Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sudermanns biblische Tragödie Johannes Mittel und Zeugnisse als die, die in Sudermanns "Johannes" angewandt Viel klarer und deutlicher ausgearbeitet als das Verhältnis des Täufers Sudermanns biblische Tragödie Johannes Mittel und Zeugnisse als die, die in Sudermanns „Johannes" angewandt Viel klarer und deutlicher ausgearbeitet als das Verhältnis des Täufers <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0543" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227445"/> <fw type="header" place="top"> Sudermanns biblische Tragödie Johannes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1955" prev="#ID_1954"> Mittel und Zeugnisse als die, die in Sudermanns „Johannes" angewandt<lb/> werden. Der Herrenmensch, der sich das Recht zuspricht, zu vernichten, was<lb/> er faßt, der der Herodias noch mit der Steinigung droht, als sie ihm schon<lb/> gesagt: „wer sich vermessen will, über Menschen ein Richter zu sein, der muß<lb/> Teil haben an ihrem Thun und menschlich sein unter Menschen!", der wird<lb/> nicht von eines fernen Windes Rauschen, sondern nur vom Sturm, der in die<lb/> eigne Seele braust, ergriffen und umgestimmt; nicht in Träumen und Gesichten,<lb/> sondern Auge in Auge mit einer höhern Gewalt, die ihn beugt und nieder¬<lb/> wirft, mag er umgewandelt werden. Da nach der Absicht des Dichters diese<lb/> Wandlung der Angelpunkt der ganzen Tragödie ist, so sehr, daß ihr gegen¬<lb/> über der Tod durch die Laster und Lüste des kleinen galiläischen Tyrannen¬<lb/> hauses seinen Stachel verliert und sür Johannes selbst eine Erlösung ist, so<lb/> empfindet man das Schwankende, Schillernde, Unsichre, Unreife der Motive<lb/> und der entscheidenden Vorgänge doppelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1956" next="#ID_1957"> Viel klarer und deutlicher ausgearbeitet als das Verhältnis des Täufers<lb/> zu Christo, in dessen Namen er wirken will, zu seinen Jüngern und dem er¬<lb/> regten jüdischen Volke sind die Vorgänge und die Gestalten am Hofe des<lb/> Vierfürsten. Die Stellung des jüngern Herodes, der nach der Krone und<lb/> Macht seines großen Vaters mehr schielt, als sie im Auge hat, zwischen den<lb/> Römern und den Juden, das Verhältnis zu Herodias, das kranke Gelüst nach<lb/> der aufblühenden Stieftochter Salome, der geheime Kampf zwischen Mutter<lb/> und Tochter, in dem Herodias schließlich die Tochter wie den Gemahl zwingt,<lb/> die Werkzeuge ihrer Rache zu werden, die üppige Lebenshaltung, die in dem<lb/> dem römischen Legaten gegebnen Feste ihre höchste Steigerung erreicht, der<lb/> Pfuhl schlimmer Gedanken, begehrlicher Trcinme und häßlicher Lügen, der sich<lb/> unter der gleißenden Hülle fürstlichen Wohllebens birgt, das ganze Wesen von<lb/> lauernder Feigheit, von Eitelkeit, Grausamkeit und Wollust sind mit sichern<lb/> Zügen und kräftigen Farben gemalt. Selbst die Episodenfiguren dieser der<lb/> großen Sehnsucht des Johannes entgegengesetzten kleinen Wirklichkeit, Herodes<lb/> Rhetor Mervkles und sein Narr Gabalos, der Kerkermeister, die Gespielinnen<lb/> der Salome, treten deutlicher vor unsern Blick als die Jünger des Johannes, die<lb/> Bürger von Jerusalem und die Priester des Tempels. Bis zum großen Hcmpt-<lb/> und Glanzeffekt dieser Welt, dem berauschenden Tanze der Salome, wird das<lb/> Interesse an diesem Teil der Handlung mit hundert kleinen Künsten erhöht,<lb/> es überwächst rasch die Teilnahme, die der Wüstenprediger erweckt, es birgt<lb/> den prickelnden Reiz sinnlicher Spannung und hinterläßt schließlich eine Em¬<lb/> pfindung, als ob dies der eigentlichste und wesentlichste Zweck des Ganzen ge¬<lb/> wesen sei. Das Publikum, das den Johannes und sein kamelhärnes Gewand<lb/> ziemlich langweilig findet, ergötzt sich an den Schleiern und goldnen Schuhen<lb/> der Salome und wird erst durch den im Hintergrund vorüberrauschenden<lb/> Einzug Christi wieder daran gemahnt, daß doch eigentlich von etwas anderen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0543]
Sudermanns biblische Tragödie Johannes
Mittel und Zeugnisse als die, die in Sudermanns „Johannes" angewandt
werden. Der Herrenmensch, der sich das Recht zuspricht, zu vernichten, was
er faßt, der der Herodias noch mit der Steinigung droht, als sie ihm schon
gesagt: „wer sich vermessen will, über Menschen ein Richter zu sein, der muß
Teil haben an ihrem Thun und menschlich sein unter Menschen!", der wird
nicht von eines fernen Windes Rauschen, sondern nur vom Sturm, der in die
eigne Seele braust, ergriffen und umgestimmt; nicht in Träumen und Gesichten,
sondern Auge in Auge mit einer höhern Gewalt, die ihn beugt und nieder¬
wirft, mag er umgewandelt werden. Da nach der Absicht des Dichters diese
Wandlung der Angelpunkt der ganzen Tragödie ist, so sehr, daß ihr gegen¬
über der Tod durch die Laster und Lüste des kleinen galiläischen Tyrannen¬
hauses seinen Stachel verliert und sür Johannes selbst eine Erlösung ist, so
empfindet man das Schwankende, Schillernde, Unsichre, Unreife der Motive
und der entscheidenden Vorgänge doppelt.
Viel klarer und deutlicher ausgearbeitet als das Verhältnis des Täufers
zu Christo, in dessen Namen er wirken will, zu seinen Jüngern und dem er¬
regten jüdischen Volke sind die Vorgänge und die Gestalten am Hofe des
Vierfürsten. Die Stellung des jüngern Herodes, der nach der Krone und
Macht seines großen Vaters mehr schielt, als sie im Auge hat, zwischen den
Römern und den Juden, das Verhältnis zu Herodias, das kranke Gelüst nach
der aufblühenden Stieftochter Salome, der geheime Kampf zwischen Mutter
und Tochter, in dem Herodias schließlich die Tochter wie den Gemahl zwingt,
die Werkzeuge ihrer Rache zu werden, die üppige Lebenshaltung, die in dem
dem römischen Legaten gegebnen Feste ihre höchste Steigerung erreicht, der
Pfuhl schlimmer Gedanken, begehrlicher Trcinme und häßlicher Lügen, der sich
unter der gleißenden Hülle fürstlichen Wohllebens birgt, das ganze Wesen von
lauernder Feigheit, von Eitelkeit, Grausamkeit und Wollust sind mit sichern
Zügen und kräftigen Farben gemalt. Selbst die Episodenfiguren dieser der
großen Sehnsucht des Johannes entgegengesetzten kleinen Wirklichkeit, Herodes
Rhetor Mervkles und sein Narr Gabalos, der Kerkermeister, die Gespielinnen
der Salome, treten deutlicher vor unsern Blick als die Jünger des Johannes, die
Bürger von Jerusalem und die Priester des Tempels. Bis zum großen Hcmpt-
und Glanzeffekt dieser Welt, dem berauschenden Tanze der Salome, wird das
Interesse an diesem Teil der Handlung mit hundert kleinen Künsten erhöht,
es überwächst rasch die Teilnahme, die der Wüstenprediger erweckt, es birgt
den prickelnden Reiz sinnlicher Spannung und hinterläßt schließlich eine Em¬
pfindung, als ob dies der eigentlichste und wesentlichste Zweck des Ganzen ge¬
wesen sei. Das Publikum, das den Johannes und sein kamelhärnes Gewand
ziemlich langweilig findet, ergötzt sich an den Schleiern und goldnen Schuhen
der Salome und wird erst durch den im Hintergrund vorüberrauschenden
Einzug Christi wieder daran gemahnt, daß doch eigentlich von etwas anderen
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