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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

höher gelegnen Vertiefungen in die tiefern einen Abzug findet. Noch weniger
ist aber der Boden, der der Kultur unterworfen wird, imstande, das Wasser
bei sich zurückzuhalten. Einen Boden, der bisher brach gelegen hat, kultiviren,
heißt in sehr vielen, wenn nicht in den meisten Fällen, wenigstens im Gebirge,
ihn entwässern. Der Boden ist zu naß, es wird also für künstlichen Abfluß
des Wassers, für Entwässerung gesorgt. Durch die Bestellung des Landes
werden auch die frühern Unebenheiten, die Erhöhungen und Vertiefungen be¬
seitigt, größere Vertiefungen schüttet der Landmann wohl selbst zu, für Aus¬
gleichung der kleinern Unebenheiten sorgt der Pflug. So haben wir es bei
dem bebauten Lande mit einer gleichmäßigen Fläche zu thun, die zum Teil
von geraden Furchen, immer aber von Abzugskanülen durchzogen ist. Es ist
klar, daß über solche Ackerflächen und Wiesen, also über Kulturland, das
Wasser einen viel schnellern Abflns; findet, umso mehr als auch die Flußlüufe
selbst, um den Abfluß noch zu beschleunigen, gerade gelegt und gesäubert
werden. Sind nun einmal an einem Tage die Niederschläge weit über das
gewohnte Maß hinausgegangen, betrugen sie z. B., wie an dem Unglückstage
im Juli dieses Jahres auf der Schneekoppe 239 Millimeter, in Schmiedeberg
187 Millimeter, in Schreibersau 126 Millimeter, in Warmbrunn 118 Milli¬
meter, d. h. waren die Wasserschichten, die an den betreffenden Orten als
Regen gefallen waren, 239, 187, 126 und 118 Millimeter hoch, so wäre die
Gefahr, die sie für die Nachbarschaft boten, viel geringer gewesen, wenn ein
Teil von ihnen dort, wo sie zur Erde niedergegangen waren, zurückgehalten
worden wäre, wie es der Fall gewesen sein würde, wenn unsre Gebirgsgegenden
noch aus Urwald und Ödländereien bestünden. Heute, wo fast alles Land
angebaut ist, wo auf den Kämmen des Niesengebirgs große Strecken, die ehe¬
dem mit Kniehvlzgestrüvp bedeckt waren, in Weideplätze umgewandelt sind und
auch die Waldungen an den Abhängen der Gebirge forstmännisch bewirtschaftet
werden, stürzen die Wasser mit riesiger Gewalt von den Berghängen herunter
in die Thäler und aus diesen weiter in die Ebnen und reißen alles mit sich
fort, was ihnen entgegensteht.

Der angerichtete Schaden muß aber um so größer werden, als sich das
Bett unsrer Ströme und Bäche mit den Jahren immer mehr gehoben hat,
also nnr eine geringere Wassermenge zu fassen vermag als früher. Die Ur¬
sache ist die, daß alle Flüsse eine Menge Sand, im Gebirge bei Hochwasser
anch Steine und Geröll mit sich führen. Der Saud stickt dann an den
Mündungen und anch schon früher zwischen den Niederungen, wo die Strö¬
mung nachgelassen hat, zu Boden. Der dadurch entstehenden Verfluchung des
Fahrwassers sucht man entgegenzuarbeiten durch Baggerungeu, auch durch
Dämme, die in den Fluß hineingebaut werden und ihn durch Vergrößerung
der Strömung zwingen sollen, den Sand wieder selbstthätig weiterzuführen und
sein Bett zu vertiefen. Und im Gebirge räumt man wohl zeitweise anch die


Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

höher gelegnen Vertiefungen in die tiefern einen Abzug findet. Noch weniger
ist aber der Boden, der der Kultur unterworfen wird, imstande, das Wasser
bei sich zurückzuhalten. Einen Boden, der bisher brach gelegen hat, kultiviren,
heißt in sehr vielen, wenn nicht in den meisten Fällen, wenigstens im Gebirge,
ihn entwässern. Der Boden ist zu naß, es wird also für künstlichen Abfluß
des Wassers, für Entwässerung gesorgt. Durch die Bestellung des Landes
werden auch die frühern Unebenheiten, die Erhöhungen und Vertiefungen be¬
seitigt, größere Vertiefungen schüttet der Landmann wohl selbst zu, für Aus¬
gleichung der kleinern Unebenheiten sorgt der Pflug. So haben wir es bei
dem bebauten Lande mit einer gleichmäßigen Fläche zu thun, die zum Teil
von geraden Furchen, immer aber von Abzugskanülen durchzogen ist. Es ist
klar, daß über solche Ackerflächen und Wiesen, also über Kulturland, das
Wasser einen viel schnellern Abflns; findet, umso mehr als auch die Flußlüufe
selbst, um den Abfluß noch zu beschleunigen, gerade gelegt und gesäubert
werden. Sind nun einmal an einem Tage die Niederschläge weit über das
gewohnte Maß hinausgegangen, betrugen sie z. B., wie an dem Unglückstage
im Juli dieses Jahres auf der Schneekoppe 239 Millimeter, in Schmiedeberg
187 Millimeter, in Schreibersau 126 Millimeter, in Warmbrunn 118 Milli¬
meter, d. h. waren die Wasserschichten, die an den betreffenden Orten als
Regen gefallen waren, 239, 187, 126 und 118 Millimeter hoch, so wäre die
Gefahr, die sie für die Nachbarschaft boten, viel geringer gewesen, wenn ein
Teil von ihnen dort, wo sie zur Erde niedergegangen waren, zurückgehalten
worden wäre, wie es der Fall gewesen sein würde, wenn unsre Gebirgsgegenden
noch aus Urwald und Ödländereien bestünden. Heute, wo fast alles Land
angebaut ist, wo auf den Kämmen des Niesengebirgs große Strecken, die ehe¬
dem mit Kniehvlzgestrüvp bedeckt waren, in Weideplätze umgewandelt sind und
auch die Waldungen an den Abhängen der Gebirge forstmännisch bewirtschaftet
werden, stürzen die Wasser mit riesiger Gewalt von den Berghängen herunter
in die Thäler und aus diesen weiter in die Ebnen und reißen alles mit sich
fort, was ihnen entgegensteht.

Der angerichtete Schaden muß aber um so größer werden, als sich das
Bett unsrer Ströme und Bäche mit den Jahren immer mehr gehoben hat,
also nnr eine geringere Wassermenge zu fassen vermag als früher. Die Ur¬
sache ist die, daß alle Flüsse eine Menge Sand, im Gebirge bei Hochwasser
anch Steine und Geröll mit sich führen. Der Saud stickt dann an den
Mündungen und anch schon früher zwischen den Niederungen, wo die Strö¬
mung nachgelassen hat, zu Boden. Der dadurch entstehenden Verfluchung des
Fahrwassers sucht man entgegenzuarbeiten durch Baggerungeu, auch durch
Dämme, die in den Fluß hineingebaut werden und ihn durch Vergrößerung
der Strömung zwingen sollen, den Sand wieder selbstthätig weiterzuführen und
sein Bett zu vertiefen. Und im Gebirge räumt man wohl zeitweise anch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/606>, abgerufen am 29.12.2024.