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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sudermanns biblische Tragödie Johannes

das Erfassen großer Stoffe ihnen und uns nicht frommen. Der "Johannes"
wäre wahrlich dazu angethan und auch darauf angelegt, einen andern Eindruck
zu hinterlassen, als den unheimlichen zügelloser Weiblichkeit in Herodias und
Salome. Nichts destoweniger ergiebt sich dieser als der stärkste, der bleibende
und nachwirkende der biblischen Tragödie. Auf dem Theater natürlich noch
mehr als beim Lesen. Doch wird auch dem Leser nicht entgehe", daß Suder¬
mann seine eigentümlichste Kunst, sein individuelles Ausdrucksvermögen gerade
in den schwülen Szenen entfaltet, in denen der Täufer den Frauen wohl starr
und stolz genug gegenübersteht, aber die poetische Lichtführung des Dichters
ihren Strahl auf die Häupter vou Herodias und Salome ergießt. Selbst
beim Todesgang des Johannes erfaßt uns der Schauer des Unnennbaren
nicht, der diesen Abgang begleiten müßte; die naturwahre Schilderung üppiger
und üppig aufgeputzter Wirklichkeit trägt über das beabsichtigte, doch nicht
aus der innersten Natur des Dichters strömende religiöse Pathos den Sieg
davon.

Auch in die Sprache hinein erstreckt sich, wie namentlich der Kritiker des
"Dresdner Journals" hervorgehoben hat, die Zwiespältigkeit dieser Dichtung.
"Es ist das Recht des Dichters, die aus den biblischen Büchern stammenden
edeln Bestandteile seiner Sprache mit alltäglicher" wertlvsern zu einem Erz
zu verschmelzen. Aber schmelzen müssen sie im Feuer des eignen Ergriffen¬
seins. Da Benvenuto Cellini beim stockenden Guß des Perseus seine Zinn¬
schüsseln und Teller in die Masse warf, that er, was ihm ziemte und frommte.
Aber wie würde sichs ausgenommen haben, wenn er sie nicht geschmolzen,
sondern auf die Brüche und Lücken der unvollkommnen Statue als Rüstung
aufgenagelt hätte? Etwas solchem Aufnageln verwandtes ist an zahlreichen
Stellen der Sudermcmnschen Tragödie zu verspüren, die verschiednen Bestand¬
teile der Sprache sind nicht in Glut noch in Fluß gekommen. Mitten zwischen
den prophetischen Bildern und Sentenzen -- die übrigens, an unrechter Stelle
verwandt, keineswegs ihre rechte Wirkung thun -- schlagen Trivialitäten ans
Ohr des Hörers oder auch Geistreichigkeiten, die im Vergleich mit der Situation
zu Trivialitäten werden."

Alles in allem hat uns der "Johannes" nicht besser als der "Teja" von
Sudermanns Beruf zur echten Tragik überzeugt, und die Vergleiche mit Grill-
Parzer und Hebbel, die sich da und dort hervorgewagt haben, können nur ein
bitteres oder auch ein trauriges Lächeln bei denen erwecken, die wirklich zu
vergleichen verstehen.




Sudermanns biblische Tragödie Johannes

das Erfassen großer Stoffe ihnen und uns nicht frommen. Der „Johannes"
wäre wahrlich dazu angethan und auch darauf angelegt, einen andern Eindruck
zu hinterlassen, als den unheimlichen zügelloser Weiblichkeit in Herodias und
Salome. Nichts destoweniger ergiebt sich dieser als der stärkste, der bleibende
und nachwirkende der biblischen Tragödie. Auf dem Theater natürlich noch
mehr als beim Lesen. Doch wird auch dem Leser nicht entgehe», daß Suder¬
mann seine eigentümlichste Kunst, sein individuelles Ausdrucksvermögen gerade
in den schwülen Szenen entfaltet, in denen der Täufer den Frauen wohl starr
und stolz genug gegenübersteht, aber die poetische Lichtführung des Dichters
ihren Strahl auf die Häupter vou Herodias und Salome ergießt. Selbst
beim Todesgang des Johannes erfaßt uns der Schauer des Unnennbaren
nicht, der diesen Abgang begleiten müßte; die naturwahre Schilderung üppiger
und üppig aufgeputzter Wirklichkeit trägt über das beabsichtigte, doch nicht
aus der innersten Natur des Dichters strömende religiöse Pathos den Sieg
davon.

Auch in die Sprache hinein erstreckt sich, wie namentlich der Kritiker des
„Dresdner Journals" hervorgehoben hat, die Zwiespältigkeit dieser Dichtung.
„Es ist das Recht des Dichters, die aus den biblischen Büchern stammenden
edeln Bestandteile seiner Sprache mit alltäglicher« wertlvsern zu einem Erz
zu verschmelzen. Aber schmelzen müssen sie im Feuer des eignen Ergriffen¬
seins. Da Benvenuto Cellini beim stockenden Guß des Perseus seine Zinn¬
schüsseln und Teller in die Masse warf, that er, was ihm ziemte und frommte.
Aber wie würde sichs ausgenommen haben, wenn er sie nicht geschmolzen,
sondern auf die Brüche und Lücken der unvollkommnen Statue als Rüstung
aufgenagelt hätte? Etwas solchem Aufnageln verwandtes ist an zahlreichen
Stellen der Sudermcmnschen Tragödie zu verspüren, die verschiednen Bestand¬
teile der Sprache sind nicht in Glut noch in Fluß gekommen. Mitten zwischen
den prophetischen Bildern und Sentenzen — die übrigens, an unrechter Stelle
verwandt, keineswegs ihre rechte Wirkung thun — schlagen Trivialitäten ans
Ohr des Hörers oder auch Geistreichigkeiten, die im Vergleich mit der Situation
zu Trivialitäten werden."

Alles in allem hat uns der „Johannes" nicht besser als der „Teja" von
Sudermanns Beruf zur echten Tragik überzeugt, und die Vergleiche mit Grill-
Parzer und Hebbel, die sich da und dort hervorgewagt haben, können nur ein
bitteres oder auch ein trauriges Lächeln bei denen erwecken, die wirklich zu
vergleichen verstehen.




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[0545] Sudermanns biblische Tragödie Johannes das Erfassen großer Stoffe ihnen und uns nicht frommen. Der „Johannes" wäre wahrlich dazu angethan und auch darauf angelegt, einen andern Eindruck zu hinterlassen, als den unheimlichen zügelloser Weiblichkeit in Herodias und Salome. Nichts destoweniger ergiebt sich dieser als der stärkste, der bleibende und nachwirkende der biblischen Tragödie. Auf dem Theater natürlich noch mehr als beim Lesen. Doch wird auch dem Leser nicht entgehe», daß Suder¬ mann seine eigentümlichste Kunst, sein individuelles Ausdrucksvermögen gerade in den schwülen Szenen entfaltet, in denen der Täufer den Frauen wohl starr und stolz genug gegenübersteht, aber die poetische Lichtführung des Dichters ihren Strahl auf die Häupter vou Herodias und Salome ergießt. Selbst beim Todesgang des Johannes erfaßt uns der Schauer des Unnennbaren nicht, der diesen Abgang begleiten müßte; die naturwahre Schilderung üppiger und üppig aufgeputzter Wirklichkeit trägt über das beabsichtigte, doch nicht aus der innersten Natur des Dichters strömende religiöse Pathos den Sieg davon. Auch in die Sprache hinein erstreckt sich, wie namentlich der Kritiker des „Dresdner Journals" hervorgehoben hat, die Zwiespältigkeit dieser Dichtung. „Es ist das Recht des Dichters, die aus den biblischen Büchern stammenden edeln Bestandteile seiner Sprache mit alltäglicher« wertlvsern zu einem Erz zu verschmelzen. Aber schmelzen müssen sie im Feuer des eignen Ergriffen¬ seins. Da Benvenuto Cellini beim stockenden Guß des Perseus seine Zinn¬ schüsseln und Teller in die Masse warf, that er, was ihm ziemte und frommte. Aber wie würde sichs ausgenommen haben, wenn er sie nicht geschmolzen, sondern auf die Brüche und Lücken der unvollkommnen Statue als Rüstung aufgenagelt hätte? Etwas solchem Aufnageln verwandtes ist an zahlreichen Stellen der Sudermcmnschen Tragödie zu verspüren, die verschiednen Bestand¬ teile der Sprache sind nicht in Glut noch in Fluß gekommen. Mitten zwischen den prophetischen Bildern und Sentenzen — die übrigens, an unrechter Stelle verwandt, keineswegs ihre rechte Wirkung thun — schlagen Trivialitäten ans Ohr des Hörers oder auch Geistreichigkeiten, die im Vergleich mit der Situation zu Trivialitäten werden." Alles in allem hat uns der „Johannes" nicht besser als der „Teja" von Sudermanns Beruf zur echten Tragik überzeugt, und die Vergleiche mit Grill- Parzer und Hebbel, die sich da und dort hervorgewagt haben, können nur ein bitteres oder auch ein trauriges Lächeln bei denen erwecken, die wirklich zu vergleichen verstehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/545>, abgerufen am 07.01.2025.