Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.zu scheuern und zu putzen, es giebt zu sieben und zu backen. Und >vähreud Haus¬ Nach dem Choral stand bald der neue stolze Maien vereinsamt auf dem Plan Ja, es giebt anch einen Kreislauf der Unnatur. Wo fängt er an? Wo Nicht weit vom Planbaum ist die Tränke, ein mächtiger, ansgehauner Baum¬ Am Müsershaus drüben steht ein Fenster auf, und das Selbstgespräch des zu scheuern und zu putzen, es giebt zu sieben und zu backen. Und >vähreud Haus¬ Nach dem Choral stand bald der neue stolze Maien vereinsamt auf dem Plan Ja, es giebt anch einen Kreislauf der Unnatur. Wo fängt er an? Wo Nicht weit vom Planbaum ist die Tränke, ein mächtiger, ansgehauner Baum¬ Am Müsershaus drüben steht ein Fenster auf, und das Selbstgespräch des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227406"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1825" prev="#ID_1824"> zu scheuern und zu putzen, es giebt zu sieben und zu backen. Und >vähreud Haus¬<lb/> frau, Tochter oder Magd sich so geschäftig tummeln, but Man und Bursch den Hof<lb/> zusainmenznrichten, vom dürrsten Holz einen Vorrat auf drei Tage klar zu machen<lb/> und geschichtet bereit zu stellen, und Bub und Mädel haben die Gasse hübsch zu<lb/> kehren. Es giebt kaum einen Tag, wo sich die vorbereitende Geschäftigkeit eines<lb/> Dörfleins zu solcher Höhe steigert wie an einem ordentlichen Kirmesheiligabend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1826"> Nach dem Choral stand bald der neue stolze Maien vereinsamt auf dem Plan<lb/> und reckte sein grünes Nadelhaupt träumend in die stille Dunkelheit hinein. Der<lb/> Abendstern blinkte grüßend herüber; aber der Weißtannengipfel, den ein eiserner<lb/> Ring mit der toten entkleideten Fichte verband, weinte dicke Hnrzthrcinen. Und<lb/> die blane und die rote Schlange schössen an dem geschundnen Stamm auf und<lb/> nieder, als versuchten sie dem. Baum die Bloße zu decken. Das grüne Beer-<lb/> krant sträubte sich gegen den einförmigen Kreislauf der aufgenagelten Reifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1827"> Ja, es giebt anch einen Kreislauf der Unnatur. Wo fängt er an? Wo<lb/> hört er auf? Auf dem Gebiet des Geistes. Da beginnt er, wenn die Nntur-<lb/> nachbildung stümpert, und da hört er auf, wenn die Gesetze der reinen Kunst der<lb/> Idee der Nachbildung zu Hilfe kommeu. Die Idee des heidnische» Opferbaums<lb/> ist im Kirmesmaien nicht genug gestützt vom Kunstgesetz; der gotische Kirchturm ist<lb/> eine gelungnere Nachbildung, weil in ihm die der Natur abgelauschten Gesetze<lb/> reiner und vollkommner zur Ausprägung und Gestaltung gelange». Dieser macht<lb/> nicht den Eindruck der Unnatur wie der Kirmesmaien, weil sich in ihm die Natur<lb/> in Kunst umgesetzt hat, nach shmbolischen Gesichtspunkten eine Idee waltet und so<lb/> eine Predigt in schöner Harmonie heraustritt. Vom Turm und der Kirche hinweg<lb/> werden wir an der Kirmes, ihrem Weihtag, durch deu Maien, der so sonderbar<lb/> zwischen Kunst und Natur steht, in die graue Zeit der Väter zurückgewiesen; er<lb/> steht als mahnendes Zwischenglied da, zwischen Kirchturm und Opferbaum, zur<lb/> Warnung den deutsche» Christe», sich als Deutsche nicht ins Römische zu verliere».<lb/> Und so mag er uns lieb und wert bleiben als der Mittelpunkt eines anmutigen,<lb/> beziehungsreicher Stückchens Deutschtum, das sich in der Dorfkirmes entfaltet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1828"> Nicht weit vom Planbaum ist die Tränke, ein mächtiger, ansgehauner Baum¬<lb/> stamm, wo sich im Sommer das freispazierende Weidevieh des Hirten schellenläutend<lb/> morgens und abends am klaren Quellwasser labt, das durch ein Holzrohr aus dem<lb/> hölzernen Brunnenstock in den wasserrecht liegenden hohlen Baumstamm nieder-<lb/> plätschert uach der uralten Plaudermelodie der schöpfenden Frauen und Mädchen.<lb/> Auch der Brunnen ist vereinsamt; denn alle Häuser berge» schon den Wasservorrat<lb/> sür den kommenden Festtag. Und er führt nun sein Selbstgespräch ungewöhnlich<lb/> laut. Es ist, als mache er dem Unmut Luft, der über ihn gekommen ist wegen<lb/> des neuen, geputzten, stolzen Nachbarn. Seit vielen, vielen Jahren war der ge¬<lb/> schwätzige Geselle alle Pfingsten in der Lage, seinen stillen Nachbar im verwitterten,<lb/> zerfetzten Gewand verhöhnen zu können; denn da nährte er eine stolze Braut mit<lb/> seinem klaren, kühlen Herzblut, eine üppiggrünende Birke in weißschimmernden<lb/> Hemdlein. Heute, den neuen, stolzen Gesellen im Rücken, kommt er sich vor wie<lb/> ein Vergessener. Und nun am Abend, da sich alle weibliche Gesellschaft in die<lb/> Häuser zurückgezogen hat, grollt und zankt er so laut vor sich hiu, daß es ius<lb/> stille Dorf hineiuschallt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1829"> Am Müsershaus drüben steht ein Fenster auf, und das Selbstgespräch des<lb/> Brunnens dringt in die stille Stube und mischt sich in das Schnurre» des Fritz<lb/> wie zu einem Zwiegespräch, das die Schwarzwälderin durch ihr Ticktack vergeblich<lb/> ans einander zu halten sucht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0504]
zu scheuern und zu putzen, es giebt zu sieben und zu backen. Und >vähreud Haus¬
frau, Tochter oder Magd sich so geschäftig tummeln, but Man und Bursch den Hof
zusainmenznrichten, vom dürrsten Holz einen Vorrat auf drei Tage klar zu machen
und geschichtet bereit zu stellen, und Bub und Mädel haben die Gasse hübsch zu
kehren. Es giebt kaum einen Tag, wo sich die vorbereitende Geschäftigkeit eines
Dörfleins zu solcher Höhe steigert wie an einem ordentlichen Kirmesheiligabend.
Nach dem Choral stand bald der neue stolze Maien vereinsamt auf dem Plan
und reckte sein grünes Nadelhaupt träumend in die stille Dunkelheit hinein. Der
Abendstern blinkte grüßend herüber; aber der Weißtannengipfel, den ein eiserner
Ring mit der toten entkleideten Fichte verband, weinte dicke Hnrzthrcinen. Und
die blane und die rote Schlange schössen an dem geschundnen Stamm auf und
nieder, als versuchten sie dem. Baum die Bloße zu decken. Das grüne Beer-
krant sträubte sich gegen den einförmigen Kreislauf der aufgenagelten Reifen.
Ja, es giebt anch einen Kreislauf der Unnatur. Wo fängt er an? Wo
hört er auf? Auf dem Gebiet des Geistes. Da beginnt er, wenn die Nntur-
nachbildung stümpert, und da hört er auf, wenn die Gesetze der reinen Kunst der
Idee der Nachbildung zu Hilfe kommeu. Die Idee des heidnische» Opferbaums
ist im Kirmesmaien nicht genug gestützt vom Kunstgesetz; der gotische Kirchturm ist
eine gelungnere Nachbildung, weil in ihm die der Natur abgelauschten Gesetze
reiner und vollkommner zur Ausprägung und Gestaltung gelange». Dieser macht
nicht den Eindruck der Unnatur wie der Kirmesmaien, weil sich in ihm die Natur
in Kunst umgesetzt hat, nach shmbolischen Gesichtspunkten eine Idee waltet und so
eine Predigt in schöner Harmonie heraustritt. Vom Turm und der Kirche hinweg
werden wir an der Kirmes, ihrem Weihtag, durch deu Maien, der so sonderbar
zwischen Kunst und Natur steht, in die graue Zeit der Väter zurückgewiesen; er
steht als mahnendes Zwischenglied da, zwischen Kirchturm und Opferbaum, zur
Warnung den deutsche» Christe», sich als Deutsche nicht ins Römische zu verliere».
Und so mag er uns lieb und wert bleiben als der Mittelpunkt eines anmutigen,
beziehungsreicher Stückchens Deutschtum, das sich in der Dorfkirmes entfaltet.
Nicht weit vom Planbaum ist die Tränke, ein mächtiger, ansgehauner Baum¬
stamm, wo sich im Sommer das freispazierende Weidevieh des Hirten schellenläutend
morgens und abends am klaren Quellwasser labt, das durch ein Holzrohr aus dem
hölzernen Brunnenstock in den wasserrecht liegenden hohlen Baumstamm nieder-
plätschert uach der uralten Plaudermelodie der schöpfenden Frauen und Mädchen.
Auch der Brunnen ist vereinsamt; denn alle Häuser berge» schon den Wasservorrat
sür den kommenden Festtag. Und er führt nun sein Selbstgespräch ungewöhnlich
laut. Es ist, als mache er dem Unmut Luft, der über ihn gekommen ist wegen
des neuen, geputzten, stolzen Nachbarn. Seit vielen, vielen Jahren war der ge¬
schwätzige Geselle alle Pfingsten in der Lage, seinen stillen Nachbar im verwitterten,
zerfetzten Gewand verhöhnen zu können; denn da nährte er eine stolze Braut mit
seinem klaren, kühlen Herzblut, eine üppiggrünende Birke in weißschimmernden
Hemdlein. Heute, den neuen, stolzen Gesellen im Rücken, kommt er sich vor wie
ein Vergessener. Und nun am Abend, da sich alle weibliche Gesellschaft in die
Häuser zurückgezogen hat, grollt und zankt er so laut vor sich hiu, daß es ius
stille Dorf hineiuschallt.
Am Müsershaus drüben steht ein Fenster auf, und das Selbstgespräch des
Brunnens dringt in die stille Stube und mischt sich in das Schnurre» des Fritz
wie zu einem Zwiegespräch, das die Schwarzwälderin durch ihr Ticktack vergeblich
ans einander zu halten sucht.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |