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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Lriist August von Hannover und das Jahr ^3^8

abzwingen und empfing die Deputationen mit Ruhe und nicht ohne Humor;
allmählich jedoch gewährte er, was er für richtig hielt, nicht mehr, und noch
lange, nachdem das tolle Jahr vergangen war, konnten im Hannoverschen die
Kinder ihre Väter mit einem gewissen Stolz sagen hören: Unser König ist der
einzige Monarch, der nicht gewackelt hat. Herr von Hasselt giebt hier in diesem
schönsten Teile seines Buches ein Bild, dessen Gesamthaltung mit meinen
eignen Erinnerungen übereinstimmt. Er schildert dann des Königs Verhalten
zum Bundestage und zum Frankfurter Parlament mit ganz neuen Strichen
nach den Papieren Wangenheims, seine Vorschläge zu einer neuen Bundes¬
verfassung, seine Erklärung gegen die Zentralgewalt (den Reichsverweser) im
Juli und was darauf folgte. "Daraus, sagt mit Recht der Verfasser, mag
der Hannoveraner mit berechtigtem Stolze ersehen, daß die Politik seines alten
Königs nirgends das Licht zu scheuen braucht, und wie ernst es ihm darum
zu thun war, Deutschland einig und stark zu machen. An ihm hat es wahr¬
lich nicht gelegen, wenn genau dasselbe Ziel, das in unsern Tagen durch zwei
blutige Kriege erkämpft werden mußte, nicht bereits im Jahre 1849 auf fried¬
lichem Wege erreicht wurde." Jedenfalls wären zunächst die Märztage in
Berlin wesentlich anders verlaufen, wenn an der Stelle seines königlichen
Neffen der alte Ernst August gestanden Hütte.

Auf ihn pflegte man in Hannover gern das Wort: Jeder Zoll ein König
anzuwenden, weil er sich niemals etwas vergab und mit einer großen äußern
Würde, dabei aber einfach und ohne allen Schwulst aufzutreten pflegte. Der
Verfasser schildert ihn außerdem uoch von einer Seite, die wohl nur bevorzugte
Beobachter kennen zu lernen Gelegenheit hatten. Er mag ja Herzensgüte
gehabt und einzelnen auch gezeigt haben, aber gleich geliebt von hoch und
niedrig war er nicht. Der Adel war begreiflicherweise einem solchen König
mit Leib und Seele zugethan, die Stadt Hannover verdankte ihm eigentlich
alles und liebte ihn dementsprechend, die Landbevölkerung verehrte ihn in
größter Loyalität (wie man auch den Mikado verehrt, den man nie zu sehen
bekommt), aber in dem gebildeten Mittelstande, aus dem die Advokaten und
Professoren hervorgingen, von denen in diesem Buche oft die Rede ist, und
die der Verfasser nach den Vorstellungen seines Standes in eine unvorteil¬
haftere Beleuchtung setzt, als nötig war, in diesem Mittelstande, abgesehen von
einigen Familien höherer Beamten, war der König entschieden nicht beliebt.
Es fehlte ihm eben die Eigenschaft der Leutseligkeit (deren Mangel ja in der
bevorzugten nähern Umgebung eines Herrschers noch nicht als Defekt em¬
pfunden wird), man fürchtete feine Schärfe, seist stolzes, eigenwilliges Wesen,
man hatte großen Respekt vor ihm, aber zur Liebe gehört noch mehr.

Ehe wir von Hassells Buch Abschied nehmen, mag noch ein Bericht, weil
er von allgemeineren Interesse ist, über einen zweimaligen Aufenthalt des
Prinzen von Preußen in Hannover im Jahre 1848 hervorgehoben werden.


Lriist August von Hannover und das Jahr ^3^8

abzwingen und empfing die Deputationen mit Ruhe und nicht ohne Humor;
allmählich jedoch gewährte er, was er für richtig hielt, nicht mehr, und noch
lange, nachdem das tolle Jahr vergangen war, konnten im Hannoverschen die
Kinder ihre Väter mit einem gewissen Stolz sagen hören: Unser König ist der
einzige Monarch, der nicht gewackelt hat. Herr von Hasselt giebt hier in diesem
schönsten Teile seines Buches ein Bild, dessen Gesamthaltung mit meinen
eignen Erinnerungen übereinstimmt. Er schildert dann des Königs Verhalten
zum Bundestage und zum Frankfurter Parlament mit ganz neuen Strichen
nach den Papieren Wangenheims, seine Vorschläge zu einer neuen Bundes¬
verfassung, seine Erklärung gegen die Zentralgewalt (den Reichsverweser) im
Juli und was darauf folgte. „Daraus, sagt mit Recht der Verfasser, mag
der Hannoveraner mit berechtigtem Stolze ersehen, daß die Politik seines alten
Königs nirgends das Licht zu scheuen braucht, und wie ernst es ihm darum
zu thun war, Deutschland einig und stark zu machen. An ihm hat es wahr¬
lich nicht gelegen, wenn genau dasselbe Ziel, das in unsern Tagen durch zwei
blutige Kriege erkämpft werden mußte, nicht bereits im Jahre 1849 auf fried¬
lichem Wege erreicht wurde." Jedenfalls wären zunächst die Märztage in
Berlin wesentlich anders verlaufen, wenn an der Stelle seines königlichen
Neffen der alte Ernst August gestanden Hütte.

Auf ihn pflegte man in Hannover gern das Wort: Jeder Zoll ein König
anzuwenden, weil er sich niemals etwas vergab und mit einer großen äußern
Würde, dabei aber einfach und ohne allen Schwulst aufzutreten pflegte. Der
Verfasser schildert ihn außerdem uoch von einer Seite, die wohl nur bevorzugte
Beobachter kennen zu lernen Gelegenheit hatten. Er mag ja Herzensgüte
gehabt und einzelnen auch gezeigt haben, aber gleich geliebt von hoch und
niedrig war er nicht. Der Adel war begreiflicherweise einem solchen König
mit Leib und Seele zugethan, die Stadt Hannover verdankte ihm eigentlich
alles und liebte ihn dementsprechend, die Landbevölkerung verehrte ihn in
größter Loyalität (wie man auch den Mikado verehrt, den man nie zu sehen
bekommt), aber in dem gebildeten Mittelstande, aus dem die Advokaten und
Professoren hervorgingen, von denen in diesem Buche oft die Rede ist, und
die der Verfasser nach den Vorstellungen seines Standes in eine unvorteil¬
haftere Beleuchtung setzt, als nötig war, in diesem Mittelstande, abgesehen von
einigen Familien höherer Beamten, war der König entschieden nicht beliebt.
Es fehlte ihm eben die Eigenschaft der Leutseligkeit (deren Mangel ja in der
bevorzugten nähern Umgebung eines Herrschers noch nicht als Defekt em¬
pfunden wird), man fürchtete feine Schärfe, seist stolzes, eigenwilliges Wesen,
man hatte großen Respekt vor ihm, aber zur Liebe gehört noch mehr.

Ehe wir von Hassells Buch Abschied nehmen, mag noch ein Bericht, weil
er von allgemeineren Interesse ist, über einen zweimaligen Aufenthalt des
Prinzen von Preußen in Hannover im Jahre 1848 hervorgehoben werden.


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[0636] Lriist August von Hannover und das Jahr ^3^8 abzwingen und empfing die Deputationen mit Ruhe und nicht ohne Humor; allmählich jedoch gewährte er, was er für richtig hielt, nicht mehr, und noch lange, nachdem das tolle Jahr vergangen war, konnten im Hannoverschen die Kinder ihre Väter mit einem gewissen Stolz sagen hören: Unser König ist der einzige Monarch, der nicht gewackelt hat. Herr von Hasselt giebt hier in diesem schönsten Teile seines Buches ein Bild, dessen Gesamthaltung mit meinen eignen Erinnerungen übereinstimmt. Er schildert dann des Königs Verhalten zum Bundestage und zum Frankfurter Parlament mit ganz neuen Strichen nach den Papieren Wangenheims, seine Vorschläge zu einer neuen Bundes¬ verfassung, seine Erklärung gegen die Zentralgewalt (den Reichsverweser) im Juli und was darauf folgte. „Daraus, sagt mit Recht der Verfasser, mag der Hannoveraner mit berechtigtem Stolze ersehen, daß die Politik seines alten Königs nirgends das Licht zu scheuen braucht, und wie ernst es ihm darum zu thun war, Deutschland einig und stark zu machen. An ihm hat es wahr¬ lich nicht gelegen, wenn genau dasselbe Ziel, das in unsern Tagen durch zwei blutige Kriege erkämpft werden mußte, nicht bereits im Jahre 1849 auf fried¬ lichem Wege erreicht wurde." Jedenfalls wären zunächst die Märztage in Berlin wesentlich anders verlaufen, wenn an der Stelle seines königlichen Neffen der alte Ernst August gestanden Hütte. Auf ihn pflegte man in Hannover gern das Wort: Jeder Zoll ein König anzuwenden, weil er sich niemals etwas vergab und mit einer großen äußern Würde, dabei aber einfach und ohne allen Schwulst aufzutreten pflegte. Der Verfasser schildert ihn außerdem uoch von einer Seite, die wohl nur bevorzugte Beobachter kennen zu lernen Gelegenheit hatten. Er mag ja Herzensgüte gehabt und einzelnen auch gezeigt haben, aber gleich geliebt von hoch und niedrig war er nicht. Der Adel war begreiflicherweise einem solchen König mit Leib und Seele zugethan, die Stadt Hannover verdankte ihm eigentlich alles und liebte ihn dementsprechend, die Landbevölkerung verehrte ihn in größter Loyalität (wie man auch den Mikado verehrt, den man nie zu sehen bekommt), aber in dem gebildeten Mittelstande, aus dem die Advokaten und Professoren hervorgingen, von denen in diesem Buche oft die Rede ist, und die der Verfasser nach den Vorstellungen seines Standes in eine unvorteil¬ haftere Beleuchtung setzt, als nötig war, in diesem Mittelstande, abgesehen von einigen Familien höherer Beamten, war der König entschieden nicht beliebt. Es fehlte ihm eben die Eigenschaft der Leutseligkeit (deren Mangel ja in der bevorzugten nähern Umgebung eines Herrschers noch nicht als Defekt em¬ pfunden wird), man fürchtete feine Schärfe, seist stolzes, eigenwilliges Wesen, man hatte großen Respekt vor ihm, aber zur Liebe gehört noch mehr. Ehe wir von Hassells Buch Abschied nehmen, mag noch ein Bericht, weil er von allgemeineren Interesse ist, über einen zweimaligen Aufenthalt des Prinzen von Preußen in Hannover im Jahre 1848 hervorgehoben werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/636>, abgerufen am 09.01.2025.