Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Litteratur eine besondre Kritik gewidmet. Wels die Abstammung des Menschen anlangt, so Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Litteratur eine besondre Kritik gewidmet. Wels die Abstammung des Menschen anlangt, so Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0404" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227306"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1434" prev="#ID_1433"> eine besondre Kritik gewidmet. Wels die Abstammung des Menschen anlangt, so<lb/> glaubt der Verfasser, daß die menschliche Ahnenreihe mit keiner Ahnenreihe von<lb/> Tieren zusammenfalle, sondern daß schon das erste organische Wesen dieser Reihe<lb/> die Bestimmung, sich zum Menschen zu entwickeln, in sich getragen habe, daß aber<lb/> die Meuschenahnen der einzelnen Stufen den Tieren der entsprechenden Stufen des<lb/> Häckelschen Stammbaums, also z. B. Beuteltieren und Affen, ähnlich gewesen sein<lb/> mögen. Sein Gottesbegriff ist pantheistisch. „Sterben heißt nichts andres, als<lb/> Gott kommt aus dieser einen bestimmten Vorstellung, die er sich von einem un-<lb/> vollkommnen Wesen gemacht und in die er sich hineingelebt hat, gerade wie der<lb/> Künstler in seine Gestalten, wieder zu sich selbst. Sterben ist also das Erwachen<lb/> Gottes aus einem Traum" (S. 432). Die Weismcmnsche Theorie erklärt Haacke,<lb/> sowie Wundt, für die alte Einschachteluugstheorie; er hat sie in einer Reihe von<lb/> Aufsätzen in Fachzeitschriften bekämpft, Weismann hat ihn jedoch bis jetzt noch<lb/> keiner Antwort gewürdigt. — Viel weiter noch geht Dr. Adolf Wagner in seinem<lb/> fein ausgestatteten kleinen Buche: Grundprobleme der Naturwissenschaft.<lb/> Briefe eines unmodernen Naturforschers. (Berlin, Gebrüder Bornträger, 1897.)<lb/> Der Verfasser steht auf dem Kant-Schvpenhauerschen Standpunkt (von Schopen¬<lb/> hauer nimmt er nicht den Pessimismus, sondern nur die Erkenntnistheorie an),<lb/> weist von da aus, da ja die Materie nur eine unsrer Vorstellungen sei, die völlige<lb/> Grund- und Haltlosigkeit des Materialismus nach und gelangt bei der Prüfung<lb/> der verschiednen biologischen Theorien zu Schlußergebnissen wie: die darwinische<lb/> Theorie „erklärt die Zweckmäßigkeit durch die Zweckmäßigkeit, d. h. sie erklärt gar<lb/> nichts" (S. 225). „Was wissen wir über die natürliche Selektion? Nichts"<lb/> (S. 231). Wenn er die Atomistik gänzlich verwirft und sie höchstens noch in der<lb/> Chemie als ein Bild von Berechnungen will gelten lassen, so schießt er wohl über<lb/> das Ziel hinaus; wir betrachten es als einen Fortschritt, daß der Idealismus in<lb/> der Philosophie dem transcendenter Realismus, wie Hartmnnn das nennt, Platz<lb/> gemacht hat, d. h. wir nehmen an, daß unsern Vorstellungen, auch der von Atomen,<lb/> in der Wirklichkeit etwas entspricht, wenn wir auch das Wesen dieses Wirklichen<lb/> nicht zu ergründen vermögen. Wagners Betrachtungen sind schön geschrieben und<lb/> voll origineller Ansichten und Auffassungen, ohne an irgend einer Stelle barock<lb/> oder schrullenhaft zu werden. Der Schluß lautet: „Und weil nun das Erkennen<lb/> ein Spezifikum der Tierheit ist, weil mit dem Auftreten eines Intellekts, und sei<lb/> er noch so armselig, eine ganz neue Erscheinnngsstnfe betreten ist, so füge ich, ent¬<lb/> gegen der mechanistischen Ansicht, zu der misgesprochnen Unterscheidung noch den<lb/> Satz hinzu: Ein Organismus ist entweder ausgesprochen Tier, oder ausgesprochen<lb/> Pflanze; ein drittes giebt es nicht. Und wo etwa Zweifel herrschen können, da<lb/> liegt der Grund in unsrer mangelhaften Einsicht und Kenntnis des betreffenden<lb/> Organismus, nicht aber darin, daß etwa ein Übergang von Tier zu Pflanze vor¬<lb/> liege. Ein solcher Übergang ist undenkbar. Daher muß sich auch das Bestreben<lb/> als ein verfehltes herausstellen, Tiere und Pflanzen von gemeinsamen indifferenten<lb/> Urwesen allmählich entstanden zu denken. Und dasselbe gilt überall dort, wo neue,<lb/> charakteristische Typen auftreten. In Konsequenz dieser Erkenntnisse erweist sich<lb/> dann aus diesen wie manchen andern Gründen die moderne darwinistische Fassung<lb/> des Descendenzgedankens mit dem »Nützlichkeitsprinzip« und der na,durat selsoticm<lb/> als völlig unzureichend und irrig."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0404]
Litteratur
eine besondre Kritik gewidmet. Wels die Abstammung des Menschen anlangt, so
glaubt der Verfasser, daß die menschliche Ahnenreihe mit keiner Ahnenreihe von
Tieren zusammenfalle, sondern daß schon das erste organische Wesen dieser Reihe
die Bestimmung, sich zum Menschen zu entwickeln, in sich getragen habe, daß aber
die Meuschenahnen der einzelnen Stufen den Tieren der entsprechenden Stufen des
Häckelschen Stammbaums, also z. B. Beuteltieren und Affen, ähnlich gewesen sein
mögen. Sein Gottesbegriff ist pantheistisch. „Sterben heißt nichts andres, als
Gott kommt aus dieser einen bestimmten Vorstellung, die er sich von einem un-
vollkommnen Wesen gemacht und in die er sich hineingelebt hat, gerade wie der
Künstler in seine Gestalten, wieder zu sich selbst. Sterben ist also das Erwachen
Gottes aus einem Traum" (S. 432). Die Weismcmnsche Theorie erklärt Haacke,
sowie Wundt, für die alte Einschachteluugstheorie; er hat sie in einer Reihe von
Aufsätzen in Fachzeitschriften bekämpft, Weismann hat ihn jedoch bis jetzt noch
keiner Antwort gewürdigt. — Viel weiter noch geht Dr. Adolf Wagner in seinem
fein ausgestatteten kleinen Buche: Grundprobleme der Naturwissenschaft.
Briefe eines unmodernen Naturforschers. (Berlin, Gebrüder Bornträger, 1897.)
Der Verfasser steht auf dem Kant-Schvpenhauerschen Standpunkt (von Schopen¬
hauer nimmt er nicht den Pessimismus, sondern nur die Erkenntnistheorie an),
weist von da aus, da ja die Materie nur eine unsrer Vorstellungen sei, die völlige
Grund- und Haltlosigkeit des Materialismus nach und gelangt bei der Prüfung
der verschiednen biologischen Theorien zu Schlußergebnissen wie: die darwinische
Theorie „erklärt die Zweckmäßigkeit durch die Zweckmäßigkeit, d. h. sie erklärt gar
nichts" (S. 225). „Was wissen wir über die natürliche Selektion? Nichts"
(S. 231). Wenn er die Atomistik gänzlich verwirft und sie höchstens noch in der
Chemie als ein Bild von Berechnungen will gelten lassen, so schießt er wohl über
das Ziel hinaus; wir betrachten es als einen Fortschritt, daß der Idealismus in
der Philosophie dem transcendenter Realismus, wie Hartmnnn das nennt, Platz
gemacht hat, d. h. wir nehmen an, daß unsern Vorstellungen, auch der von Atomen,
in der Wirklichkeit etwas entspricht, wenn wir auch das Wesen dieses Wirklichen
nicht zu ergründen vermögen. Wagners Betrachtungen sind schön geschrieben und
voll origineller Ansichten und Auffassungen, ohne an irgend einer Stelle barock
oder schrullenhaft zu werden. Der Schluß lautet: „Und weil nun das Erkennen
ein Spezifikum der Tierheit ist, weil mit dem Auftreten eines Intellekts, und sei
er noch so armselig, eine ganz neue Erscheinnngsstnfe betreten ist, so füge ich, ent¬
gegen der mechanistischen Ansicht, zu der misgesprochnen Unterscheidung noch den
Satz hinzu: Ein Organismus ist entweder ausgesprochen Tier, oder ausgesprochen
Pflanze; ein drittes giebt es nicht. Und wo etwa Zweifel herrschen können, da
liegt der Grund in unsrer mangelhaften Einsicht und Kenntnis des betreffenden
Organismus, nicht aber darin, daß etwa ein Übergang von Tier zu Pflanze vor¬
liege. Ein solcher Übergang ist undenkbar. Daher muß sich auch das Bestreben
als ein verfehltes herausstellen, Tiere und Pflanzen von gemeinsamen indifferenten
Urwesen allmählich entstanden zu denken. Und dasselbe gilt überall dort, wo neue,
charakteristische Typen auftreten. In Konsequenz dieser Erkenntnisse erweist sich
dann aus diesen wie manchen andern Gründen die moderne darwinistische Fassung
des Descendenzgedankens mit dem »Nützlichkeitsprinzip« und der na,durat selsoticm
als völlig unzureichend und irrig."
Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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