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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^39?

man sogar geneigt, auch hier an ein Kompromiß zu denken, der auf den Ber¬
linischen Kcnnpfesrnf hinausläuft: "Haust du meinen Juden, hau ich deinen
Juden!" Beide Künstler haben die Medaille nicht für ein einzelnes, besonders
wohl gelungnes oder eindrucksvolles Werk, sondern für eine Sammelausstellung
erhalten, in der jeder einen Rückblick über sein bisheriges Schaffen geboten
hat, soweit natürlich seine Werke erreichbar waren, Liebermann ist dabei im
Vorteil gewesen. Nicht mir daß ihm ein eigner Raum bewilligt worden ist,
während Friese einen langen, ungemütlichen Saal mit andern teilen mußte,
die Ausstellungskommission hat Liebermann auch mit einer für uns völlig
unverständlichen Nachsicht das Recht eingeräumt, seinen Saal -- allerdings
auf eigne Kosten -- nach seinem Geschmack auszustatten. Als reicher Mann
hat er denn auch davon Gebrauch gemacht und sich die Sache ein Stück
Geld kosten lassen. Das widerstrebt dem demokratischen Prinzip der Gleich¬
berechtigung, das nirgends so entschieden betont wird wie in der Künstler¬
republik. Es widerstrebt aber auch dem Inhalt und der Absicht der Liebcr-
mannschen Bilder, die eigentlich nur durch sich selbst wirken sollen. So sollte
man wenigstens meinen. Das moderne Humanitätsideal, dem in den Kreisen
der Käufer Liebermannscher Bilder gehuldigt wird, verlangt jedoch, daß
diese herzbrechenden Schilderungen menschlichen Jammers durch kostbare Gold¬
rahmen, durch stimmungsvolle Hintergründe von rotem oder grünem Stoff
zur Wandbekleidung, durch Teppiche, die ihr mildes Licht auf die Bilder an
den Wänden zurückstrahlen, "salonfähig" gemacht werden. Mit diesen ver¬
schrobnen Neigungen internationaler Genußmenschen, die sich bei Austern und
Sekt eine Thräne abzwingen, wenn sie zu einer Liebermannschen Feldarbeiterin
oder Hirtin über ihrem Sofa emporblicken, kann die Kunst, wie man sie bisher
aufgefaßt hat, keine Gemeinschaft haben. Will man sie soweit erniedrigen, daß
sie zu einer Dirne herabsinkt, die jedermann schön thut und jedermann gefällig
ist, so haben das die Herostraten zu verteidigen, die, in verantwortlicher und
unverantwortlicher Stellung, fleißig ihre Arbeit verrichten. Wir wollen nur
hoffen, daß aus den leergebrannten Stätten Gebäude entstehen, in denen sichs
erträglich Hausen läßt.

Da die Leitung der Berliner Ausstellung einen großen Kostenaufwand
vermeiden wollte, nahm sie ihre Zuflucht zu dem auch schon etwas verbrauchten
Mittel der Sammelausstellungen, indem sie Einladungen an eine Reihe von
Künstlern ergehen ließ. Um ihnen noch eine besondre Auszeichnung zu er¬
weisen, wurden sie auch aufgefordert, ihre Photographien einzusenden, die im
Katalog rcproduzirt werden sollten. Etwa dreißig Künstler sind dieser Ein¬
ladung gefolgt, die größere Hälfte mit Eifer, die kleinere mit Unlust, und der
Katalog hat auch etwa anderthalb Dutzend von Bildnissen aufzuweisen, die
den Besuchern der Ausstellung in mehr oder weniger schmutzigen Autotypien
meist sogenannte "Sitzgesichter" vorführen, bei deren Aufnahme der Künstler


Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^39?

man sogar geneigt, auch hier an ein Kompromiß zu denken, der auf den Ber¬
linischen Kcnnpfesrnf hinausläuft: „Haust du meinen Juden, hau ich deinen
Juden!" Beide Künstler haben die Medaille nicht für ein einzelnes, besonders
wohl gelungnes oder eindrucksvolles Werk, sondern für eine Sammelausstellung
erhalten, in der jeder einen Rückblick über sein bisheriges Schaffen geboten
hat, soweit natürlich seine Werke erreichbar waren, Liebermann ist dabei im
Vorteil gewesen. Nicht mir daß ihm ein eigner Raum bewilligt worden ist,
während Friese einen langen, ungemütlichen Saal mit andern teilen mußte,
die Ausstellungskommission hat Liebermann auch mit einer für uns völlig
unverständlichen Nachsicht das Recht eingeräumt, seinen Saal — allerdings
auf eigne Kosten — nach seinem Geschmack auszustatten. Als reicher Mann
hat er denn auch davon Gebrauch gemacht und sich die Sache ein Stück
Geld kosten lassen. Das widerstrebt dem demokratischen Prinzip der Gleich¬
berechtigung, das nirgends so entschieden betont wird wie in der Künstler¬
republik. Es widerstrebt aber auch dem Inhalt und der Absicht der Liebcr-
mannschen Bilder, die eigentlich nur durch sich selbst wirken sollen. So sollte
man wenigstens meinen. Das moderne Humanitätsideal, dem in den Kreisen
der Käufer Liebermannscher Bilder gehuldigt wird, verlangt jedoch, daß
diese herzbrechenden Schilderungen menschlichen Jammers durch kostbare Gold¬
rahmen, durch stimmungsvolle Hintergründe von rotem oder grünem Stoff
zur Wandbekleidung, durch Teppiche, die ihr mildes Licht auf die Bilder an
den Wänden zurückstrahlen, „salonfähig" gemacht werden. Mit diesen ver¬
schrobnen Neigungen internationaler Genußmenschen, die sich bei Austern und
Sekt eine Thräne abzwingen, wenn sie zu einer Liebermannschen Feldarbeiterin
oder Hirtin über ihrem Sofa emporblicken, kann die Kunst, wie man sie bisher
aufgefaßt hat, keine Gemeinschaft haben. Will man sie soweit erniedrigen, daß
sie zu einer Dirne herabsinkt, die jedermann schön thut und jedermann gefällig
ist, so haben das die Herostraten zu verteidigen, die, in verantwortlicher und
unverantwortlicher Stellung, fleißig ihre Arbeit verrichten. Wir wollen nur
hoffen, daß aus den leergebrannten Stätten Gebäude entstehen, in denen sichs
erträglich Hausen läßt.

Da die Leitung der Berliner Ausstellung einen großen Kostenaufwand
vermeiden wollte, nahm sie ihre Zuflucht zu dem auch schon etwas verbrauchten
Mittel der Sammelausstellungen, indem sie Einladungen an eine Reihe von
Künstlern ergehen ließ. Um ihnen noch eine besondre Auszeichnung zu er¬
weisen, wurden sie auch aufgefordert, ihre Photographien einzusenden, die im
Katalog rcproduzirt werden sollten. Etwa dreißig Künstler sind dieser Ein¬
ladung gefolgt, die größere Hälfte mit Eifer, die kleinere mit Unlust, und der
Katalog hat auch etwa anderthalb Dutzend von Bildnissen aufzuweisen, die
den Besuchern der Ausstellung in mehr oder weniger schmutzigen Autotypien
meist sogenannte „Sitzgesichter" vorführen, bei deren Aufnahme der Künstler


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[0430] Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^39? man sogar geneigt, auch hier an ein Kompromiß zu denken, der auf den Ber¬ linischen Kcnnpfesrnf hinausläuft: „Haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden!" Beide Künstler haben die Medaille nicht für ein einzelnes, besonders wohl gelungnes oder eindrucksvolles Werk, sondern für eine Sammelausstellung erhalten, in der jeder einen Rückblick über sein bisheriges Schaffen geboten hat, soweit natürlich seine Werke erreichbar waren, Liebermann ist dabei im Vorteil gewesen. Nicht mir daß ihm ein eigner Raum bewilligt worden ist, während Friese einen langen, ungemütlichen Saal mit andern teilen mußte, die Ausstellungskommission hat Liebermann auch mit einer für uns völlig unverständlichen Nachsicht das Recht eingeräumt, seinen Saal — allerdings auf eigne Kosten — nach seinem Geschmack auszustatten. Als reicher Mann hat er denn auch davon Gebrauch gemacht und sich die Sache ein Stück Geld kosten lassen. Das widerstrebt dem demokratischen Prinzip der Gleich¬ berechtigung, das nirgends so entschieden betont wird wie in der Künstler¬ republik. Es widerstrebt aber auch dem Inhalt und der Absicht der Liebcr- mannschen Bilder, die eigentlich nur durch sich selbst wirken sollen. So sollte man wenigstens meinen. Das moderne Humanitätsideal, dem in den Kreisen der Käufer Liebermannscher Bilder gehuldigt wird, verlangt jedoch, daß diese herzbrechenden Schilderungen menschlichen Jammers durch kostbare Gold¬ rahmen, durch stimmungsvolle Hintergründe von rotem oder grünem Stoff zur Wandbekleidung, durch Teppiche, die ihr mildes Licht auf die Bilder an den Wänden zurückstrahlen, „salonfähig" gemacht werden. Mit diesen ver¬ schrobnen Neigungen internationaler Genußmenschen, die sich bei Austern und Sekt eine Thräne abzwingen, wenn sie zu einer Liebermannschen Feldarbeiterin oder Hirtin über ihrem Sofa emporblicken, kann die Kunst, wie man sie bisher aufgefaßt hat, keine Gemeinschaft haben. Will man sie soweit erniedrigen, daß sie zu einer Dirne herabsinkt, die jedermann schön thut und jedermann gefällig ist, so haben das die Herostraten zu verteidigen, die, in verantwortlicher und unverantwortlicher Stellung, fleißig ihre Arbeit verrichten. Wir wollen nur hoffen, daß aus den leergebrannten Stätten Gebäude entstehen, in denen sichs erträglich Hausen läßt. Da die Leitung der Berliner Ausstellung einen großen Kostenaufwand vermeiden wollte, nahm sie ihre Zuflucht zu dem auch schon etwas verbrauchten Mittel der Sammelausstellungen, indem sie Einladungen an eine Reihe von Künstlern ergehen ließ. Um ihnen noch eine besondre Auszeichnung zu er¬ weisen, wurden sie auch aufgefordert, ihre Photographien einzusenden, die im Katalog rcproduzirt werden sollten. Etwa dreißig Künstler sind dieser Ein¬ ladung gefolgt, die größere Hälfte mit Eifer, die kleinere mit Unlust, und der Katalog hat auch etwa anderthalb Dutzend von Bildnissen aufzuweisen, die den Besuchern der Ausstellung in mehr oder weniger schmutzigen Autotypien meist sogenannte „Sitzgesichter" vorführen, bei deren Aufnahme der Künstler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/430>, abgerufen am 29.12.2024.