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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

spricht aber kein Wort der Anklage gegen einen Vorgesetzten ans, weil er die
sittliche Kraft hat, auch im Unglück die Mannszucht zu l.wahren, und wenn er
über die Gefangenschaft klagt, so geschieht es meist nur, wenn es sich um die Leiden
seiner mit ihm gefangnen Soldaten oder um schwere Verletzungen des Völkerrechts
handelt. In der Art, wie er selbst Leiden und Entbehrungen ertragen hat, gegen
Demütigungen aber auf Gefahr seines Lebens seinen persönlichen Stolz mit
Zähigkeit einsetzt, fühlen wir einen Nachklang altrömischen Heldentums. Daß es
wirklich noch nicht erstorben ist, weder bei den Offizieren noch bei den Soldaten,
sehen Wir aus vielen Einzelheiten der anregenden Schilderung, die ohne Pathos,
als etwas selbstverständliches erzählt werden. Der Major hatte im Frieden die
Zuversicht gewonnen, daß er sich auf seine Leute, selbst ans das aus Ein-
gebornen gebildete achte Bataillon verlassen konnte. Er hat sich auch nicht
getäuscht, da es am Tage der entscheidenden Schlacht bis zur völligen Vernichtung
stand hielt. Man sollte nnn meinen, daß mit so vortrefflichen Offizieren und Sol¬
daten das Unglück hätte vermieden werden können. Aber der Oberbefehlshaber,
General Baratieri, hatte nicht die Selbstzucht seiner Untergebnen. Dem durch
leichte Erfolge berauschten Manne war es um einen Hauptschlag zu thun, um
sich bei dem Ministerium Crispi, das auf schnellen Abschluß des afrikanischen
Zwischenfalls drang, eine feste Stellung zu sichern. Es war wieder einer der
"politischen" Generale, der gefallen ist, weil er, wenn auch nur für wenige Tage,
die militärische Klugheit dem politischen Eiser unterordnete. Aber anch ihm muß
es zur Ehre angerechnet werden, daß er in seiner Schrift über den abessinischen
Krieg, die nach den Erinnerungen des Majors Gamerra erschienen ist, seinen
Hauptfehler bekannt hat. Die Italiener haben bei der Erwerbung und Verwaltung
ihrer erythräischen Kolonie viele Mißgriffe gethan. Aber sie haben sie auch durch
Unglücksfälle und schwere Verluste gebüßt. Ihre Schuld wird geringer, wenn man
sich ihren Geguer, den sogenannten Kaiser Menelil, näher ansieht, einen orienta¬
lischen Despoten schlimmster Art, der uur so lange obenauf ist, als seiue Unter-
häuptliuge ihm zu Willen sind. Und dieser Schattenkönig, in dessen eingebildete
Herrlichkeit Major Gamerra mit seiner scharfen Beobachtungsgabe tief eingedrungen
ist, findet wohlwollende Unterstützung, jedenfalls die einem europäischen Souverän
gebührende Hochachtung bei Rußland, England und selbst bei dem kapsle, trotzdem
daß er deu Kriegsgefangnen Hände und Füße abhalten ließ, um sie für jeden
weitern Kriegszug untauglich zu machen. Dieser Barbar, der sein. Schandthaten
uuter dem Mantel des Christentums deckt, erfrecht sich sogar uoch, Orden an ehren¬
werte Männer in Europa zu senden. Statt in Abessinien einen neuen Herd der
Zwietracht zu entzünden, sollten die Großmächte schnell dem Unfug ein Ende
machen, deu ein Dutzend uuzufrieduer Häuptlinge, von denen Menelik übrigens noch
nicht der schlimmste ist, angestiftet haben.





Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
Litteratur

spricht aber kein Wort der Anklage gegen einen Vorgesetzten ans, weil er die
sittliche Kraft hat, auch im Unglück die Mannszucht zu l.wahren, und wenn er
über die Gefangenschaft klagt, so geschieht es meist nur, wenn es sich um die Leiden
seiner mit ihm gefangnen Soldaten oder um schwere Verletzungen des Völkerrechts
handelt. In der Art, wie er selbst Leiden und Entbehrungen ertragen hat, gegen
Demütigungen aber auf Gefahr seines Lebens seinen persönlichen Stolz mit
Zähigkeit einsetzt, fühlen wir einen Nachklang altrömischen Heldentums. Daß es
wirklich noch nicht erstorben ist, weder bei den Offizieren noch bei den Soldaten,
sehen Wir aus vielen Einzelheiten der anregenden Schilderung, die ohne Pathos,
als etwas selbstverständliches erzählt werden. Der Major hatte im Frieden die
Zuversicht gewonnen, daß er sich auf seine Leute, selbst ans das aus Ein-
gebornen gebildete achte Bataillon verlassen konnte. Er hat sich auch nicht
getäuscht, da es am Tage der entscheidenden Schlacht bis zur völligen Vernichtung
stand hielt. Man sollte nnn meinen, daß mit so vortrefflichen Offizieren und Sol¬
daten das Unglück hätte vermieden werden können. Aber der Oberbefehlshaber,
General Baratieri, hatte nicht die Selbstzucht seiner Untergebnen. Dem durch
leichte Erfolge berauschten Manne war es um einen Hauptschlag zu thun, um
sich bei dem Ministerium Crispi, das auf schnellen Abschluß des afrikanischen
Zwischenfalls drang, eine feste Stellung zu sichern. Es war wieder einer der
„politischen" Generale, der gefallen ist, weil er, wenn auch nur für wenige Tage,
die militärische Klugheit dem politischen Eiser unterordnete. Aber anch ihm muß
es zur Ehre angerechnet werden, daß er in seiner Schrift über den abessinischen
Krieg, die nach den Erinnerungen des Majors Gamerra erschienen ist, seinen
Hauptfehler bekannt hat. Die Italiener haben bei der Erwerbung und Verwaltung
ihrer erythräischen Kolonie viele Mißgriffe gethan. Aber sie haben sie auch durch
Unglücksfälle und schwere Verluste gebüßt. Ihre Schuld wird geringer, wenn man
sich ihren Geguer, den sogenannten Kaiser Menelil, näher ansieht, einen orienta¬
lischen Despoten schlimmster Art, der uur so lange obenauf ist, als seiue Unter-
häuptliuge ihm zu Willen sind. Und dieser Schattenkönig, in dessen eingebildete
Herrlichkeit Major Gamerra mit seiner scharfen Beobachtungsgabe tief eingedrungen
ist, findet wohlwollende Unterstützung, jedenfalls die einem europäischen Souverän
gebührende Hochachtung bei Rußland, England und selbst bei dem kapsle, trotzdem
daß er deu Kriegsgefangnen Hände und Füße abhalten ließ, um sie für jeden
weitern Kriegszug untauglich zu machen. Dieser Barbar, der sein. Schandthaten
uuter dem Mantel des Christentums deckt, erfrecht sich sogar uoch, Orden an ehren¬
werte Männer in Europa zu senden. Statt in Abessinien einen neuen Herd der
Zwietracht zu entzünden, sollten die Großmächte schnell dem Unfug ein Ende
machen, deu ein Dutzend uuzufrieduer Häuptlinge, von denen Menelik übrigens noch
nicht der schlimmste ist, angestiftet haben.





Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
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[0292] Litteratur spricht aber kein Wort der Anklage gegen einen Vorgesetzten ans, weil er die sittliche Kraft hat, auch im Unglück die Mannszucht zu l.wahren, und wenn er über die Gefangenschaft klagt, so geschieht es meist nur, wenn es sich um die Leiden seiner mit ihm gefangnen Soldaten oder um schwere Verletzungen des Völkerrechts handelt. In der Art, wie er selbst Leiden und Entbehrungen ertragen hat, gegen Demütigungen aber auf Gefahr seines Lebens seinen persönlichen Stolz mit Zähigkeit einsetzt, fühlen wir einen Nachklang altrömischen Heldentums. Daß es wirklich noch nicht erstorben ist, weder bei den Offizieren noch bei den Soldaten, sehen Wir aus vielen Einzelheiten der anregenden Schilderung, die ohne Pathos, als etwas selbstverständliches erzählt werden. Der Major hatte im Frieden die Zuversicht gewonnen, daß er sich auf seine Leute, selbst ans das aus Ein- gebornen gebildete achte Bataillon verlassen konnte. Er hat sich auch nicht getäuscht, da es am Tage der entscheidenden Schlacht bis zur völligen Vernichtung stand hielt. Man sollte nnn meinen, daß mit so vortrefflichen Offizieren und Sol¬ daten das Unglück hätte vermieden werden können. Aber der Oberbefehlshaber, General Baratieri, hatte nicht die Selbstzucht seiner Untergebnen. Dem durch leichte Erfolge berauschten Manne war es um einen Hauptschlag zu thun, um sich bei dem Ministerium Crispi, das auf schnellen Abschluß des afrikanischen Zwischenfalls drang, eine feste Stellung zu sichern. Es war wieder einer der „politischen" Generale, der gefallen ist, weil er, wenn auch nur für wenige Tage, die militärische Klugheit dem politischen Eiser unterordnete. Aber anch ihm muß es zur Ehre angerechnet werden, daß er in seiner Schrift über den abessinischen Krieg, die nach den Erinnerungen des Majors Gamerra erschienen ist, seinen Hauptfehler bekannt hat. Die Italiener haben bei der Erwerbung und Verwaltung ihrer erythräischen Kolonie viele Mißgriffe gethan. Aber sie haben sie auch durch Unglücksfälle und schwere Verluste gebüßt. Ihre Schuld wird geringer, wenn man sich ihren Geguer, den sogenannten Kaiser Menelil, näher ansieht, einen orienta¬ lischen Despoten schlimmster Art, der uur so lange obenauf ist, als seiue Unter- häuptliuge ihm zu Willen sind. Und dieser Schattenkönig, in dessen eingebildete Herrlichkeit Major Gamerra mit seiner scharfen Beobachtungsgabe tief eingedrungen ist, findet wohlwollende Unterstützung, jedenfalls die einem europäischen Souverän gebührende Hochachtung bei Rußland, England und selbst bei dem kapsle, trotzdem daß er deu Kriegsgefangnen Hände und Füße abhalten ließ, um sie für jeden weitern Kriegszug untauglich zu machen. Dieser Barbar, der sein. Schandthaten uuter dem Mantel des Christentums deckt, erfrecht sich sogar uoch, Orden an ehren¬ werte Männer in Europa zu senden. Statt in Abessinien einen neuen Herd der Zwietracht zu entzünden, sollten die Großmächte schnell dem Unfug ein Ende machen, deu ein Dutzend uuzufrieduer Häuptlinge, von denen Menelik übrigens noch nicht der schlimmste ist, angestiftet haben. [Abbildung] Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/292>, abgerufen am 07.01.2025.