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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Reichsdeutschen und die Deutsch-(Österreicher

Der größte Teil des deutschbürtigen Adels und der Geistlichkeit steht gegen die
eignen Landsleute, weil beide den Liberalismus mehr hassen als die Slawen;
die Massen der deutschen Bauern sind klerikal, das deutsch-österreichische Bürger¬
tum, auf das fast die ganze Last deS Kampfes fällt, ist noch immer schwach
und stark verjudet. Andrerseits werden die Parteien der Mehrheit durch nichts
zusammengehalten als durch den gemeinsamen Haß gegen die Deutschen und
durch das klerikal-feudale Interesse. Dazu die wachsende Erbitterung hüben und
drüben. Auch wenn, was augenblicklich höchst unwahrscheinlich ist, selbst in
diesem Lande der UnWahrscheinlichkeiten, Graf Badeni zurücktreten müßte und
die Sprachvcrordnungen aufgehoben würden, so würde das die Deutschen
nicht befriedigen und mindestens die Tschechen tötlich verletzen. Führt aber die
Regierung in Böhmen und Mührer die sogenannte "nationale Gleichberechtigung,"
d. h. die Gleichberechtigung zweier Sprachen, von denen die eine von sechs, die
andre von sechzig Millionen Menschen in Europa gesprochen wird, völlig durch,
wie sie es als ihre Absicht verkündigt, so stärkt sie den Größenwahn der Tschechen,
zerstört in einem großen Teile der Deutschen den letzten Nest von österreichischer
Staatsgesinnung und gefährdet den Bestand der Monarchie, denn die Be¬
dingung für das Verhältnis zu Ungarn ist die staatliche Einheit Cisleithaniens.
Einem föderativem Österreich würde Ungarn ganz sicher den Ausgleich kün¬
digen, es würde sich auf die Personalunion beschränken, und mit der Gro߬
machtstellung Österreichs wäre es zu Ende. Aus demselben Grunde ist auch
die Rückkehr zum Absolutismus ausgeschlossen, denn auch mit einem absolut
regierten Österreich würde Ungarn die bisherige Gemeinschaft nicht fortsetzen.

Wären beide Teile noch fähig, klar zu denken, so müßten sie begreifen,
daß sie sich beide den geographischen und geschichtlichen Bedingungen ihrer Lage
zu unterwerfen haben. Die Tschechen müßten den natürlichen Vorrang einer
Kultnrsprache wie der deutschen ehrlich anerkennen, ebenso gut, wie man im
diplomatischen Verkehr einen gewissen Vorrang des Französischen, im Welt¬
handel des Englischen anerkennt, und die Deutschen, die in Böhmen oder
Mähren eine amtliche Stellung einnehmen wollen, die müßten -- es mag offen
gesagt sein -- sich die zweite Landessprache aneignen. Daß die Tschechen des¬
halb germanisirt, die Deutschen tschcchisirt würden, ist doch nicht ernsthaft zu
befürchten. Alle gebildeten Tschechen sind längst des Deutschen mächtig, und
solche Schwachköpfe werden doch die Deutschen, die das Tschechische lernen,
nicht sein, daß sie deshalb ihre Nationalität aufgeben! Wären sich, dann wäre
ihnen auch nicht zu helfen. Statt dessen geberden sich die Tschechen als die
alleinigen Herren des Landes, behandeln ihre deutschen Mitbürger wie einst die
Hussiten und schicken kindisch-taktlose Telegramme nach Paris, um die französisch-
russische Verbindung in der Hoffnung auf den Vernichtungskampf gegen die ver¬
haßten Deutschen zu feiern. Die Deutschen aber ziehen über die Grenze nach
Sachsen und Baiern, einer ihrer Redner behandelt in Leipzig den König von


Die Reichsdeutschen und die Deutsch-(Österreicher

Der größte Teil des deutschbürtigen Adels und der Geistlichkeit steht gegen die
eignen Landsleute, weil beide den Liberalismus mehr hassen als die Slawen;
die Massen der deutschen Bauern sind klerikal, das deutsch-österreichische Bürger¬
tum, auf das fast die ganze Last deS Kampfes fällt, ist noch immer schwach
und stark verjudet. Andrerseits werden die Parteien der Mehrheit durch nichts
zusammengehalten als durch den gemeinsamen Haß gegen die Deutschen und
durch das klerikal-feudale Interesse. Dazu die wachsende Erbitterung hüben und
drüben. Auch wenn, was augenblicklich höchst unwahrscheinlich ist, selbst in
diesem Lande der UnWahrscheinlichkeiten, Graf Badeni zurücktreten müßte und
die Sprachvcrordnungen aufgehoben würden, so würde das die Deutschen
nicht befriedigen und mindestens die Tschechen tötlich verletzen. Führt aber die
Regierung in Böhmen und Mührer die sogenannte „nationale Gleichberechtigung,"
d. h. die Gleichberechtigung zweier Sprachen, von denen die eine von sechs, die
andre von sechzig Millionen Menschen in Europa gesprochen wird, völlig durch,
wie sie es als ihre Absicht verkündigt, so stärkt sie den Größenwahn der Tschechen,
zerstört in einem großen Teile der Deutschen den letzten Nest von österreichischer
Staatsgesinnung und gefährdet den Bestand der Monarchie, denn die Be¬
dingung für das Verhältnis zu Ungarn ist die staatliche Einheit Cisleithaniens.
Einem föderativem Österreich würde Ungarn ganz sicher den Ausgleich kün¬
digen, es würde sich auf die Personalunion beschränken, und mit der Gro߬
machtstellung Österreichs wäre es zu Ende. Aus demselben Grunde ist auch
die Rückkehr zum Absolutismus ausgeschlossen, denn auch mit einem absolut
regierten Österreich würde Ungarn die bisherige Gemeinschaft nicht fortsetzen.

Wären beide Teile noch fähig, klar zu denken, so müßten sie begreifen,
daß sie sich beide den geographischen und geschichtlichen Bedingungen ihrer Lage
zu unterwerfen haben. Die Tschechen müßten den natürlichen Vorrang einer
Kultnrsprache wie der deutschen ehrlich anerkennen, ebenso gut, wie man im
diplomatischen Verkehr einen gewissen Vorrang des Französischen, im Welt¬
handel des Englischen anerkennt, und die Deutschen, die in Böhmen oder
Mähren eine amtliche Stellung einnehmen wollen, die müßten — es mag offen
gesagt sein — sich die zweite Landessprache aneignen. Daß die Tschechen des¬
halb germanisirt, die Deutschen tschcchisirt würden, ist doch nicht ernsthaft zu
befürchten. Alle gebildeten Tschechen sind längst des Deutschen mächtig, und
solche Schwachköpfe werden doch die Deutschen, die das Tschechische lernen,
nicht sein, daß sie deshalb ihre Nationalität aufgeben! Wären sich, dann wäre
ihnen auch nicht zu helfen. Statt dessen geberden sich die Tschechen als die
alleinigen Herren des Landes, behandeln ihre deutschen Mitbürger wie einst die
Hussiten und schicken kindisch-taktlose Telegramme nach Paris, um die französisch-
russische Verbindung in der Hoffnung auf den Vernichtungskampf gegen die ver¬
haßten Deutschen zu feiern. Die Deutschen aber ziehen über die Grenze nach
Sachsen und Baiern, einer ihrer Redner behandelt in Leipzig den König von


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[0492] Die Reichsdeutschen und die Deutsch-(Österreicher Der größte Teil des deutschbürtigen Adels und der Geistlichkeit steht gegen die eignen Landsleute, weil beide den Liberalismus mehr hassen als die Slawen; die Massen der deutschen Bauern sind klerikal, das deutsch-österreichische Bürger¬ tum, auf das fast die ganze Last deS Kampfes fällt, ist noch immer schwach und stark verjudet. Andrerseits werden die Parteien der Mehrheit durch nichts zusammengehalten als durch den gemeinsamen Haß gegen die Deutschen und durch das klerikal-feudale Interesse. Dazu die wachsende Erbitterung hüben und drüben. Auch wenn, was augenblicklich höchst unwahrscheinlich ist, selbst in diesem Lande der UnWahrscheinlichkeiten, Graf Badeni zurücktreten müßte und die Sprachvcrordnungen aufgehoben würden, so würde das die Deutschen nicht befriedigen und mindestens die Tschechen tötlich verletzen. Führt aber die Regierung in Böhmen und Mührer die sogenannte „nationale Gleichberechtigung," d. h. die Gleichberechtigung zweier Sprachen, von denen die eine von sechs, die andre von sechzig Millionen Menschen in Europa gesprochen wird, völlig durch, wie sie es als ihre Absicht verkündigt, so stärkt sie den Größenwahn der Tschechen, zerstört in einem großen Teile der Deutschen den letzten Nest von österreichischer Staatsgesinnung und gefährdet den Bestand der Monarchie, denn die Be¬ dingung für das Verhältnis zu Ungarn ist die staatliche Einheit Cisleithaniens. Einem föderativem Österreich würde Ungarn ganz sicher den Ausgleich kün¬ digen, es würde sich auf die Personalunion beschränken, und mit der Gro߬ machtstellung Österreichs wäre es zu Ende. Aus demselben Grunde ist auch die Rückkehr zum Absolutismus ausgeschlossen, denn auch mit einem absolut regierten Österreich würde Ungarn die bisherige Gemeinschaft nicht fortsetzen. Wären beide Teile noch fähig, klar zu denken, so müßten sie begreifen, daß sie sich beide den geographischen und geschichtlichen Bedingungen ihrer Lage zu unterwerfen haben. Die Tschechen müßten den natürlichen Vorrang einer Kultnrsprache wie der deutschen ehrlich anerkennen, ebenso gut, wie man im diplomatischen Verkehr einen gewissen Vorrang des Französischen, im Welt¬ handel des Englischen anerkennt, und die Deutschen, die in Böhmen oder Mähren eine amtliche Stellung einnehmen wollen, die müßten — es mag offen gesagt sein — sich die zweite Landessprache aneignen. Daß die Tschechen des¬ halb germanisirt, die Deutschen tschcchisirt würden, ist doch nicht ernsthaft zu befürchten. Alle gebildeten Tschechen sind längst des Deutschen mächtig, und solche Schwachköpfe werden doch die Deutschen, die das Tschechische lernen, nicht sein, daß sie deshalb ihre Nationalität aufgeben! Wären sich, dann wäre ihnen auch nicht zu helfen. Statt dessen geberden sich die Tschechen als die alleinigen Herren des Landes, behandeln ihre deutschen Mitbürger wie einst die Hussiten und schicken kindisch-taktlose Telegramme nach Paris, um die französisch- russische Verbindung in der Hoffnung auf den Vernichtungskampf gegen die ver¬ haßten Deutschen zu feiern. Die Deutschen aber ziehen über die Grenze nach Sachsen und Baiern, einer ihrer Redner behandelt in Leipzig den König von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/492>, abgerufen am 24.07.2024.