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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Rente und Rohertrag

können, und wenn es auf dem Weltmarkt noch so billig wäre. Die Land¬
wirtschaft würde dann mit einemmale wieder rentabel werden, nicht notwendiger¬
weise dadurch, daß das Korn im Inlande teurer würde, sondern vielmehr
dadurch, daß die Löhne aufs tiefste sinken würden. Als Einzelwesen genommen,
braucht sich freilich der Deutsche darüber keine Sorgen zu machen. Wirtschaft¬
licher Rückgang kommt nicht mit einemmale. Findet er schließlich einmal hier
sein Brot nicht mehr oder keine Anlage für sein Kapital, so geht er eben ins
englische Weltreich oder nach Amerika und nimmt sein geliebtes Kapital mit
sich. Aber die Aufgabe einer guten Politik ist weder der Überfluß um Glücks¬
gütern in der Gegenwart noch überhaupt das Glück des Einzelnen, sondern
die Zukunft des Volkes. Und für diese ist das wichtigste das, was Otterberg
verlangt hat: Sicherheit und Selbständigkeit. Ein Volk darf nicht über einigen
glücklichen Handelsgeschäften versäumen, auf seine Selbständigkeit zu achten.

Die sicherste Nahrung giebt einem Volke ohne Zweifel die Kultur des
heimatlichen Bodens. Aber sie ist keine Arbeit, von der man weglaufen kann,
um sie ohne Schaden nach fünfzehn Jahren wieder aufzunehmen. Verlassenes
Kulturland ist durchaus kein Kapital, das sich im Geldschrank unversehrt auf¬
bewahren läßt, sondern ein Arbeitsprodukt, das, ungebraucht, sich verzehrt und,
einmal verwüstet, sich nnr in jahrelanger Arbeit wiederherstellen läßt. Darum
ist es nicht gleichgiltig, wenn um einer vorübergehenden Konjunktur willen der
Anbau in Deutschland eingeschränkt wird. Wir hoffen, daß es dazu nicht
kommen wird. Zunächst gilt es, die Gefahr zu erkennen. Sie liegt uicht
eigentlich in dem Sinken der Geldrente, aber in den tiefern Ursachen dieser
Erscheinungen, in dem Umstände, daß augenblicklich das Volk die Arbeit an
der heimatlichen Scholle nicht nötig hat, und daß es zu ihr doch wieder wird
zurückkehren müssen. So aufgefaßt, steht die Agrarfrage über dem Nebel der
Interessenpolitik.

Ju dem Vorstehenden ist stillschweigend vorausgesetzt, daß der Arbeitslohn
überall gleich hoch sei, wie in einem isolirten Staate, und nicht von den
Grenzen her unterboten werden könne. Das ist ja nun freilich nicht der Fall.
Von außen her dringt der niedrige Arbeitslohn wieder herein in menschlicher
Gestalt und zuweilen auch nur in halbmeuschlichcr Gestalt. Wenn der deutsche
Arbeiter den Acker verläßt, so braucht dieser deshalb noch nicht brach zu liegen,
sondern viele Polenhände sind bereit, ihn anch gegen die amerikanische Kon¬
kurrenz noch zu behaupten, wenn es sein muß, ohne alle Schutzzölle, was der
deutsche Arbeiter in seiner Eigenschaft als Konsument vielleicht für einen riesigen
sah--. Vorteil hält. Und darin hat er Recht -- für den Augenblick.




Rente und Rohertrag

können, und wenn es auf dem Weltmarkt noch so billig wäre. Die Land¬
wirtschaft würde dann mit einemmale wieder rentabel werden, nicht notwendiger¬
weise dadurch, daß das Korn im Inlande teurer würde, sondern vielmehr
dadurch, daß die Löhne aufs tiefste sinken würden. Als Einzelwesen genommen,
braucht sich freilich der Deutsche darüber keine Sorgen zu machen. Wirtschaft¬
licher Rückgang kommt nicht mit einemmale. Findet er schließlich einmal hier
sein Brot nicht mehr oder keine Anlage für sein Kapital, so geht er eben ins
englische Weltreich oder nach Amerika und nimmt sein geliebtes Kapital mit
sich. Aber die Aufgabe einer guten Politik ist weder der Überfluß um Glücks¬
gütern in der Gegenwart noch überhaupt das Glück des Einzelnen, sondern
die Zukunft des Volkes. Und für diese ist das wichtigste das, was Otterberg
verlangt hat: Sicherheit und Selbständigkeit. Ein Volk darf nicht über einigen
glücklichen Handelsgeschäften versäumen, auf seine Selbständigkeit zu achten.

Die sicherste Nahrung giebt einem Volke ohne Zweifel die Kultur des
heimatlichen Bodens. Aber sie ist keine Arbeit, von der man weglaufen kann,
um sie ohne Schaden nach fünfzehn Jahren wieder aufzunehmen. Verlassenes
Kulturland ist durchaus kein Kapital, das sich im Geldschrank unversehrt auf¬
bewahren läßt, sondern ein Arbeitsprodukt, das, ungebraucht, sich verzehrt und,
einmal verwüstet, sich nnr in jahrelanger Arbeit wiederherstellen läßt. Darum
ist es nicht gleichgiltig, wenn um einer vorübergehenden Konjunktur willen der
Anbau in Deutschland eingeschränkt wird. Wir hoffen, daß es dazu nicht
kommen wird. Zunächst gilt es, die Gefahr zu erkennen. Sie liegt uicht
eigentlich in dem Sinken der Geldrente, aber in den tiefern Ursachen dieser
Erscheinungen, in dem Umstände, daß augenblicklich das Volk die Arbeit an
der heimatlichen Scholle nicht nötig hat, und daß es zu ihr doch wieder wird
zurückkehren müssen. So aufgefaßt, steht die Agrarfrage über dem Nebel der
Interessenpolitik.

Ju dem Vorstehenden ist stillschweigend vorausgesetzt, daß der Arbeitslohn
überall gleich hoch sei, wie in einem isolirten Staate, und nicht von den
Grenzen her unterboten werden könne. Das ist ja nun freilich nicht der Fall.
Von außen her dringt der niedrige Arbeitslohn wieder herein in menschlicher
Gestalt und zuweilen auch nur in halbmeuschlichcr Gestalt. Wenn der deutsche
Arbeiter den Acker verläßt, so braucht dieser deshalb noch nicht brach zu liegen,
sondern viele Polenhände sind bereit, ihn anch gegen die amerikanische Kon¬
kurrenz noch zu behaupten, wenn es sein muß, ohne alle Schutzzölle, was der
deutsche Arbeiter in seiner Eigenschaft als Konsument vielleicht für einen riesigen
sah—. Vorteil hält. Und darin hat er Recht — für den Augenblick.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/500>, abgerufen am 24.07.2024.