machtkämpfen zu sichern, 1213 und
1220 zunächst den geistlichen Fürsten als den damals wichtigsten eine Reihe
landesherrlicher Rechte einräumte und sie auch zuerst als „Landesherren"
bezeichnete; dann gewährte 1356 die Goldne Bulle Karls IV. den sieben Kur¬
fürsten die volle Landeshoheit, und der Westfälische Friede dehnte sie 1648
auf alle Fürsten des Reiches aus.

Doch dieser thatsächlichen und rechtlichen Begründung des deutschen Neichs-
fürstentums ging eine sittliche zur Seite, die ihr erst einen tiefern Inhalt,
eine neue Rechtfertigung verlieh: die Reichsfürsten übernahmen selbständig eine
Reihe von Aufgaben des Reichs, sie traten ein für große Interessen der Nation.
Diese entscheidende Wendung begann, als die deutsche Kaiserkrone, das Werk
eines norddeutsche» Geschlechts, der sächsischen Ludolfiuger, dauernd in die'
Hände süddeutscher, fränkischer und schwäbischer Herrscher überging. Denn
diese vermochten zwar die eine der großen nationalen Aufgaben, die Herrschaft


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[0106] Zum Doppeljulliläum Aönig Alberts Bekanntlich ist die thatsächliche und rechtliche Grundlage des deutschen Fürstentums die Stellung des Reichsbeamten, ein bedeutsamer Ursprung, denn er wies den damit betrauten Edeln von Anfang an sehr entschieden darauf hin, daß er für das Ganze zu sorgen habe und um des Ganzen willen da sei. Nirgends war diese Amtsgewalt starker, trat diese ihre Bestimmung scharfer hervor als in den Marken des Reichs, denn eine Mark war thatsächlich und rechtlich erobertes Feindesland unter der militärischen Diktatur des Markgrafen als Neichsbeamten. Bei der in den Kultur- und Wirtschaftsverhältnissen des frühern deutschen Mittelalters unvermeidlichen Neigung aller Reichsämter, mit dem Boden, auf den sie sich bezogen, durch Eigen- und Lehnsbcsitz, die einzige in diesem Zeitalter der Naturalwirtschaft mögliche Form der Besoldung, zu verwachsen, dadurch erblich in dem Geschlecht zu werden, und damit wiederum den Amtschnrakter mehr und mehr abzustreifen, trat diese Umwand¬ lung des Amts in ein Fürstentum eignen Rechts am frühesten in den am meisten sich selbst überlassenen Marken ein, war daher anch in der Mark Meißen der Hauptsache nach schon eingetreten, als die Wettiner 1089 die Markgrafschaft erhielten. Wenn diese allmählich alle Reichsämter, zuletzt auch die Herzogtümer, die freilich längst nicht mehr den alten Stammesgebieten entsprachen, ergreifende Verwandlung des Amts in eine Herrschaft eignen Rechts das Reich thatsächlich zerstörte, es auflöste in eine Gruppe von erblichen Fürstentümern unter einem gewühlten Kaiser, der seine Wahl jedesmal mit neuen Zugeständnissen erkaufe» mußte, so knüpfte sie doch andrerseits ein festes Band zwischen der einzelnen Landschaft und dem Fürstenhause, das in dieser Zeit, wo die zentralisirte Verwaltung eines großen Reichs ganz unmöglich war, allein eine Stetigkeit der Zustände wenigstens in den Teilen verbürgte. Diese lange, rein thatsächliche Entwicklung erhielt eine allgemein rechtliche Grundlage durch die Zugestündnisse Kaiser Friedrichs II., der, um sich den Beistand der deutschen Fürsten in seinen italienischen Machtkämpfen zu sichern, 1213 und 1220 zunächst den geistlichen Fürsten als den damals wichtigsten eine Reihe landesherrlicher Rechte einräumte und sie auch zuerst als „Landesherren" bezeichnete; dann gewährte 1356 die Goldne Bulle Karls IV. den sieben Kur¬ fürsten die volle Landeshoheit, und der Westfälische Friede dehnte sie 1648 auf alle Fürsten des Reiches aus. Doch dieser thatsächlichen und rechtlichen Begründung des deutschen Neichs- fürstentums ging eine sittliche zur Seite, die ihr erst einen tiefern Inhalt, eine neue Rechtfertigung verlieh: die Reichsfürsten übernahmen selbständig eine Reihe von Aufgaben des Reichs, sie traten ein für große Interessen der Nation. Diese entscheidende Wendung begann, als die deutsche Kaiserkrone, das Werk eines norddeutsche» Geschlechts, der sächsischen Ludolfiuger, dauernd in die' Hände süddeutscher, fränkischer und schwäbischer Herrscher überging. Denn diese vermochten zwar die eine der großen nationalen Aufgaben, die Herrschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/106>, abgerufen am 27.12.2024.