Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das deutsche Dorfwirtshaus und Gemüsesuppen, in deren dickflüssiger Masse soviel Flcischbröckchen, Frag¬ Das deutsche Dorfwirtshaus und Gemüsesuppen, in deren dickflüssiger Masse soviel Flcischbröckchen, Frag¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227213"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Dorfwirtshaus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1041" prev="#ID_1040" next="#ID_1042"> und Gemüsesuppen, in deren dickflüssiger Masse soviel Flcischbröckchen, Frag¬<lb/> mente von Leber. Herz und Stücke von unbestimmbaren Vögeln stecken, zum<lb/> Glück unbestimmbar! denn sie könnten auch von Mäusen oder Maulwürfev<lb/> stammen, daß sie eine ganze Mahlzeit in sich vereinigen. Deutschland allein<lb/> ißt aus großen Suppenschüsseln dünne Suppen, in die die Kraft des gekochten<lb/> Fleisches übergegangen ist, oder denen man in andrer Weise etwas Gehalt zu<lb/> verleihen bemüht ist. Mit einer solchen Suppe muß das deutsche Essen an¬<lb/> fangen. Undankbar wäre es, zu verkennen, daß in deutsche Suppen schon<lb/> manche schöne „Ideen," gebackne und andre, hineingelegt wurden, wodurch<lb/> man sie befähigte, ein Mittagsmahl nicht bloß in stofflich genußreicher, sondern<lb/> auch in gemütlich ergötzlicher Weise einzuleiten. Denken wir uns einmal unter<lb/> Vernachlässigung aller Unterschiede des Raumes Alldeutschland beim Essen.<lb/> Welche mannigfaltige Suppen erscheinen da! Immerhin sind landschaftliche<lb/> Unterschiede wohl zu erkennen. Im Süden herrschen die Teigsuppen, schwimmende<lb/> Mehlspeisen konnte man sie nennen, vom Wcisgau bis zur Salzach, vom<lb/> Bodensee bis zur Lahn; die hervorragendsten unter diesen Suppenbestandteilen<lb/> sind die Nudeln (als Nonille sind diese kunstvoll dünn geschnittenen Bänder<lb/> und Fäden ans Teig auch ins Französische übergegangen) und der geriebne<lb/> Teig, auch Eiergersll genannt, die Spätzle in Schwaben und am Oberrhein,<lb/> deren Vertreter in Baiern die verschiednen Arten von Knödeln sind, die Flädle,<lb/> die aus dünnen, in Schmalz gebacknen „Fladen" bandförmig geschnitten werden,<lb/> die gebacknen Erbsen aus Tropfen eines dünnen Teiges, die man in heißes<lb/> Fett fallen läßt. Es ist ein endloses Variiren über das Thema Mehl, Milch<lb/> und El, ein Variiren mit Geschmack und Phantasie. In Schwabe» erreicht<lb/> diese Entwicklung ihren Höhepunkt. In Baiern, dem Lande des größten<lb/> Fleischkonsums in Deutschland, kommt die kräftige Milzsuppe und jene her¬<lb/> kömmlich am Samstag gegessene Suppe mit einer großen, mit flüssiger Fleisch¬<lb/> masse gefüllten Wurst, deren Inhalt der Essende geschickt, wenn auch nicht<lb/> immer appetitlich, in die Suppe streift. Diese mannigfaltigen Suppen nehmen<lb/> nach Norden immer mehr ab, nördlich von Köln, Kassel, in Thüringen, Obcr-<lb/> achsen treten Graupen, Reis, Hülsenfrüchte, Kartoffel» immer mehr an ihre Stelle,<lb/> und es erscheine» dazu ganz neue Schöpfungen und Suppenzuthateu: Rosinen<lb/> im Nordwesten in der Pumpernickelsuppe, Kirschen, gedörrte Zwetschgen, Bier.<lb/> Hier ist auch das Land der Kalteschale und der Fischsuppen, die in der Ham¬<lb/> burger Aalsuppe eine wahrhaft phantastische Ausbildung erfahren haben. Der<lb/> Kenner slawischen Volkstums wird hier manchen Spuren begegnen, die nach<lb/> Osten weisen. Eine Fischsuppe und daneben ein mohnbestreutes „Striezel" sind<lb/> mir immer als ganz fremde Erschei»ungen auf deutschen Wirtstischeu erschienen,<lb/> und man begegnet jener auch uur im Osten, hier aber von Lithauen bis Kroatien.<lb/> Die im ganzen Südeuropa und in Frankreich und Belgien so wichtigen Gemüse¬<lb/> suppen, in die auch Rüben, Sellerie und Kartoffeln geschnitten werden, die Grund-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Das deutsche Dorfwirtshaus
und Gemüsesuppen, in deren dickflüssiger Masse soviel Flcischbröckchen, Frag¬
mente von Leber. Herz und Stücke von unbestimmbaren Vögeln stecken, zum
Glück unbestimmbar! denn sie könnten auch von Mäusen oder Maulwürfev
stammen, daß sie eine ganze Mahlzeit in sich vereinigen. Deutschland allein
ißt aus großen Suppenschüsseln dünne Suppen, in die die Kraft des gekochten
Fleisches übergegangen ist, oder denen man in andrer Weise etwas Gehalt zu
verleihen bemüht ist. Mit einer solchen Suppe muß das deutsche Essen an¬
fangen. Undankbar wäre es, zu verkennen, daß in deutsche Suppen schon
manche schöne „Ideen," gebackne und andre, hineingelegt wurden, wodurch
man sie befähigte, ein Mittagsmahl nicht bloß in stofflich genußreicher, sondern
auch in gemütlich ergötzlicher Weise einzuleiten. Denken wir uns einmal unter
Vernachlässigung aller Unterschiede des Raumes Alldeutschland beim Essen.
Welche mannigfaltige Suppen erscheinen da! Immerhin sind landschaftliche
Unterschiede wohl zu erkennen. Im Süden herrschen die Teigsuppen, schwimmende
Mehlspeisen konnte man sie nennen, vom Wcisgau bis zur Salzach, vom
Bodensee bis zur Lahn; die hervorragendsten unter diesen Suppenbestandteilen
sind die Nudeln (als Nonille sind diese kunstvoll dünn geschnittenen Bänder
und Fäden ans Teig auch ins Französische übergegangen) und der geriebne
Teig, auch Eiergersll genannt, die Spätzle in Schwaben und am Oberrhein,
deren Vertreter in Baiern die verschiednen Arten von Knödeln sind, die Flädle,
die aus dünnen, in Schmalz gebacknen „Fladen" bandförmig geschnitten werden,
die gebacknen Erbsen aus Tropfen eines dünnen Teiges, die man in heißes
Fett fallen läßt. Es ist ein endloses Variiren über das Thema Mehl, Milch
und El, ein Variiren mit Geschmack und Phantasie. In Schwabe» erreicht
diese Entwicklung ihren Höhepunkt. In Baiern, dem Lande des größten
Fleischkonsums in Deutschland, kommt die kräftige Milzsuppe und jene her¬
kömmlich am Samstag gegessene Suppe mit einer großen, mit flüssiger Fleisch¬
masse gefüllten Wurst, deren Inhalt der Essende geschickt, wenn auch nicht
immer appetitlich, in die Suppe streift. Diese mannigfaltigen Suppen nehmen
nach Norden immer mehr ab, nördlich von Köln, Kassel, in Thüringen, Obcr-
achsen treten Graupen, Reis, Hülsenfrüchte, Kartoffel» immer mehr an ihre Stelle,
und es erscheine» dazu ganz neue Schöpfungen und Suppenzuthateu: Rosinen
im Nordwesten in der Pumpernickelsuppe, Kirschen, gedörrte Zwetschgen, Bier.
Hier ist auch das Land der Kalteschale und der Fischsuppen, die in der Ham¬
burger Aalsuppe eine wahrhaft phantastische Ausbildung erfahren haben. Der
Kenner slawischen Volkstums wird hier manchen Spuren begegnen, die nach
Osten weisen. Eine Fischsuppe und daneben ein mohnbestreutes „Striezel" sind
mir immer als ganz fremde Erschei»ungen auf deutschen Wirtstischeu erschienen,
und man begegnet jener auch uur im Osten, hier aber von Lithauen bis Kroatien.
Die im ganzen Südeuropa und in Frankreich und Belgien so wichtigen Gemüse¬
suppen, in die auch Rüben, Sellerie und Kartoffeln geschnitten werden, die Grund-
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