Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sudermanns biblische Tragödie Johannes gefangen, ohne gefesselt und eingekerkert zu sein, harrt er mit leidenschaftlicher Grenzboten I 1898
Sudermanns biblische Tragödie Johannes gefangen, ohne gefesselt und eingekerkert zu sein, harrt er mit leidenschaftlicher Grenzboten I 1898
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Sudermanns biblische Tragödie Johannes
gefangen, ohne gefesselt und eingekerkert zu sein, harrt er mit leidenschaftlicher
Sehnsucht der Rückkehr seiner Boten, indes das vernichtende Wetter über ihn
heraufzieht. Herodes der Bierfürst hat hohe» Besuch, Vitellius, den römischen
Legaten von Syrien, zu gewärtigen; er muß alles thun, um den verwöhnten
und blasirten Römer zu unterhalten, er wünscht, wünscht, wie ihm Herodias
auf den Kopf sagt, auch für sich, daß seine Stieftochter Salome im Tanz alle ihre
Reize entfalte. Herodias läßt den elenden Gemahl nicht im Zweifel, daß die
Erfüllung seines Verlangens einen Preis habe, und stachelt dann ihre Tochter an,
das Haupt Johannes des Täufers auf einer goldnen Schüssel zu fordern; es
bedarf der Anstachlung kaum, denn in Salome tobt die Wild, daß der Prophet
sie verschmäht hat, und sie lechzt gieriger nach seiner Demütigung als ihre Mutter
nach seinem Blute. Sie tanzt vor der Tischgesellschaft des Herodes und berauscht
den Vierfürsten so, daß er ihr schwört, zu gewähren, was sie begehrt, sie ruft
nach dem Hanpte des Johannes, Herodes zuckt zusammen, aber Weib, Tochter
und römischer Gast mahnen ihn, daß er geschworen habe, die Wünsche der schönen
Tänzerin zu erfüllen. So wird denn Johannes gerufen, um die Ankündigung zu
vernehmen, daß seiner Tage Abend gekommen sei, und daß er, so leid es Herodes
auch ist, auf der Stelle des Todes sterben müsse. Der Täufer begehrt eine
Frist, nur bis die Boten, die er entsandt hat, heimkehren, Herodes sagt ihm:
„Das Mägdlein mußt du bitten! Wisse, in seiner Hand ruhet das Häuflein
Zufall, das du Leben heißest." Doch ehe es zu dieser Demütigung kommt,
stürzt der Kerkermeister herein, kündigt an, daß die Freunde des Gefangnen
zurückgekehrt seien und zu ihm wollten, Vitellius der Legat ruft lachend:
„Teurer, dies ist die ergötzlichste Aufführung, die mir bei Tische je geboten
wurde. Laß kommen, laß kommen!" Manasse und Amarja, die Sendboten
des Johannes, treten ein, verkünden ihm, daß sie Jesus von Nazareth gesehen
hätten, und daß er ihnen gesagt habe: „Gehet hin und saget Johanni wieder,
was ihr sehet und höret. Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aus¬
sätzigen werden rein, die Tauben hören, die Toten stehen auf, und deu Armen
wird das Evangelium gepredigt." Und sie fügen hinzu, daß er noch gesagt
habe: „selig ist, der sich nicht an mir ärgert." Da bekennt der Täufer über¬
wältigt: „Ich habe mich an ihm geärgert, denn ich erkannte ihn nicht! Die
Schlüssel des Todes — ich hielt sie nicht; die Wagschalen der Schuld — mir
waren sie nicht vertrauet. Denn aus niemandes Munde darf der Name
Schuld ertönen, nur ans dem Munde des Liebenden. Ich aber wollte euch
weiden mit eisernen Ruten. Darum ist mein Reich zu Schanden worden, und
meine Stimme ist versieget!" Er sieht mit gen Himmel gerichteten Blicken in
erhabner Vision den Fürsten des Friedens, blickt lächelnd über Salome, die
noch immer auf seine Bitte um Gnade wartet, hinweg und läßt sich zum
Richtblock führen. Salome lauscht hinaus, schreit auf, und mit Grauen sehen
die im Saal zurückbleibenden, daß sie draußen im Vorhof mit dem ssaupt des
Grenzboten I 1898
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