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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

Anhöhe hinaufzaubern; was einmal steht, mag auch ferner benutzt werden.
Aber Neubauten sollten nur da errichtet werden dürfen, wo sie zugleich un¬
gefährdet sind. Hier müßte der Staat eingreifen, er müßte für das Gebirge
eine besondre Bauordnung vorschreiben und neue, höher gelegnere Landstraßen
bauen. Unsre Landstraßen und vor allem unsre Chausseen im Gebirge liegen zu
tief. Ist nicht die Chaussee von Liebau nach Schmiedeberg an den Stellen,
wo sie nach dem ersten Hochwasser in diesem Sommer mit vielen Mühen und
Kosten durch dreißig Pioniere ausgebessert oder neu gebaut worden war, bald
darnach bei einem zweiten Gewitterregen wieder weggerissen worden? Legen
wir die Chausseen hoher, so erwecken wir damit auch im Landmann den Wunsch
wieder, wenn sein altes Haus baufällig geworden ist, sich an der neuen Straße
anzubauen, und dem Verbote, Neubauten an tief gelegnen Stellen zu errichten,
würde dann schon von selbst Folge gegeben werden, ohne daß es eines Zwanges
bedürfte. In manchen Fällen würden sich vielleicht Härten nicht vermeiden
lassen, z. B. wenn das Wirtschaftsgebäude noch gut erhalten ist, während das
Wohnhaus neu gebaut werden muß. Aber in solchen Fällen könnten ja die
Landleute bei den Umbauten von der Negierung durch Geldmittel unterstützt
werden.

Nun, es wird noch viel Wasser vom Berge fließen, und es werden noch
manche Geschlechter kommen und gehen, ehe die Ortschaften im Gebirge etwas
hinaufgerückt und vor Wassersnot geschützt sein werden. Aber auch für die
Zwischenzeit kann und muß gesorgt werden, etwas mehr als bisher können
wir uns auch mit unsern gewöhnlichen Mitteln wappnen. Wer ein Haus an
gefährdeter Stelle stehen hat, der sorge dafür, daß es fest gebaut sei und recht¬
zeitig ausgebessert werde, und daß Ausbesserungen gut und dauerhaft aus¬
geführt werden. Im schlesischen Gebirge wird aber im allgemeinen schlecht
gebant. In dem kleinen Städtchen, wo der Verfasser dieses Aufsatzes wohnt,
ist es gar nichts so seltenes, daß sich in den Wohnstuben plötzlich die Decken
zu senken beginnen, weil die Balken an beiden Enden durchgefault sind, der
Dachstuhl ist bei den meisten Häusern aus ganz schwachen Balken zusammen¬
gefügt, und überall regnet es herein. Ja ein Schlossermeister mußte schon nach
drei Jahren das Dach seiner neu gebauten Werkstätte wegen ungenügender
Ventilation vollständig erneuern lassen. Es handelt sich ja hier nur um ein
von armen Handwebern bewohntes Landstädtchen, wo die Erwerbsverhältnisse
seit Jahrzehnten nicht besonders günstig sind, wo infolge dessen sehr geringe
Mieter gezahlt werden, und die Hauswirte an allen Ecken und Enden zu
sparen genötigt sind. Aber viel besser liegen die Erwerbsverhältnisse im ganzen
Gebirge nicht, viel besser als hier wird auch anderwärts nicht gebaut, überall
bleiben die Hänser ohne Ausbesserung, so lange es nur irgend geht. Die
Mauern siud oft von Feuchtigkeit durchzogen, der schlechte Putz ist in großen
Flächen von den Außenwänden abgefallen, überall sieht man windschiefe und


Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

Anhöhe hinaufzaubern; was einmal steht, mag auch ferner benutzt werden.
Aber Neubauten sollten nur da errichtet werden dürfen, wo sie zugleich un¬
gefährdet sind. Hier müßte der Staat eingreifen, er müßte für das Gebirge
eine besondre Bauordnung vorschreiben und neue, höher gelegnere Landstraßen
bauen. Unsre Landstraßen und vor allem unsre Chausseen im Gebirge liegen zu
tief. Ist nicht die Chaussee von Liebau nach Schmiedeberg an den Stellen,
wo sie nach dem ersten Hochwasser in diesem Sommer mit vielen Mühen und
Kosten durch dreißig Pioniere ausgebessert oder neu gebaut worden war, bald
darnach bei einem zweiten Gewitterregen wieder weggerissen worden? Legen
wir die Chausseen hoher, so erwecken wir damit auch im Landmann den Wunsch
wieder, wenn sein altes Haus baufällig geworden ist, sich an der neuen Straße
anzubauen, und dem Verbote, Neubauten an tief gelegnen Stellen zu errichten,
würde dann schon von selbst Folge gegeben werden, ohne daß es eines Zwanges
bedürfte. In manchen Fällen würden sich vielleicht Härten nicht vermeiden
lassen, z. B. wenn das Wirtschaftsgebäude noch gut erhalten ist, während das
Wohnhaus neu gebaut werden muß. Aber in solchen Fällen könnten ja die
Landleute bei den Umbauten von der Negierung durch Geldmittel unterstützt
werden.

Nun, es wird noch viel Wasser vom Berge fließen, und es werden noch
manche Geschlechter kommen und gehen, ehe die Ortschaften im Gebirge etwas
hinaufgerückt und vor Wassersnot geschützt sein werden. Aber auch für die
Zwischenzeit kann und muß gesorgt werden, etwas mehr als bisher können
wir uns auch mit unsern gewöhnlichen Mitteln wappnen. Wer ein Haus an
gefährdeter Stelle stehen hat, der sorge dafür, daß es fest gebaut sei und recht¬
zeitig ausgebessert werde, und daß Ausbesserungen gut und dauerhaft aus¬
geführt werden. Im schlesischen Gebirge wird aber im allgemeinen schlecht
gebant. In dem kleinen Städtchen, wo der Verfasser dieses Aufsatzes wohnt,
ist es gar nichts so seltenes, daß sich in den Wohnstuben plötzlich die Decken
zu senken beginnen, weil die Balken an beiden Enden durchgefault sind, der
Dachstuhl ist bei den meisten Häusern aus ganz schwachen Balken zusammen¬
gefügt, und überall regnet es herein. Ja ein Schlossermeister mußte schon nach
drei Jahren das Dach seiner neu gebauten Werkstätte wegen ungenügender
Ventilation vollständig erneuern lassen. Es handelt sich ja hier nur um ein
von armen Handwebern bewohntes Landstädtchen, wo die Erwerbsverhältnisse
seit Jahrzehnten nicht besonders günstig sind, wo infolge dessen sehr geringe
Mieter gezahlt werden, und die Hauswirte an allen Ecken und Enden zu
sparen genötigt sind. Aber viel besser liegen die Erwerbsverhältnisse im ganzen
Gebirge nicht, viel besser als hier wird auch anderwärts nicht gebaut, überall
bleiben die Hänser ohne Ausbesserung, so lange es nur irgend geht. Die
Mauern siud oft von Feuchtigkeit durchzogen, der schlechte Putz ist in großen
Flächen von den Außenwänden abgefallen, überall sieht man windschiefe und


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[0611] Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung Anhöhe hinaufzaubern; was einmal steht, mag auch ferner benutzt werden. Aber Neubauten sollten nur da errichtet werden dürfen, wo sie zugleich un¬ gefährdet sind. Hier müßte der Staat eingreifen, er müßte für das Gebirge eine besondre Bauordnung vorschreiben und neue, höher gelegnere Landstraßen bauen. Unsre Landstraßen und vor allem unsre Chausseen im Gebirge liegen zu tief. Ist nicht die Chaussee von Liebau nach Schmiedeberg an den Stellen, wo sie nach dem ersten Hochwasser in diesem Sommer mit vielen Mühen und Kosten durch dreißig Pioniere ausgebessert oder neu gebaut worden war, bald darnach bei einem zweiten Gewitterregen wieder weggerissen worden? Legen wir die Chausseen hoher, so erwecken wir damit auch im Landmann den Wunsch wieder, wenn sein altes Haus baufällig geworden ist, sich an der neuen Straße anzubauen, und dem Verbote, Neubauten an tief gelegnen Stellen zu errichten, würde dann schon von selbst Folge gegeben werden, ohne daß es eines Zwanges bedürfte. In manchen Fällen würden sich vielleicht Härten nicht vermeiden lassen, z. B. wenn das Wirtschaftsgebäude noch gut erhalten ist, während das Wohnhaus neu gebaut werden muß. Aber in solchen Fällen könnten ja die Landleute bei den Umbauten von der Negierung durch Geldmittel unterstützt werden. Nun, es wird noch viel Wasser vom Berge fließen, und es werden noch manche Geschlechter kommen und gehen, ehe die Ortschaften im Gebirge etwas hinaufgerückt und vor Wassersnot geschützt sein werden. Aber auch für die Zwischenzeit kann und muß gesorgt werden, etwas mehr als bisher können wir uns auch mit unsern gewöhnlichen Mitteln wappnen. Wer ein Haus an gefährdeter Stelle stehen hat, der sorge dafür, daß es fest gebaut sei und recht¬ zeitig ausgebessert werde, und daß Ausbesserungen gut und dauerhaft aus¬ geführt werden. Im schlesischen Gebirge wird aber im allgemeinen schlecht gebant. In dem kleinen Städtchen, wo der Verfasser dieses Aufsatzes wohnt, ist es gar nichts so seltenes, daß sich in den Wohnstuben plötzlich die Decken zu senken beginnen, weil die Balken an beiden Enden durchgefault sind, der Dachstuhl ist bei den meisten Häusern aus ganz schwachen Balken zusammen¬ gefügt, und überall regnet es herein. Ja ein Schlossermeister mußte schon nach drei Jahren das Dach seiner neu gebauten Werkstätte wegen ungenügender Ventilation vollständig erneuern lassen. Es handelt sich ja hier nur um ein von armen Handwebern bewohntes Landstädtchen, wo die Erwerbsverhältnisse seit Jahrzehnten nicht besonders günstig sind, wo infolge dessen sehr geringe Mieter gezahlt werden, und die Hauswirte an allen Ecken und Enden zu sparen genötigt sind. Aber viel besser liegen die Erwerbsverhältnisse im ganzen Gebirge nicht, viel besser als hier wird auch anderwärts nicht gebaut, überall bleiben die Hänser ohne Ausbesserung, so lange es nur irgend geht. Die Mauern siud oft von Feuchtigkeit durchzogen, der schlechte Putz ist in großen Flächen von den Außenwänden abgefallen, überall sieht man windschiefe und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/611>, abgerufen am 29.12.2024.