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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Budgetrecht und Flottengesetz

die größtmögliche Freiheit: so sieht die heutige Regierungsvorlage im Gesetze
selbst nicht nur die Frage der Bewilligung der sür die Ausführung des neuen
Flottengründungsplans erforderlichen Mittel vor, sondern kleidet auch alle
wesentlichen Einzelheiten dieses Planes selbst in Gesetzesparagraphen. Außerdem
aber steht im Flottengesetzentwurf der gesetzlichen Bindung des Budgetrechts
des Reichstags die im Flottengründungsplan von 1867 nicht gegebne und
auch später nie beantragte gesetzliche Organisation der Marine und die gesetz¬
liche Bindung der Marineverwaltung gegenüber. Es darf daher mit aller
Bestimmtheit angenommen werden, daß die Majorität des Norddeutschen
Reichstags von 1867 -- wenn sie heute im Deutschen Reichstage süße -- den
Flottengesetzentwurf vom Standpunkte des Budgetrechts für noch unbedenklicher
ansehn würde als den damaligen Flottengründungsplan und daher die jetzige
Vorlage lediglich von dem Gesichtspunkte der materiellen Notwendigkeit der
vorgeschlagnen Flottenverstärkung aus prüfen würde. Daß bei der nationalen
Gesinnung der damaligen durch keine parteipolitischer zum Nachteil nationaler
Interessen beeinflußten Reichstagsmajoritüt heute diese Notwendigkeit von ihr
anerkannt werden würde, kann unmöglich bezweifelt werden.

In der "Deutschen Juristenzeitung" Ur. 23 vom Jahrgang 1897 und
Ur. 4 vom Jahrgang 1898 haben zwei bedeutende Staatsrechtslehrer, Pro¬
fessor Dr. Labend und Professor Dr. Arndt, des nähern dargelegt, wie wenig
stichhaltig der jetzt von den Gegnern der Flottenvorlage noch festgehaltne
Einwand sei, daß die darin beantragte Bindung des Budgetrechts des Reichs¬
tags wider die Verfassung verstoße; sie haben insbesondre ans die analoge
Bindung der gesetzgebenden Mächte des Reichs, u. a. durch die Organisations¬
gesetze für das deutsche Heer hingewiesen.

Zu der Parteitaktik der Gegenwart gehört es aber, den lebenden Auto¬
ritäten auf dem Gebiete des Staatsrechts die subjektive Unabhängigkeit und
daher die unbedingte Objektivität bei Beurteilung der in Betracht kommenden
Verfassungs- und Rechtsfragen abzustreiten, und so werden diese Aufsätze leider
nur wenig Gegner überreden. Es schien mir deshalb nützlich, einmal an die
Rechtsauffassung verstorbner rechtsgelehrter Reichstagsmitglieder zu erinnern,
die bei ihren Lebzeiten und darüber hinaus bei allen Parteien als Autoritäten
auf diesem Gebiet gegolten haben, vor allem aber die Auslegung und An¬
wendung des Vudgetrechts durch die gesetzgebenden Gewalten des Norddeutschen
Bundes und des Deutschen Reichs in den Jahren 1867 bis 1873.

Möchte es mir hierdurch gelingen, eine Lebensfrage des Vaterlandes
fördern zu helfen!




Budgetrecht und Flottengesetz

die größtmögliche Freiheit: so sieht die heutige Regierungsvorlage im Gesetze
selbst nicht nur die Frage der Bewilligung der sür die Ausführung des neuen
Flottengründungsplans erforderlichen Mittel vor, sondern kleidet auch alle
wesentlichen Einzelheiten dieses Planes selbst in Gesetzesparagraphen. Außerdem
aber steht im Flottengesetzentwurf der gesetzlichen Bindung des Budgetrechts
des Reichstags die im Flottengründungsplan von 1867 nicht gegebne und
auch später nie beantragte gesetzliche Organisation der Marine und die gesetz¬
liche Bindung der Marineverwaltung gegenüber. Es darf daher mit aller
Bestimmtheit angenommen werden, daß die Majorität des Norddeutschen
Reichstags von 1867 — wenn sie heute im Deutschen Reichstage süße — den
Flottengesetzentwurf vom Standpunkte des Budgetrechts für noch unbedenklicher
ansehn würde als den damaligen Flottengründungsplan und daher die jetzige
Vorlage lediglich von dem Gesichtspunkte der materiellen Notwendigkeit der
vorgeschlagnen Flottenverstärkung aus prüfen würde. Daß bei der nationalen
Gesinnung der damaligen durch keine parteipolitischer zum Nachteil nationaler
Interessen beeinflußten Reichstagsmajoritüt heute diese Notwendigkeit von ihr
anerkannt werden würde, kann unmöglich bezweifelt werden.

In der „Deutschen Juristenzeitung" Ur. 23 vom Jahrgang 1897 und
Ur. 4 vom Jahrgang 1898 haben zwei bedeutende Staatsrechtslehrer, Pro¬
fessor Dr. Labend und Professor Dr. Arndt, des nähern dargelegt, wie wenig
stichhaltig der jetzt von den Gegnern der Flottenvorlage noch festgehaltne
Einwand sei, daß die darin beantragte Bindung des Budgetrechts des Reichs¬
tags wider die Verfassung verstoße; sie haben insbesondre ans die analoge
Bindung der gesetzgebenden Mächte des Reichs, u. a. durch die Organisations¬
gesetze für das deutsche Heer hingewiesen.

Zu der Parteitaktik der Gegenwart gehört es aber, den lebenden Auto¬
ritäten auf dem Gebiete des Staatsrechts die subjektive Unabhängigkeit und
daher die unbedingte Objektivität bei Beurteilung der in Betracht kommenden
Verfassungs- und Rechtsfragen abzustreiten, und so werden diese Aufsätze leider
nur wenig Gegner überreden. Es schien mir deshalb nützlich, einmal an die
Rechtsauffassung verstorbner rechtsgelehrter Reichstagsmitglieder zu erinnern,
die bei ihren Lebzeiten und darüber hinaus bei allen Parteien als Autoritäten
auf diesem Gebiet gegolten haben, vor allem aber die Auslegung und An¬
wendung des Vudgetrechts durch die gesetzgebenden Gewalten des Norddeutschen
Bundes und des Deutschen Reichs in den Jahren 1867 bis 1873.

Möchte es mir hierdurch gelingen, eine Lebensfrage des Vaterlandes
fördern zu helfen!




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[0385] Budgetrecht und Flottengesetz die größtmögliche Freiheit: so sieht die heutige Regierungsvorlage im Gesetze selbst nicht nur die Frage der Bewilligung der sür die Ausführung des neuen Flottengründungsplans erforderlichen Mittel vor, sondern kleidet auch alle wesentlichen Einzelheiten dieses Planes selbst in Gesetzesparagraphen. Außerdem aber steht im Flottengesetzentwurf der gesetzlichen Bindung des Budgetrechts des Reichstags die im Flottengründungsplan von 1867 nicht gegebne und auch später nie beantragte gesetzliche Organisation der Marine und die gesetz¬ liche Bindung der Marineverwaltung gegenüber. Es darf daher mit aller Bestimmtheit angenommen werden, daß die Majorität des Norddeutschen Reichstags von 1867 — wenn sie heute im Deutschen Reichstage süße — den Flottengesetzentwurf vom Standpunkte des Budgetrechts für noch unbedenklicher ansehn würde als den damaligen Flottengründungsplan und daher die jetzige Vorlage lediglich von dem Gesichtspunkte der materiellen Notwendigkeit der vorgeschlagnen Flottenverstärkung aus prüfen würde. Daß bei der nationalen Gesinnung der damaligen durch keine parteipolitischer zum Nachteil nationaler Interessen beeinflußten Reichstagsmajoritüt heute diese Notwendigkeit von ihr anerkannt werden würde, kann unmöglich bezweifelt werden. In der „Deutschen Juristenzeitung" Ur. 23 vom Jahrgang 1897 und Ur. 4 vom Jahrgang 1898 haben zwei bedeutende Staatsrechtslehrer, Pro¬ fessor Dr. Labend und Professor Dr. Arndt, des nähern dargelegt, wie wenig stichhaltig der jetzt von den Gegnern der Flottenvorlage noch festgehaltne Einwand sei, daß die darin beantragte Bindung des Budgetrechts des Reichs¬ tags wider die Verfassung verstoße; sie haben insbesondre ans die analoge Bindung der gesetzgebenden Mächte des Reichs, u. a. durch die Organisations¬ gesetze für das deutsche Heer hingewiesen. Zu der Parteitaktik der Gegenwart gehört es aber, den lebenden Auto¬ ritäten auf dem Gebiete des Staatsrechts die subjektive Unabhängigkeit und daher die unbedingte Objektivität bei Beurteilung der in Betracht kommenden Verfassungs- und Rechtsfragen abzustreiten, und so werden diese Aufsätze leider nur wenig Gegner überreden. Es schien mir deshalb nützlich, einmal an die Rechtsauffassung verstorbner rechtsgelehrter Reichstagsmitglieder zu erinnern, die bei ihren Lebzeiten und darüber hinaus bei allen Parteien als Autoritäten auf diesem Gebiet gegolten haben, vor allem aber die Auslegung und An¬ wendung des Vudgetrechts durch die gesetzgebenden Gewalten des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs in den Jahren 1867 bis 1873. Möchte es mir hierdurch gelingen, eine Lebensfrage des Vaterlandes fördern zu helfen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/385>, abgerufen am 07.01.2025.