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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sozialauslese

den demokratischen EinWurf abweisen, daß der feste Zusammenschluß der
herrschenden Stände keinen Raum lasse für aufsteigende Talente, und daher
schilderte er die Höhen der Gesellschaft als das vom Todesengel bevorzugte
Erntefeld. Damit verband sich dann die Aussicht, wieder in ein Geleise
zu kommen, das sich für den Lobpreiser des Ausleseprozesses besser schickt.
Wenn man die Aufsteigenden ins Auge saßt und überlegt, daß sie aus keinem
andern Grunde aufsteigen, als weil sie die Besten sind, so liegt der Schluß
nahe, daß alle, die nicht aufsteigen, nichts taugen. Diesen Schluß zieht
Ammon wirklich: die unterste Gesellschaftsschicht, meint er, kann nur aus Un¬
tauglichen bestehen, denn wer etwas taugt, der bleibt eben nicht unten. Um
den Vorwurf, die bestehende Gesellschaftsordnung lasse sehr viele verkümmern,
die ihren Anlagen nach recht wohl eine höhere Stellung einnehmen könnten
und ein besseres Los verdienten, um diesen Vorwurf recht gründlich abzuthun,
beweist er biologisch und arithmetisch, daß die Zahl der Talente und Genies
nur klein sei, und daß es nicht mehr von ihnen geben könne, als wir wirklich
sich entfalten sehen, sodaß also anzunehmen sei, es bleibe von den vorhandnen
Talenten keins unentfaltet. Die Anlage des Individuums, setzt er ans einander,
geht aus der Mischung der elterlichen Anlagen hervor, wie jede von diesen
wieder aus Mischung der Anlagen der Voreltern hervorgegangen ist. Der
Anlagen giebt es sehr viele, eigentlich unzählige, die sich in vier Gruppen
sondern lassen: körperliche, intellektuelle, moralische, wirtschaftliche. Den vielen
Anlagen entsprechen ebenso viele Determinanten des Keimplasmas, und das
Ergebnis einer Zeugung hängt nun davon ab, welche Anlagen, welche
Gruppen von beiden Teilen in den Fötus übergegangen sind. Nun lehrt die
Kombinationslehre, daß bei Wurfen von vier Würfeln (unter den vier Würfeln
kann man sich die vier Anlagengruppen und unter je einem Auge eine Anlage
denken) sowohl der höchste wie der niedrigste Wurf nur auf eine Weise zu
stände kommt, während jede mittlere Zahl auf sehr verschiedne Weisen heraus¬
kommen kann. Nur die vier Sechsen ergeben 24, und nur die vier Emsen
ergeben 4; die 23 kann schon auf vier verschiedne Weisen zu stände kommen,
indem bei jedem der vier Würfel der Reihe nach die Fünf oben liegen kann,
während die andern drei die Sechs zeigen, und ebenso ist es mit der Zahl 5,
da bei jedem der Würfel die zwei oben liegen kann, während die andern drei
die Eins haben. So steigt die Zahl der möglichen Kombinationen nach der
Mitte hin, und der mittelste Wurf, die 14, kann auf hundertsechsundvier-
zigerlei Weise herauskommen. Auf die Zeugungslehre angewandt bedeutet
dies, daß die glücklichsten und die unglücklichsten Mischungen nur selten, die
mittelmäßig guten oder schlechten häufig vorkommen. Darnach hat Galton die
Zahl der Begabungen in einer Million Menschen berechnet. Er teilt die
Menschen ihrer Begabung nach in sechzehn Klassen el", stellt die Klassen mitt¬
lerer Begabung in die Mitte und ordnet von da die höhern und die schlechter"


Grenzboten I 1898 S3
Sozialauslese

den demokratischen EinWurf abweisen, daß der feste Zusammenschluß der
herrschenden Stände keinen Raum lasse für aufsteigende Talente, und daher
schilderte er die Höhen der Gesellschaft als das vom Todesengel bevorzugte
Erntefeld. Damit verband sich dann die Aussicht, wieder in ein Geleise
zu kommen, das sich für den Lobpreiser des Ausleseprozesses besser schickt.
Wenn man die Aufsteigenden ins Auge saßt und überlegt, daß sie aus keinem
andern Grunde aufsteigen, als weil sie die Besten sind, so liegt der Schluß
nahe, daß alle, die nicht aufsteigen, nichts taugen. Diesen Schluß zieht
Ammon wirklich: die unterste Gesellschaftsschicht, meint er, kann nur aus Un¬
tauglichen bestehen, denn wer etwas taugt, der bleibt eben nicht unten. Um
den Vorwurf, die bestehende Gesellschaftsordnung lasse sehr viele verkümmern,
die ihren Anlagen nach recht wohl eine höhere Stellung einnehmen könnten
und ein besseres Los verdienten, um diesen Vorwurf recht gründlich abzuthun,
beweist er biologisch und arithmetisch, daß die Zahl der Talente und Genies
nur klein sei, und daß es nicht mehr von ihnen geben könne, als wir wirklich
sich entfalten sehen, sodaß also anzunehmen sei, es bleibe von den vorhandnen
Talenten keins unentfaltet. Die Anlage des Individuums, setzt er ans einander,
geht aus der Mischung der elterlichen Anlagen hervor, wie jede von diesen
wieder aus Mischung der Anlagen der Voreltern hervorgegangen ist. Der
Anlagen giebt es sehr viele, eigentlich unzählige, die sich in vier Gruppen
sondern lassen: körperliche, intellektuelle, moralische, wirtschaftliche. Den vielen
Anlagen entsprechen ebenso viele Determinanten des Keimplasmas, und das
Ergebnis einer Zeugung hängt nun davon ab, welche Anlagen, welche
Gruppen von beiden Teilen in den Fötus übergegangen sind. Nun lehrt die
Kombinationslehre, daß bei Wurfen von vier Würfeln (unter den vier Würfeln
kann man sich die vier Anlagengruppen und unter je einem Auge eine Anlage
denken) sowohl der höchste wie der niedrigste Wurf nur auf eine Weise zu
stände kommt, während jede mittlere Zahl auf sehr verschiedne Weisen heraus¬
kommen kann. Nur die vier Sechsen ergeben 24, und nur die vier Emsen
ergeben 4; die 23 kann schon auf vier verschiedne Weisen zu stände kommen,
indem bei jedem der vier Würfel der Reihe nach die Fünf oben liegen kann,
während die andern drei die Sechs zeigen, und ebenso ist es mit der Zahl 5,
da bei jedem der Würfel die zwei oben liegen kann, während die andern drei
die Eins haben. So steigt die Zahl der möglichen Kombinationen nach der
Mitte hin, und der mittelste Wurf, die 14, kann auf hundertsechsundvier-
zigerlei Weise herauskommen. Auf die Zeugungslehre angewandt bedeutet
dies, daß die glücklichsten und die unglücklichsten Mischungen nur selten, die
mittelmäßig guten oder schlechten häufig vorkommen. Darnach hat Galton die
Zahl der Begabungen in einer Million Menschen berechnet. Er teilt die
Menschen ihrer Begabung nach in sechzehn Klassen el», stellt die Klassen mitt¬
lerer Begabung in die Mitte und ordnet von da die höhern und die schlechter»


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[0421] Sozialauslese den demokratischen EinWurf abweisen, daß der feste Zusammenschluß der herrschenden Stände keinen Raum lasse für aufsteigende Talente, und daher schilderte er die Höhen der Gesellschaft als das vom Todesengel bevorzugte Erntefeld. Damit verband sich dann die Aussicht, wieder in ein Geleise zu kommen, das sich für den Lobpreiser des Ausleseprozesses besser schickt. Wenn man die Aufsteigenden ins Auge saßt und überlegt, daß sie aus keinem andern Grunde aufsteigen, als weil sie die Besten sind, so liegt der Schluß nahe, daß alle, die nicht aufsteigen, nichts taugen. Diesen Schluß zieht Ammon wirklich: die unterste Gesellschaftsschicht, meint er, kann nur aus Un¬ tauglichen bestehen, denn wer etwas taugt, der bleibt eben nicht unten. Um den Vorwurf, die bestehende Gesellschaftsordnung lasse sehr viele verkümmern, die ihren Anlagen nach recht wohl eine höhere Stellung einnehmen könnten und ein besseres Los verdienten, um diesen Vorwurf recht gründlich abzuthun, beweist er biologisch und arithmetisch, daß die Zahl der Talente und Genies nur klein sei, und daß es nicht mehr von ihnen geben könne, als wir wirklich sich entfalten sehen, sodaß also anzunehmen sei, es bleibe von den vorhandnen Talenten keins unentfaltet. Die Anlage des Individuums, setzt er ans einander, geht aus der Mischung der elterlichen Anlagen hervor, wie jede von diesen wieder aus Mischung der Anlagen der Voreltern hervorgegangen ist. Der Anlagen giebt es sehr viele, eigentlich unzählige, die sich in vier Gruppen sondern lassen: körperliche, intellektuelle, moralische, wirtschaftliche. Den vielen Anlagen entsprechen ebenso viele Determinanten des Keimplasmas, und das Ergebnis einer Zeugung hängt nun davon ab, welche Anlagen, welche Gruppen von beiden Teilen in den Fötus übergegangen sind. Nun lehrt die Kombinationslehre, daß bei Wurfen von vier Würfeln (unter den vier Würfeln kann man sich die vier Anlagengruppen und unter je einem Auge eine Anlage denken) sowohl der höchste wie der niedrigste Wurf nur auf eine Weise zu stände kommt, während jede mittlere Zahl auf sehr verschiedne Weisen heraus¬ kommen kann. Nur die vier Sechsen ergeben 24, und nur die vier Emsen ergeben 4; die 23 kann schon auf vier verschiedne Weisen zu stände kommen, indem bei jedem der vier Würfel der Reihe nach die Fünf oben liegen kann, während die andern drei die Sechs zeigen, und ebenso ist es mit der Zahl 5, da bei jedem der Würfel die zwei oben liegen kann, während die andern drei die Eins haben. So steigt die Zahl der möglichen Kombinationen nach der Mitte hin, und der mittelste Wurf, die 14, kann auf hundertsechsundvier- zigerlei Weise herauskommen. Auf die Zeugungslehre angewandt bedeutet dies, daß die glücklichsten und die unglücklichsten Mischungen nur selten, die mittelmäßig guten oder schlechten häufig vorkommen. Darnach hat Galton die Zahl der Begabungen in einer Million Menschen berechnet. Er teilt die Menschen ihrer Begabung nach in sechzehn Klassen el», stellt die Klassen mitt¬ lerer Begabung in die Mitte und ordnet von da die höhern und die schlechter» Grenzboten I 1898 S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/421>, abgerufen am 09.01.2025.