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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

gehört dem politisch-historischen Gebiet ein: Die Grundlagen der englischen Freiheit,
eine Jugendarbeit eins dem Jcihre 1858, die schon den ganzen Mann zeigt, das
Selfgovernment mit besondrer Beziehung ans Preußen, Kanzleistil aus den Napo¬
leonischen Tagen (Huldignngsbriefe deutscher Fürsten an Napoleon I>), Zur Geschichte
der sächsischen Politik 1806, Aus deu Zeiten der Dcmagogenverfolgnng, endlich
die letzte größere Arbeit, ein Probestück von dem, was der sechste Band der
Deutschen Geschichte geworden sein würde: Das Gefecht von Eckernförde. Eine
dritte Gruppe bilden rein politische Artikel, bestimmt, aus der Gegenwart auf die
Gegenwart zu wirken, so zwei Korrespondenzen aus Süddeutschland München)
vom Jahre 1861, die gerade heute, wo sich wieder unerfreuliche und thörichte Ver¬
stimmungen und Vorurteile hervorwagen, sehr beherzigenswert sind, die Zustande
des Königreichs Sachsen unter dem Beustscheu Regiment (1862), die mit den heutigen
glücklicherweise keine Ähnlichkeit mehr haben, und Noch eine Scholle welfischer Erde
(Braunschweig, 1874). Endlich wird, was höchst dankenswert ist, eine Reihe von
kurzen Ansprachen und längern Reden an großen historischen Gedenktagen mitgeteilt:
Luther und die deutsche Nation, Zur Vorfeier des siebzigsten Geburtstages des Fürsten
Vismarck, Beim Tode Kaiser Friedrichs, Moltke und das deutsche Heer, Gustav
Adolf und Deutschlands Freiheit. Alle sind ausgezeichnet durch freie, unbefangne
Ausfassung der Dinge, die markige Charakteristik und den Schwung der Sprache.
Wie lächerlich erscheint gerade ihnen gegenüber der immer wieder gern wiederholte
Vorwurf, Treitschke sei kein "echter" Historiker gewesen, weil ihm die "Objek¬
tivität" gefehlt habe! Von diesem Gesichtspunkte aus verdienen freilich anch
Männer wie Ludwig Hausier, Heinrich von Sybel, Theodor Mommsen und vor
allem ein gewisser Tacitus diese Bezeichnung nicht, denn anch in ihren Werken
kommt eine kraftvolle Subjektivität zur Erscheinung, sie hassen und lieben mit ihren
Menschen, und ebeu die Persönlichkeit macht, wie den großen Schriftsteller überhaupt,
so auch den großen Historiker. Dazu hat sich Treitschke ebenso offen bekannt, wie zu
dem andern Kernsatze, daß die Aufgabe aller Geschichtschreibung stets gewesen sei und
heute noch sei, "unserm Geschlechte ein denkendes Bewußtsein seines Werdens zu
erwecken," daß sie also, da sich dies Werden in der Welt der sittlichen Freiheit
vollziehe, und die Völker nur in politischen Ordnungen, in Staaten zu wollenden
Persönlichkeiten werden, die Thaten der Staaten und ihrer führenden Männer in den
Vordergrund zu stelle" habe, daß sie aber, da der Staat mir in der Wechselwirkung
mit dem gesamten Volksleben begriffen werden könne, much die Mannichfaltigkeit
des Kulturlebens schildern müsse (Die Aufgabe des Geschichtschreibers. Vorbe¬
merkung bei Übernahme der Redaktion der Historischen Zeitschrift 10. Oktober 1805).
Wer dies Sachverhältnis umkehren und die politische Geschichte in deu Hintergrund
schieben, die historische Bewegung nur aus unpersönlichen "Strömungen" und der¬
gleichen erklären will, der ist, er mag es sich und andern zugestehen oder nicht, im
tiefsten Grnnde Marxist und Materialist. Möge das Vorbild Treitschkes, deu freilich
diese neuerdings so anspruchsvoll auftretende Richtung überhaupt nicht verstehen kann,
mit dazu beitragen, die alte, aber darum wahrlich nicht veraltete politisch-idealistische
Richtung unsrer deutschen Geschichtschreibung siegreich zu behaupten!






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Mnrqucirt in Leipzig
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gehört dem politisch-historischen Gebiet ein: Die Grundlagen der englischen Freiheit,
eine Jugendarbeit eins dem Jcihre 1858, die schon den ganzen Mann zeigt, das
Selfgovernment mit besondrer Beziehung ans Preußen, Kanzleistil aus den Napo¬
leonischen Tagen (Huldignngsbriefe deutscher Fürsten an Napoleon I>), Zur Geschichte
der sächsischen Politik 1806, Aus deu Zeiten der Dcmagogenverfolgnng, endlich
die letzte größere Arbeit, ein Probestück von dem, was der sechste Band der
Deutschen Geschichte geworden sein würde: Das Gefecht von Eckernförde. Eine
dritte Gruppe bilden rein politische Artikel, bestimmt, aus der Gegenwart auf die
Gegenwart zu wirken, so zwei Korrespondenzen aus Süddeutschland München)
vom Jahre 1861, die gerade heute, wo sich wieder unerfreuliche und thörichte Ver¬
stimmungen und Vorurteile hervorwagen, sehr beherzigenswert sind, die Zustande
des Königreichs Sachsen unter dem Beustscheu Regiment (1862), die mit den heutigen
glücklicherweise keine Ähnlichkeit mehr haben, und Noch eine Scholle welfischer Erde
(Braunschweig, 1874). Endlich wird, was höchst dankenswert ist, eine Reihe von
kurzen Ansprachen und längern Reden an großen historischen Gedenktagen mitgeteilt:
Luther und die deutsche Nation, Zur Vorfeier des siebzigsten Geburtstages des Fürsten
Vismarck, Beim Tode Kaiser Friedrichs, Moltke und das deutsche Heer, Gustav
Adolf und Deutschlands Freiheit. Alle sind ausgezeichnet durch freie, unbefangne
Ausfassung der Dinge, die markige Charakteristik und den Schwung der Sprache.
Wie lächerlich erscheint gerade ihnen gegenüber der immer wieder gern wiederholte
Vorwurf, Treitschke sei kein „echter" Historiker gewesen, weil ihm die „Objek¬
tivität" gefehlt habe! Von diesem Gesichtspunkte aus verdienen freilich anch
Männer wie Ludwig Hausier, Heinrich von Sybel, Theodor Mommsen und vor
allem ein gewisser Tacitus diese Bezeichnung nicht, denn anch in ihren Werken
kommt eine kraftvolle Subjektivität zur Erscheinung, sie hassen und lieben mit ihren
Menschen, und ebeu die Persönlichkeit macht, wie den großen Schriftsteller überhaupt,
so auch den großen Historiker. Dazu hat sich Treitschke ebenso offen bekannt, wie zu
dem andern Kernsatze, daß die Aufgabe aller Geschichtschreibung stets gewesen sei und
heute noch sei, „unserm Geschlechte ein denkendes Bewußtsein seines Werdens zu
erwecken," daß sie also, da sich dies Werden in der Welt der sittlichen Freiheit
vollziehe, und die Völker nur in politischen Ordnungen, in Staaten zu wollenden
Persönlichkeiten werden, die Thaten der Staaten und ihrer führenden Männer in den
Vordergrund zu stelle» habe, daß sie aber, da der Staat mir in der Wechselwirkung
mit dem gesamten Volksleben begriffen werden könne, much die Mannichfaltigkeit
des Kulturlebens schildern müsse (Die Aufgabe des Geschichtschreibers. Vorbe¬
merkung bei Übernahme der Redaktion der Historischen Zeitschrift 10. Oktober 1805).
Wer dies Sachverhältnis umkehren und die politische Geschichte in deu Hintergrund
schieben, die historische Bewegung nur aus unpersönlichen „Strömungen" und der¬
gleichen erklären will, der ist, er mag es sich und andern zugestehen oder nicht, im
tiefsten Grnnde Marxist und Materialist. Möge das Vorbild Treitschkes, deu freilich
diese neuerdings so anspruchsvoll auftretende Richtung überhaupt nicht verstehen kann,
mit dazu beitragen, die alte, aber darum wahrlich nicht veraltete politisch-idealistische
Richtung unsrer deutschen Geschichtschreibung siegreich zu behaupten!






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Mnrqucirt in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/536>, abgerufen am 28.12.2024.