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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik

meist urteilslvse" Teil des Volks gegenüber die Autorität des Altreichskanzlers
ins Feld zu führen. Für die Beliebtheit der im Parteikämpfe gebrauchten
Schlagwörter scheint ja deren Sinn oder logische Begründung von geringer
Bedeutung zu sein.

Wie sich in dem Kopfe eines Parteiparlamentariers ein "Flottenplan mit
Ufern" von einem "uferlosen Flottenplane" unterscheidet, wird ein Fachmann
schwer ergründen können. Fast scheint es, als ob der Benutzer dieses Schlag¬
worts dadurch seiner Befürchtung Ausdruck geben möchte, daß er den ihm noch
unbekannten Plänen des weiterschauenden, verantwortlichen, seemännischen Ver¬
treters und Begründers dieser Pläne aus Mangel an Fachkenntnis und Er¬
fahrung nicht werde folgen können. Daß er glaube, ein guter Schutz des
deutschen Seehandels und der Küstenlande sei am billigsten und besten in
Sicht der Ufer ausführbar, kann man heutzutage doch nicht mehr annehmen,
wenn auch eine frühere Zeitströmung die deutsche Seemacht zu einer bloßen
Küstenverteidigungsflotte Herabdrücken wollte, deren Wert für den Handel und
die Sicherung der deutschen Häfen heute und in Zukunft gleich Null wäre.
Ohne Hvchseeschlachtflotte und Kreuzer kann heute keine Seemacht mehr ihrem
Zweck genügen. Das haben die Freunde der Stärkung unsrer Seemacht schon
oft auch an Beispielen aus der Seekriegsgeschichte bewiesen.

Unsre Parteipresse geht teilweise in ihren Sonderbestrebungen so weit,
daß sie das Volk sogar warnt, sich eingehend mit so unwichtigen Sachen,
wie es die Entscheidung über die deutsche Seemachtgröße sei, zu beschäftigen.
Sie verlangt vom Volke, daß es die Frage über die Sicherung der Zukunft
seines Wohlstandes durch Stärkung der Seemacht ja nicht höher stelle als den
lieben Parteizank und Klasfenstreit, die Sorge um Schul-, Börsen- und
Vereinsgesetze, Militärstrafprozeßordnung und so manches andre. Wenn die
Auffassung der Pflichten eines Volkes gegen sich und seine Nachkommen die
Bezeichnung "selbstmörderisch" verdient, so ist es diese, denn ihre Vertreter in
der Presse raten dem Volke eines fast übervölkerten Staates an, erst nach Er¬
ledigung aller innern Scherereien seinen Blick auf die Außenwelt und sein
künftiges Gedeihen zu richten. Zugleich ruft man der um das Staatswohl
und die Zukunft besorgten Negierung zu, daß erst die Erfüllung der ver-
schiednen Parteiwünsche Aussicht gebe auf eine günstigere Behandlung der
Flottenfrage. Das ist doch wohl noch bedenklicher als die vom Admiral
Belknap an seinen amerikanischen Landsleuten getadelte Kurzsichtigkeit. Daß
bei dem heutigen Staude unsrer Eisen-, Stahl- und Schisfbauiudustrie alles
Geld, das für Vermehrung unsrer Kriegsschiffe ausgegeben wird, im Lande
bleibt, und daß neben der großen Unterstützung unsrer heimischen Industrie
bei dem hohen Anteil der Arbeitslöhne an den Kosten eines Kriegsschiffes eine
bedeutende Geldverschiebung zu Gunsten unsers Arbeiterstandes eintreten würde,
wird lange nicht genug gewürdigt. In England weiß jedermann, daß nicht


Japanische Staatspolitik und deutsche Parteipolitik

meist urteilslvse» Teil des Volks gegenüber die Autorität des Altreichskanzlers
ins Feld zu führen. Für die Beliebtheit der im Parteikämpfe gebrauchten
Schlagwörter scheint ja deren Sinn oder logische Begründung von geringer
Bedeutung zu sein.

Wie sich in dem Kopfe eines Parteiparlamentariers ein „Flottenplan mit
Ufern" von einem „uferlosen Flottenplane" unterscheidet, wird ein Fachmann
schwer ergründen können. Fast scheint es, als ob der Benutzer dieses Schlag¬
worts dadurch seiner Befürchtung Ausdruck geben möchte, daß er den ihm noch
unbekannten Plänen des weiterschauenden, verantwortlichen, seemännischen Ver¬
treters und Begründers dieser Pläne aus Mangel an Fachkenntnis und Er¬
fahrung nicht werde folgen können. Daß er glaube, ein guter Schutz des
deutschen Seehandels und der Küstenlande sei am billigsten und besten in
Sicht der Ufer ausführbar, kann man heutzutage doch nicht mehr annehmen,
wenn auch eine frühere Zeitströmung die deutsche Seemacht zu einer bloßen
Küstenverteidigungsflotte Herabdrücken wollte, deren Wert für den Handel und
die Sicherung der deutschen Häfen heute und in Zukunft gleich Null wäre.
Ohne Hvchseeschlachtflotte und Kreuzer kann heute keine Seemacht mehr ihrem
Zweck genügen. Das haben die Freunde der Stärkung unsrer Seemacht schon
oft auch an Beispielen aus der Seekriegsgeschichte bewiesen.

Unsre Parteipresse geht teilweise in ihren Sonderbestrebungen so weit,
daß sie das Volk sogar warnt, sich eingehend mit so unwichtigen Sachen,
wie es die Entscheidung über die deutsche Seemachtgröße sei, zu beschäftigen.
Sie verlangt vom Volke, daß es die Frage über die Sicherung der Zukunft
seines Wohlstandes durch Stärkung der Seemacht ja nicht höher stelle als den
lieben Parteizank und Klasfenstreit, die Sorge um Schul-, Börsen- und
Vereinsgesetze, Militärstrafprozeßordnung und so manches andre. Wenn die
Auffassung der Pflichten eines Volkes gegen sich und seine Nachkommen die
Bezeichnung „selbstmörderisch" verdient, so ist es diese, denn ihre Vertreter in
der Presse raten dem Volke eines fast übervölkerten Staates an, erst nach Er¬
ledigung aller innern Scherereien seinen Blick auf die Außenwelt und sein
künftiges Gedeihen zu richten. Zugleich ruft man der um das Staatswohl
und die Zukunft besorgten Negierung zu, daß erst die Erfüllung der ver-
schiednen Parteiwünsche Aussicht gebe auf eine günstigere Behandlung der
Flottenfrage. Das ist doch wohl noch bedenklicher als die vom Admiral
Belknap an seinen amerikanischen Landsleuten getadelte Kurzsichtigkeit. Daß
bei dem heutigen Staude unsrer Eisen-, Stahl- und Schisfbauiudustrie alles
Geld, das für Vermehrung unsrer Kriegsschiffe ausgegeben wird, im Lande
bleibt, und daß neben der großen Unterstützung unsrer heimischen Industrie
bei dem hohen Anteil der Arbeitslöhne an den Kosten eines Kriegsschiffes eine
bedeutende Geldverschiebung zu Gunsten unsers Arbeiterstandes eintreten würde,
wird lange nicht genug gewürdigt. In England weiß jedermann, daß nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/118>, abgerufen am 26.06.2024.