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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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vom Idealismus in der Wissenschaft

für seine Vaterstadt im Sinne, daß es nicht erreichbar wäre, wollte ihm bei
seiner idealen Lebensauffassung nicht einleuchten, und wenn er klagte, daß man
für seine Wünsche im Ministerium kein Geld habe, konnte man ihm von dort
aus oft mit Recht sagen: Wer will denn nach Königsberg, und was ist auf
diesem Boden in solcher Richtung zu hoffen! Aber es wurde trotzdem eine
den Bedingungen der Provinz angepaßte, bescheidne höhere Kultur geschaffen,
und die Seele dieses Lebens war Hagen. Er hatte anch das Hauptverdienst
um das dem König Friedrich Wilhelm HI. errichtete Denkmal.

Schon aus dem bis jetzt Mitgeteilten wird es der Leser verstehen, daß
der Familie daran liegen mußte, das Bild eines tüchtigen und edeln Vorfahren
auch einer spätern Nachwelt zu erhalten. Er hat es nicht nur durch die Wohl¬
thaten verdient, die er seiner Vaterstadt erwiesen hat, sondern ebenso sehr durch
den Wert seiner tiefgegründeten Persönlichkeit, dem ein kräftig weitcrblühendes
Geschlecht das Beste seines Lebens verdankt. So ist ein Buch zustande ge¬
kommen, an dem jeder seine Freude haben muß: August Hagen. Eine
Gedächtnisschrift zu seinem hundertsten Geburtstage, 12. April 1897
(Berlin, Mittler u. Sohn), eines der echten Hausbücher, die uns lehren können,
daß das Leben noch andre Schätze hat, als den ünßern Erfolg einer Laufbahn.
Ehrgeiz im gewöhnlichen Sinne und Trachten nach Gewinn lagen Hagens
Natur gleich fern. Ihn erfüllte in der Zeit, wo wir unsre Jugendpläne zu
schmieden pflegen, mehr, als alles andre, ein poetischer Schaffenstrieb, dieser
bestimmte seine Lebensführung und lenkte offenbar auch seine Berufswahl.
Seine "Künstlergeschichten" sind ans dem Geiste derselben Zeit geboren, an
deren Anfang die "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"
stehen, sie sind an sachlichen Gehalt besser als Tiecks Künstlernvvellen und an
Stimmung und poetischem Werte mindestens ebenso gut. Seine "Norika, das
sind Nürnbergische Novellen aus alter Zeit" wird man den Tieckschen Büchern
vorziehen müssen; sie sind nicht nur in früherer Zeit sehr viel gelesen worden,
sondern sie erleben noch gerade jetzt die siebente Auflage (Leipzig, I. I- Weber).
Ohne alle Frage hatte Hagen ein poetisches Talent, nicht nnr die leichtere
Gabe, Verse zu reimen, die viele haben, sondern eine lebendige, anschauliche
Auffassung, die ihm Goethe mit Recht zusprach. Dieses Talent hätte ihn auch
in dem Berufe, den er sich gewählt hatte, fördern können, wenn es der wissen¬
schaftlichen Arbeit bescheiden als Gehilfe zur Seite getreten wäre. Es hat
auch z. B. seinen Zeitgenossen Franz Kugler, der es ebenfalls hatte, nicht ge¬
hindert, einer unsrer ersten Kunstgeschichtschreiber zu werden, weil er zugleich
ein kritischer Kopf war und einen sehr ausgebildeten historischen Sinn hatte.
Auch Hagens Landsmann Schnaase war ein Stück Poet. Aber Hagen war
eine weiche, fast jungfrünliche Natur. Wie er im praktischen Leben den Nutzen
ganz gering achtete gegenüber dem allgemeinen Guten und Schönen, so über¬
ließ er in dem Leben seiner Gedanken den Eindrücken einer lebhaften Phantasie


Grenzboten III 1897
vom Idealismus in der Wissenschaft

für seine Vaterstadt im Sinne, daß es nicht erreichbar wäre, wollte ihm bei
seiner idealen Lebensauffassung nicht einleuchten, und wenn er klagte, daß man
für seine Wünsche im Ministerium kein Geld habe, konnte man ihm von dort
aus oft mit Recht sagen: Wer will denn nach Königsberg, und was ist auf
diesem Boden in solcher Richtung zu hoffen! Aber es wurde trotzdem eine
den Bedingungen der Provinz angepaßte, bescheidne höhere Kultur geschaffen,
und die Seele dieses Lebens war Hagen. Er hatte anch das Hauptverdienst
um das dem König Friedrich Wilhelm HI. errichtete Denkmal.

Schon aus dem bis jetzt Mitgeteilten wird es der Leser verstehen, daß
der Familie daran liegen mußte, das Bild eines tüchtigen und edeln Vorfahren
auch einer spätern Nachwelt zu erhalten. Er hat es nicht nur durch die Wohl¬
thaten verdient, die er seiner Vaterstadt erwiesen hat, sondern ebenso sehr durch
den Wert seiner tiefgegründeten Persönlichkeit, dem ein kräftig weitcrblühendes
Geschlecht das Beste seines Lebens verdankt. So ist ein Buch zustande ge¬
kommen, an dem jeder seine Freude haben muß: August Hagen. Eine
Gedächtnisschrift zu seinem hundertsten Geburtstage, 12. April 1897
(Berlin, Mittler u. Sohn), eines der echten Hausbücher, die uns lehren können,
daß das Leben noch andre Schätze hat, als den ünßern Erfolg einer Laufbahn.
Ehrgeiz im gewöhnlichen Sinne und Trachten nach Gewinn lagen Hagens
Natur gleich fern. Ihn erfüllte in der Zeit, wo wir unsre Jugendpläne zu
schmieden pflegen, mehr, als alles andre, ein poetischer Schaffenstrieb, dieser
bestimmte seine Lebensführung und lenkte offenbar auch seine Berufswahl.
Seine „Künstlergeschichten" sind ans dem Geiste derselben Zeit geboren, an
deren Anfang die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"
stehen, sie sind an sachlichen Gehalt besser als Tiecks Künstlernvvellen und an
Stimmung und poetischem Werte mindestens ebenso gut. Seine „Norika, das
sind Nürnbergische Novellen aus alter Zeit" wird man den Tieckschen Büchern
vorziehen müssen; sie sind nicht nur in früherer Zeit sehr viel gelesen worden,
sondern sie erleben noch gerade jetzt die siebente Auflage (Leipzig, I. I- Weber).
Ohne alle Frage hatte Hagen ein poetisches Talent, nicht nnr die leichtere
Gabe, Verse zu reimen, die viele haben, sondern eine lebendige, anschauliche
Auffassung, die ihm Goethe mit Recht zusprach. Dieses Talent hätte ihn auch
in dem Berufe, den er sich gewählt hatte, fördern können, wenn es der wissen¬
schaftlichen Arbeit bescheiden als Gehilfe zur Seite getreten wäre. Es hat
auch z. B. seinen Zeitgenossen Franz Kugler, der es ebenfalls hatte, nicht ge¬
hindert, einer unsrer ersten Kunstgeschichtschreiber zu werden, weil er zugleich
ein kritischer Kopf war und einen sehr ausgebildeten historischen Sinn hatte.
Auch Hagens Landsmann Schnaase war ein Stück Poet. Aber Hagen war
eine weiche, fast jungfrünliche Natur. Wie er im praktischen Leben den Nutzen
ganz gering achtete gegenüber dem allgemeinen Guten und Schönen, so über¬
ließ er in dem Leben seiner Gedanken den Eindrücken einer lebhaften Phantasie


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[0521] vom Idealismus in der Wissenschaft für seine Vaterstadt im Sinne, daß es nicht erreichbar wäre, wollte ihm bei seiner idealen Lebensauffassung nicht einleuchten, und wenn er klagte, daß man für seine Wünsche im Ministerium kein Geld habe, konnte man ihm von dort aus oft mit Recht sagen: Wer will denn nach Königsberg, und was ist auf diesem Boden in solcher Richtung zu hoffen! Aber es wurde trotzdem eine den Bedingungen der Provinz angepaßte, bescheidne höhere Kultur geschaffen, und die Seele dieses Lebens war Hagen. Er hatte anch das Hauptverdienst um das dem König Friedrich Wilhelm HI. errichtete Denkmal. Schon aus dem bis jetzt Mitgeteilten wird es der Leser verstehen, daß der Familie daran liegen mußte, das Bild eines tüchtigen und edeln Vorfahren auch einer spätern Nachwelt zu erhalten. Er hat es nicht nur durch die Wohl¬ thaten verdient, die er seiner Vaterstadt erwiesen hat, sondern ebenso sehr durch den Wert seiner tiefgegründeten Persönlichkeit, dem ein kräftig weitcrblühendes Geschlecht das Beste seines Lebens verdankt. So ist ein Buch zustande ge¬ kommen, an dem jeder seine Freude haben muß: August Hagen. Eine Gedächtnisschrift zu seinem hundertsten Geburtstage, 12. April 1897 (Berlin, Mittler u. Sohn), eines der echten Hausbücher, die uns lehren können, daß das Leben noch andre Schätze hat, als den ünßern Erfolg einer Laufbahn. Ehrgeiz im gewöhnlichen Sinne und Trachten nach Gewinn lagen Hagens Natur gleich fern. Ihn erfüllte in der Zeit, wo wir unsre Jugendpläne zu schmieden pflegen, mehr, als alles andre, ein poetischer Schaffenstrieb, dieser bestimmte seine Lebensführung und lenkte offenbar auch seine Berufswahl. Seine „Künstlergeschichten" sind ans dem Geiste derselben Zeit geboren, an deren Anfang die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" stehen, sie sind an sachlichen Gehalt besser als Tiecks Künstlernvvellen und an Stimmung und poetischem Werte mindestens ebenso gut. Seine „Norika, das sind Nürnbergische Novellen aus alter Zeit" wird man den Tieckschen Büchern vorziehen müssen; sie sind nicht nur in früherer Zeit sehr viel gelesen worden, sondern sie erleben noch gerade jetzt die siebente Auflage (Leipzig, I. I- Weber). Ohne alle Frage hatte Hagen ein poetisches Talent, nicht nnr die leichtere Gabe, Verse zu reimen, die viele haben, sondern eine lebendige, anschauliche Auffassung, die ihm Goethe mit Recht zusprach. Dieses Talent hätte ihn auch in dem Berufe, den er sich gewählt hatte, fördern können, wenn es der wissen¬ schaftlichen Arbeit bescheiden als Gehilfe zur Seite getreten wäre. Es hat auch z. B. seinen Zeitgenossen Franz Kugler, der es ebenfalls hatte, nicht ge¬ hindert, einer unsrer ersten Kunstgeschichtschreiber zu werden, weil er zugleich ein kritischer Kopf war und einen sehr ausgebildeten historischen Sinn hatte. Auch Hagens Landsmann Schnaase war ein Stück Poet. Aber Hagen war eine weiche, fast jungfrünliche Natur. Wie er im praktischen Leben den Nutzen ganz gering achtete gegenüber dem allgemeinen Guten und Schönen, so über¬ ließ er in dem Leben seiner Gedanken den Eindrücken einer lebhaften Phantasie Grenzboten III 1897

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/521>, abgerufen am 24.07.2024.