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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

sammelt zur Linderung der Not, und wenn nicht allen geholfen, wenn nicht
für allen Schaden, den das Wasser angerichtet hat, Ersatz geleistet werden
kann, so werden doch die Hungernden genährt, die Durstigen gekleidet werden,
es wird der Bauer, der die Ernte verloren hat, in den Stand gesetzt werden,
im nächsten Frühjahr sein Feld wieder zu bestellen, lind der, der obdachlos
geworden ist, wird mit einiger Unterstützung wieder an die Errichtung eines
eignen Hauses gehen können.

Aber mit der Hilfe nach dem Unglück allein ist es nicht gethan. Wie
sich die Menschheit heutzutage nicht mehr damit begnügt, Krankheiten, von
denen sie befallen wird, zu heilen, wie sie den Körper durch GesuudheitS-
maßregeln so widerstandsfähig zu machen bestrebt ist, daß es gar nicht erst
zum Ausbruch der Krankheit kommt, so ist es auch Aufgabe des Staates und
unser aller, Unglücksfälle, die sich ucich unsern Erfahrungen in gewissen Zeit¬
räumen wiederholen, zu verhüten oder doch in ihren verderbenden Wirkungen
"ach Möglichkeit abzuschwächen. Und die schadenbringenden Überschwemmungen,
namentlich in den Gebirgen, kehren immer wieder. Es vergehen kaum einige
Jahre, ohne daß wir von neuem von einer Überschwemmung höre". Sie sind
nicht immer in der gleichen Weise verheerend und furchtbar, aber Wohnhäuser
siud ihnen immer zum Opfer gefallen, immer haben so und so viel Wirtschaften,
in den Städten ganze Straßen nnter Wasser gestanden, immer ist Vieh er¬
trunken, sind Äcker versandet, Feldfrüchte verdorben. Und wenn auch die
Schäden dieser kleinern Überschwemmungen überstanden werden und seit
Menschengedenken an das diesjährige Hochwasser keines der frühern heran¬
reicht, so haben wir doch allein in Schlesien seit Beginn unsers Jahrhunderts
vier größere Überschwemmungen gehabt, die mit der in diesem Sommer zu
vergleiche" siud, in den Jahren 1804. 1858, 1330 und 1888. Wir müssen
also selbst mit den großen Überschwemmungen als mit regelmäßig wieder¬
kehrenden Erscheinungen rechnen, und es kommt hinzu, daß sie in der letzten
Zeit immer häufiger wiedergekehrt und auch, wie man beobachtet hat, immer
verheerender aufgetreten sind.

Die Ursache liegt vor allem in der immer weiter um sich greifenden Ab-
hvlzuug unser Wälder, der immer weiter fortschreitenden Urbarmachung früher
brach liegender Ländereien, dann aber auch in der zunehmenden Verflachung
unsrer Flußbetten. Sehen wir zu, wie das zu erklären ist.

Die Wälder, besonders die im Gebirge, entziehen der Luft einen Teil der
in ihr enthaltnen Feuchtigkeit, und diese wird als Wassertropfen an den
Blättern und Nadeln der Bäume abgesetzt. Sodann aber ist es, weil die Souueu-
strcchleu von den Baumkronen aufgefangen werde", im Walde auch in der
Regel kühler als im Freien, und infolge dessen geht wieder die Verdampfung
des Wassers im Walde langsamer vor sich. Beides wirkt zusammen, um allzu
große Verdichtungen der Wolkenmassen und allzu plötzliche und gewaltige Ent-


Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

sammelt zur Linderung der Not, und wenn nicht allen geholfen, wenn nicht
für allen Schaden, den das Wasser angerichtet hat, Ersatz geleistet werden
kann, so werden doch die Hungernden genährt, die Durstigen gekleidet werden,
es wird der Bauer, der die Ernte verloren hat, in den Stand gesetzt werden,
im nächsten Frühjahr sein Feld wieder zu bestellen, lind der, der obdachlos
geworden ist, wird mit einiger Unterstützung wieder an die Errichtung eines
eignen Hauses gehen können.

Aber mit der Hilfe nach dem Unglück allein ist es nicht gethan. Wie
sich die Menschheit heutzutage nicht mehr damit begnügt, Krankheiten, von
denen sie befallen wird, zu heilen, wie sie den Körper durch GesuudheitS-
maßregeln so widerstandsfähig zu machen bestrebt ist, daß es gar nicht erst
zum Ausbruch der Krankheit kommt, so ist es auch Aufgabe des Staates und
unser aller, Unglücksfälle, die sich ucich unsern Erfahrungen in gewissen Zeit¬
räumen wiederholen, zu verhüten oder doch in ihren verderbenden Wirkungen
»ach Möglichkeit abzuschwächen. Und die schadenbringenden Überschwemmungen,
namentlich in den Gebirgen, kehren immer wieder. Es vergehen kaum einige
Jahre, ohne daß wir von neuem von einer Überschwemmung höre». Sie sind
nicht immer in der gleichen Weise verheerend und furchtbar, aber Wohnhäuser
siud ihnen immer zum Opfer gefallen, immer haben so und so viel Wirtschaften,
in den Städten ganze Straßen nnter Wasser gestanden, immer ist Vieh er¬
trunken, sind Äcker versandet, Feldfrüchte verdorben. Und wenn auch die
Schäden dieser kleinern Überschwemmungen überstanden werden und seit
Menschengedenken an das diesjährige Hochwasser keines der frühern heran¬
reicht, so haben wir doch allein in Schlesien seit Beginn unsers Jahrhunderts
vier größere Überschwemmungen gehabt, die mit der in diesem Sommer zu
vergleiche« siud, in den Jahren 1804. 1858, 1330 und 1888. Wir müssen
also selbst mit den großen Überschwemmungen als mit regelmäßig wieder¬
kehrenden Erscheinungen rechnen, und es kommt hinzu, daß sie in der letzten
Zeit immer häufiger wiedergekehrt und auch, wie man beobachtet hat, immer
verheerender aufgetreten sind.

Die Ursache liegt vor allem in der immer weiter um sich greifenden Ab-
hvlzuug unser Wälder, der immer weiter fortschreitenden Urbarmachung früher
brach liegender Ländereien, dann aber auch in der zunehmenden Verflachung
unsrer Flußbetten. Sehen wir zu, wie das zu erklären ist.

Die Wälder, besonders die im Gebirge, entziehen der Luft einen Teil der
in ihr enthaltnen Feuchtigkeit, und diese wird als Wassertropfen an den
Blättern und Nadeln der Bäume abgesetzt. Sodann aber ist es, weil die Souueu-
strcchleu von den Baumkronen aufgefangen werde», im Walde auch in der
Regel kühler als im Freien, und infolge dessen geht wieder die Verdampfung
des Wassers im Walde langsamer vor sich. Beides wirkt zusammen, um allzu
große Verdichtungen der Wolkenmassen und allzu plötzliche und gewaltige Ent-


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[0604] Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung sammelt zur Linderung der Not, und wenn nicht allen geholfen, wenn nicht für allen Schaden, den das Wasser angerichtet hat, Ersatz geleistet werden kann, so werden doch die Hungernden genährt, die Durstigen gekleidet werden, es wird der Bauer, der die Ernte verloren hat, in den Stand gesetzt werden, im nächsten Frühjahr sein Feld wieder zu bestellen, lind der, der obdachlos geworden ist, wird mit einiger Unterstützung wieder an die Errichtung eines eignen Hauses gehen können. Aber mit der Hilfe nach dem Unglück allein ist es nicht gethan. Wie sich die Menschheit heutzutage nicht mehr damit begnügt, Krankheiten, von denen sie befallen wird, zu heilen, wie sie den Körper durch GesuudheitS- maßregeln so widerstandsfähig zu machen bestrebt ist, daß es gar nicht erst zum Ausbruch der Krankheit kommt, so ist es auch Aufgabe des Staates und unser aller, Unglücksfälle, die sich ucich unsern Erfahrungen in gewissen Zeit¬ räumen wiederholen, zu verhüten oder doch in ihren verderbenden Wirkungen »ach Möglichkeit abzuschwächen. Und die schadenbringenden Überschwemmungen, namentlich in den Gebirgen, kehren immer wieder. Es vergehen kaum einige Jahre, ohne daß wir von neuem von einer Überschwemmung höre». Sie sind nicht immer in der gleichen Weise verheerend und furchtbar, aber Wohnhäuser siud ihnen immer zum Opfer gefallen, immer haben so und so viel Wirtschaften, in den Städten ganze Straßen nnter Wasser gestanden, immer ist Vieh er¬ trunken, sind Äcker versandet, Feldfrüchte verdorben. Und wenn auch die Schäden dieser kleinern Überschwemmungen überstanden werden und seit Menschengedenken an das diesjährige Hochwasser keines der frühern heran¬ reicht, so haben wir doch allein in Schlesien seit Beginn unsers Jahrhunderts vier größere Überschwemmungen gehabt, die mit der in diesem Sommer zu vergleiche« siud, in den Jahren 1804. 1858, 1330 und 1888. Wir müssen also selbst mit den großen Überschwemmungen als mit regelmäßig wieder¬ kehrenden Erscheinungen rechnen, und es kommt hinzu, daß sie in der letzten Zeit immer häufiger wiedergekehrt und auch, wie man beobachtet hat, immer verheerender aufgetreten sind. Die Ursache liegt vor allem in der immer weiter um sich greifenden Ab- hvlzuug unser Wälder, der immer weiter fortschreitenden Urbarmachung früher brach liegender Ländereien, dann aber auch in der zunehmenden Verflachung unsrer Flußbetten. Sehen wir zu, wie das zu erklären ist. Die Wälder, besonders die im Gebirge, entziehen der Luft einen Teil der in ihr enthaltnen Feuchtigkeit, und diese wird als Wassertropfen an den Blättern und Nadeln der Bäume abgesetzt. Sodann aber ist es, weil die Souueu- strcchleu von den Baumkronen aufgefangen werde», im Walde auch in der Regel kühler als im Freien, und infolge dessen geht wieder die Verdampfung des Wassers im Walde langsamer vor sich. Beides wirkt zusammen, um allzu große Verdichtungen der Wolkenmassen und allzu plötzliche und gewaltige Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/604>, abgerufen am 24.07.2024.