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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Platens Tagebücher

Haltung, die den Oden- und Balladendichter auszeichnen, seine stolze Männ¬
lichkeit, die keinem Schmerz Gewalt über sich einräumt, die knappe Begrenzung
des Gefühlsausdrucks, das Übergewicht strenger Linien über die nur leise an¬
gedeuteten Farben in seinen größern Dichtungen sind in den Augen unsrer
Naturalisten und Symbolisten Eigenschaften, um die man kein Wort des Lobes
verliert. Der Mangel an Lebensfülle und heißer Leidenschaft, an weltfreudiger
Phantasie, die kühle, unsinnliche Kürze der Beschreibung, selbst wo sie der
Gegenstand zu fordern scheint, verstimmen die einen, die Seltenheit des tiefern
Zusammenklangs von Bild und Ton, die Stimmungskargheit, die nüchterne
Klarheit und schlichte Bestimmtheit verletzen die andern. Das Geschlecht
junger Lyriker, das in Stimmungen schwelgt und Stimmungen mit allen
Mitteln zu erwecken sucht, das ein Ideal von den Zauberwirkungen der seltnen
Augenblicke hat, wo die Glut der Seele, das Feuer der Einbildungskraft die
Sprache umschmelzen und ihr wunderbare Lichter und Funken entlocken, das
von der lyrischen Wirkung träumt, in der alles Duft, Farbe, Ton wird, dann
freilich mit den traurigsten Surrogaten für Glut und Licht, sür Duft und
Ton vorlieb nimmt, aber doch einen Instinkt dafür mitbringt, ob ein Dichter
diesen Idealen nachringt oder gleichgiltig gegen sie ist, erklärt sich mit großer
Leidenschaftlichkeit gegen Platen. Die allegoristische oder symbolistische Dichter¬
gruppe, die dem vermeintlichen Tiefsinn und anspruchsvollen Schwulst der
Gongora und Marini bis auf einen Hahnenschritt wieder nahe ist, die koloristische
Gruppe, die uach Bilderhäufungen trachtet, die im allgemeinen einen silbernen,
roten oder blauen Eindruck hinterlassen, die musikalischen Lyriker, die das
innerste Geheimnis der Stimmung im Ton suchen, und indem sie nach dem
Ton trachten, der "eines reingestimmten Busens innerste Musik enthüllt"
(Platen), es nur zu oft zu einem an Siegmund von Birken und ähnliche
Spielpoeten erinnernden Klingklang bringen, verwerfen den Dichter der "Ver¬
hängnisvollen Gabel" und der "Abbassiden" gänzlich, höchstens lassen sie ihn
noch für einen kalten Schönredner gelten, der die Formen der Poesie sich an¬
zueignen, aber sie nicht durch warmen Odem zu beleben gewußt habe.

Bei dieser Sachlage könnte es von besondrer Wichtigkeit sein, daß gerade
jetzt eine umfassende Biographie des hart umstrittnen Dichters in Aussicht
steht, die L. v. Scheffler in Arbeit hat, und die die seither immer noch halb
verdunkelte Gestalt des Dichters ins rechte Licht rücken soll. So viel Auf¬
merksamkeit das größere oder vielmehr das kleine gebildete Publikum, das an der
deutschen Litteratur und ihrer Entwicklung im tiefern Sinne noch Anteil nimmt,
für einen Dichter der zwanziger und ersten dreißiger Jahre übrig hat, würde der
abgeschlossenen, abschließenden Lebensgeschichte und Charakteristik nicht versagt
worden sein, wenn diese im Jahre 1896 oder auch später hervorgetreten wäre.
Nach der mehr und mehr herrschend werdenden Auffassung aber, daß die sämt¬
lichen Quellen einer biographischen Darstellung im Druck vorliegen müssen,


Platens Tagebücher

Haltung, die den Oden- und Balladendichter auszeichnen, seine stolze Männ¬
lichkeit, die keinem Schmerz Gewalt über sich einräumt, die knappe Begrenzung
des Gefühlsausdrucks, das Übergewicht strenger Linien über die nur leise an¬
gedeuteten Farben in seinen größern Dichtungen sind in den Augen unsrer
Naturalisten und Symbolisten Eigenschaften, um die man kein Wort des Lobes
verliert. Der Mangel an Lebensfülle und heißer Leidenschaft, an weltfreudiger
Phantasie, die kühle, unsinnliche Kürze der Beschreibung, selbst wo sie der
Gegenstand zu fordern scheint, verstimmen die einen, die Seltenheit des tiefern
Zusammenklangs von Bild und Ton, die Stimmungskargheit, die nüchterne
Klarheit und schlichte Bestimmtheit verletzen die andern. Das Geschlecht
junger Lyriker, das in Stimmungen schwelgt und Stimmungen mit allen
Mitteln zu erwecken sucht, das ein Ideal von den Zauberwirkungen der seltnen
Augenblicke hat, wo die Glut der Seele, das Feuer der Einbildungskraft die
Sprache umschmelzen und ihr wunderbare Lichter und Funken entlocken, das
von der lyrischen Wirkung träumt, in der alles Duft, Farbe, Ton wird, dann
freilich mit den traurigsten Surrogaten für Glut und Licht, sür Duft und
Ton vorlieb nimmt, aber doch einen Instinkt dafür mitbringt, ob ein Dichter
diesen Idealen nachringt oder gleichgiltig gegen sie ist, erklärt sich mit großer
Leidenschaftlichkeit gegen Platen. Die allegoristische oder symbolistische Dichter¬
gruppe, die dem vermeintlichen Tiefsinn und anspruchsvollen Schwulst der
Gongora und Marini bis auf einen Hahnenschritt wieder nahe ist, die koloristische
Gruppe, die uach Bilderhäufungen trachtet, die im allgemeinen einen silbernen,
roten oder blauen Eindruck hinterlassen, die musikalischen Lyriker, die das
innerste Geheimnis der Stimmung im Ton suchen, und indem sie nach dem
Ton trachten, der „eines reingestimmten Busens innerste Musik enthüllt"
(Platen), es nur zu oft zu einem an Siegmund von Birken und ähnliche
Spielpoeten erinnernden Klingklang bringen, verwerfen den Dichter der „Ver¬
hängnisvollen Gabel" und der „Abbassiden" gänzlich, höchstens lassen sie ihn
noch für einen kalten Schönredner gelten, der die Formen der Poesie sich an¬
zueignen, aber sie nicht durch warmen Odem zu beleben gewußt habe.

Bei dieser Sachlage könnte es von besondrer Wichtigkeit sein, daß gerade
jetzt eine umfassende Biographie des hart umstrittnen Dichters in Aussicht
steht, die L. v. Scheffler in Arbeit hat, und die die seither immer noch halb
verdunkelte Gestalt des Dichters ins rechte Licht rücken soll. So viel Auf¬
merksamkeit das größere oder vielmehr das kleine gebildete Publikum, das an der
deutschen Litteratur und ihrer Entwicklung im tiefern Sinne noch Anteil nimmt,
für einen Dichter der zwanziger und ersten dreißiger Jahre übrig hat, würde der
abgeschlossenen, abschließenden Lebensgeschichte und Charakteristik nicht versagt
worden sein, wenn diese im Jahre 1896 oder auch später hervorgetreten wäre.
Nach der mehr und mehr herrschend werdenden Auffassung aber, daß die sämt¬
lichen Quellen einer biographischen Darstellung im Druck vorliegen müssen,


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[0080] Platens Tagebücher Haltung, die den Oden- und Balladendichter auszeichnen, seine stolze Männ¬ lichkeit, die keinem Schmerz Gewalt über sich einräumt, die knappe Begrenzung des Gefühlsausdrucks, das Übergewicht strenger Linien über die nur leise an¬ gedeuteten Farben in seinen größern Dichtungen sind in den Augen unsrer Naturalisten und Symbolisten Eigenschaften, um die man kein Wort des Lobes verliert. Der Mangel an Lebensfülle und heißer Leidenschaft, an weltfreudiger Phantasie, die kühle, unsinnliche Kürze der Beschreibung, selbst wo sie der Gegenstand zu fordern scheint, verstimmen die einen, die Seltenheit des tiefern Zusammenklangs von Bild und Ton, die Stimmungskargheit, die nüchterne Klarheit und schlichte Bestimmtheit verletzen die andern. Das Geschlecht junger Lyriker, das in Stimmungen schwelgt und Stimmungen mit allen Mitteln zu erwecken sucht, das ein Ideal von den Zauberwirkungen der seltnen Augenblicke hat, wo die Glut der Seele, das Feuer der Einbildungskraft die Sprache umschmelzen und ihr wunderbare Lichter und Funken entlocken, das von der lyrischen Wirkung träumt, in der alles Duft, Farbe, Ton wird, dann freilich mit den traurigsten Surrogaten für Glut und Licht, sür Duft und Ton vorlieb nimmt, aber doch einen Instinkt dafür mitbringt, ob ein Dichter diesen Idealen nachringt oder gleichgiltig gegen sie ist, erklärt sich mit großer Leidenschaftlichkeit gegen Platen. Die allegoristische oder symbolistische Dichter¬ gruppe, die dem vermeintlichen Tiefsinn und anspruchsvollen Schwulst der Gongora und Marini bis auf einen Hahnenschritt wieder nahe ist, die koloristische Gruppe, die uach Bilderhäufungen trachtet, die im allgemeinen einen silbernen, roten oder blauen Eindruck hinterlassen, die musikalischen Lyriker, die das innerste Geheimnis der Stimmung im Ton suchen, und indem sie nach dem Ton trachten, der „eines reingestimmten Busens innerste Musik enthüllt" (Platen), es nur zu oft zu einem an Siegmund von Birken und ähnliche Spielpoeten erinnernden Klingklang bringen, verwerfen den Dichter der „Ver¬ hängnisvollen Gabel" und der „Abbassiden" gänzlich, höchstens lassen sie ihn noch für einen kalten Schönredner gelten, der die Formen der Poesie sich an¬ zueignen, aber sie nicht durch warmen Odem zu beleben gewußt habe. Bei dieser Sachlage könnte es von besondrer Wichtigkeit sein, daß gerade jetzt eine umfassende Biographie des hart umstrittnen Dichters in Aussicht steht, die L. v. Scheffler in Arbeit hat, und die die seither immer noch halb verdunkelte Gestalt des Dichters ins rechte Licht rücken soll. So viel Auf¬ merksamkeit das größere oder vielmehr das kleine gebildete Publikum, das an der deutschen Litteratur und ihrer Entwicklung im tiefern Sinne noch Anteil nimmt, für einen Dichter der zwanziger und ersten dreißiger Jahre übrig hat, würde der abgeschlossenen, abschließenden Lebensgeschichte und Charakteristik nicht versagt worden sein, wenn diese im Jahre 1896 oder auch später hervorgetreten wäre. Nach der mehr und mehr herrschend werdenden Auffassung aber, daß die sämt¬ lichen Quellen einer biographischen Darstellung im Druck vorliegen müssen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/80>, abgerufen am 28.12.2024.