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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vstmark

Polnischen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Posen und Thorn, die alte
und eine neue polnische Parzellirungsgenossenschaft und private Parzellanten,
die oft genng deutsche Güter an polnische Käufer aufteilen, in der Lage, un¬
vergleichlich mehr Polen anzusetzen. Ganze Bände spricht eine Notiz, die vor
kurzem der Onieuiülc Xv.MvsI<i in Inowraclaw brachte. Ein Pole hat darnach
aus deutschen Händen ein Gut in bester Gegend Kujawiens aufgekauft und
unter polnische Bauern parzellirt. Erst vor fünfzig Jahren ist dieses Gut
gebildet worden, indem es ein Deutscher von den dem Trunke ergebner Bauern
einer benachbarten Ortschaft zusammenkaufte. Der Volksmund hat seinerzeit
das neue Gut "Przepijewo" (durch Saufen vergeudet) getauft; jetzt haben Fleiß
und Sparsamkeit der Nachkommen wieder gut gemacht, was die Liederlichkeit
der Väter verbrochen hatte.

So vollzieht sich allmählich, aber sicher in Stadt und Land, zumal da
auch die polnischen Familien eine stärkere Geburtenzahl als die deutschen auf¬
weisen, und deutsche Katholiken sich noch immer in fanatische Polen umwandeln
lassen, die Polonisirung unsers Ostens, in den der ausgewanderte Deutsche
nur ausnahmsweise, der Pole, wenn es irgend möglich ist, stets zurückkehrt, sei
es um hier die Ersparnisse des Sommers während des Winters zu verzehren,
oder um sie in einem kleinen Ackerstück, dein Ruhesitz für seine alten Tage,
anzulegen, dem während seiner Abwesenheit seine Eltern, Weib und Kinder
den kargen Lebensunterhalt abzugewinnen suchen. Man wird einwerfen, daß
viele Polen, namentlich Arbeiter in den Kohlenbergwerken, in den westlichen
Provinzen dauernd bleiben und im Laufe von Generationen ihrer Nation ver¬
loren gehen müssen. So sehr das vom Standpunkt der dortigen großen Unter¬
nehmer und der hiesigen Deutschen zu wünschen wäre (die Unternehmer erhalten
billigere Arbeitskräfte, die einem Generalstreik eher fernbleiben und sein Ge¬
lingen erschweren, und die hiesigen Deutschen werden von der unverhältnis¬
mäßig stark anschwellenden Überzahl ihrer polnischen Provinzgenossen nicht so
hart bedrängt und so leicht verdrängt), so ist es doch einerseits eine offne
Frage, ob diese in zahlreiche Vereine von mehr oder weniger religiöser Färbung
zusammengefaßten polnischen Arbeiter, deren Zahl in stetem Wachsen begriffen
ist, sich wirklich werden germauisiren lassen, ob sie nicht vielmehr, wie die
tschechischen Kohlenarbeiter in den nordböhmischen Kohlengruben die Tschechi-
strung Nordböhmens, so die Polonisirung urdeutscher Distrikte und eine
wesentliche Herabsetzung der Kulturstufe der ganzen dortigen Arbeiterschaft be¬
wirken werden, und andrerseits ist es keine Frage, sondern eine Thatsache, daß
die Zahl der hier einwandernden und die Zahl der zurückkehrenden Deutschen,
die gegen ihre Heimat gleichgiltig sind und fremde Erde in ihr sehen, unver¬
gleichlich kleiner ist, als die Zahl der mit Geld zurückkehrenden Polen, die
mit diesem Gelde die Kassen der polnischen Kreditvereine speisen. Wie man
berechnet hat, findet durch die sogenannte Sachsengängerei Jahr für Jahr ein
Abfluß von acht bis zehn Millionen Mark aus dem reichern Westen nach unserm


Aus unsrer Vstmark

Polnischen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Posen und Thorn, die alte
und eine neue polnische Parzellirungsgenossenschaft und private Parzellanten,
die oft genng deutsche Güter an polnische Käufer aufteilen, in der Lage, un¬
vergleichlich mehr Polen anzusetzen. Ganze Bände spricht eine Notiz, die vor
kurzem der Onieuiülc Xv.MvsI<i in Inowraclaw brachte. Ein Pole hat darnach
aus deutschen Händen ein Gut in bester Gegend Kujawiens aufgekauft und
unter polnische Bauern parzellirt. Erst vor fünfzig Jahren ist dieses Gut
gebildet worden, indem es ein Deutscher von den dem Trunke ergebner Bauern
einer benachbarten Ortschaft zusammenkaufte. Der Volksmund hat seinerzeit
das neue Gut „Przepijewo" (durch Saufen vergeudet) getauft; jetzt haben Fleiß
und Sparsamkeit der Nachkommen wieder gut gemacht, was die Liederlichkeit
der Väter verbrochen hatte.

So vollzieht sich allmählich, aber sicher in Stadt und Land, zumal da
auch die polnischen Familien eine stärkere Geburtenzahl als die deutschen auf¬
weisen, und deutsche Katholiken sich noch immer in fanatische Polen umwandeln
lassen, die Polonisirung unsers Ostens, in den der ausgewanderte Deutsche
nur ausnahmsweise, der Pole, wenn es irgend möglich ist, stets zurückkehrt, sei
es um hier die Ersparnisse des Sommers während des Winters zu verzehren,
oder um sie in einem kleinen Ackerstück, dein Ruhesitz für seine alten Tage,
anzulegen, dem während seiner Abwesenheit seine Eltern, Weib und Kinder
den kargen Lebensunterhalt abzugewinnen suchen. Man wird einwerfen, daß
viele Polen, namentlich Arbeiter in den Kohlenbergwerken, in den westlichen
Provinzen dauernd bleiben und im Laufe von Generationen ihrer Nation ver¬
loren gehen müssen. So sehr das vom Standpunkt der dortigen großen Unter¬
nehmer und der hiesigen Deutschen zu wünschen wäre (die Unternehmer erhalten
billigere Arbeitskräfte, die einem Generalstreik eher fernbleiben und sein Ge¬
lingen erschweren, und die hiesigen Deutschen werden von der unverhältnis¬
mäßig stark anschwellenden Überzahl ihrer polnischen Provinzgenossen nicht so
hart bedrängt und so leicht verdrängt), so ist es doch einerseits eine offne
Frage, ob diese in zahlreiche Vereine von mehr oder weniger religiöser Färbung
zusammengefaßten polnischen Arbeiter, deren Zahl in stetem Wachsen begriffen
ist, sich wirklich werden germauisiren lassen, ob sie nicht vielmehr, wie die
tschechischen Kohlenarbeiter in den nordböhmischen Kohlengruben die Tschechi-
strung Nordböhmens, so die Polonisirung urdeutscher Distrikte und eine
wesentliche Herabsetzung der Kulturstufe der ganzen dortigen Arbeiterschaft be¬
wirken werden, und andrerseits ist es keine Frage, sondern eine Thatsache, daß
die Zahl der hier einwandernden und die Zahl der zurückkehrenden Deutschen,
die gegen ihre Heimat gleichgiltig sind und fremde Erde in ihr sehen, unver¬
gleichlich kleiner ist, als die Zahl der mit Geld zurückkehrenden Polen, die
mit diesem Gelde die Kassen der polnischen Kreditvereine speisen. Wie man
berechnet hat, findet durch die sogenannte Sachsengängerei Jahr für Jahr ein
Abfluß von acht bis zehn Millionen Mark aus dem reichern Westen nach unserm


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[0403] Aus unsrer Vstmark Polnischen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Posen und Thorn, die alte und eine neue polnische Parzellirungsgenossenschaft und private Parzellanten, die oft genng deutsche Güter an polnische Käufer aufteilen, in der Lage, un¬ vergleichlich mehr Polen anzusetzen. Ganze Bände spricht eine Notiz, die vor kurzem der Onieuiülc Xv.MvsI<i in Inowraclaw brachte. Ein Pole hat darnach aus deutschen Händen ein Gut in bester Gegend Kujawiens aufgekauft und unter polnische Bauern parzellirt. Erst vor fünfzig Jahren ist dieses Gut gebildet worden, indem es ein Deutscher von den dem Trunke ergebner Bauern einer benachbarten Ortschaft zusammenkaufte. Der Volksmund hat seinerzeit das neue Gut „Przepijewo" (durch Saufen vergeudet) getauft; jetzt haben Fleiß und Sparsamkeit der Nachkommen wieder gut gemacht, was die Liederlichkeit der Väter verbrochen hatte. So vollzieht sich allmählich, aber sicher in Stadt und Land, zumal da auch die polnischen Familien eine stärkere Geburtenzahl als die deutschen auf¬ weisen, und deutsche Katholiken sich noch immer in fanatische Polen umwandeln lassen, die Polonisirung unsers Ostens, in den der ausgewanderte Deutsche nur ausnahmsweise, der Pole, wenn es irgend möglich ist, stets zurückkehrt, sei es um hier die Ersparnisse des Sommers während des Winters zu verzehren, oder um sie in einem kleinen Ackerstück, dein Ruhesitz für seine alten Tage, anzulegen, dem während seiner Abwesenheit seine Eltern, Weib und Kinder den kargen Lebensunterhalt abzugewinnen suchen. Man wird einwerfen, daß viele Polen, namentlich Arbeiter in den Kohlenbergwerken, in den westlichen Provinzen dauernd bleiben und im Laufe von Generationen ihrer Nation ver¬ loren gehen müssen. So sehr das vom Standpunkt der dortigen großen Unter¬ nehmer und der hiesigen Deutschen zu wünschen wäre (die Unternehmer erhalten billigere Arbeitskräfte, die einem Generalstreik eher fernbleiben und sein Ge¬ lingen erschweren, und die hiesigen Deutschen werden von der unverhältnis¬ mäßig stark anschwellenden Überzahl ihrer polnischen Provinzgenossen nicht so hart bedrängt und so leicht verdrängt), so ist es doch einerseits eine offne Frage, ob diese in zahlreiche Vereine von mehr oder weniger religiöser Färbung zusammengefaßten polnischen Arbeiter, deren Zahl in stetem Wachsen begriffen ist, sich wirklich werden germauisiren lassen, ob sie nicht vielmehr, wie die tschechischen Kohlenarbeiter in den nordböhmischen Kohlengruben die Tschechi- strung Nordböhmens, so die Polonisirung urdeutscher Distrikte und eine wesentliche Herabsetzung der Kulturstufe der ganzen dortigen Arbeiterschaft be¬ wirken werden, und andrerseits ist es keine Frage, sondern eine Thatsache, daß die Zahl der hier einwandernden und die Zahl der zurückkehrenden Deutschen, die gegen ihre Heimat gleichgiltig sind und fremde Erde in ihr sehen, unver¬ gleichlich kleiner ist, als die Zahl der mit Geld zurückkehrenden Polen, die mit diesem Gelde die Kassen der polnischen Kreditvereine speisen. Wie man berechnet hat, findet durch die sogenannte Sachsengängerei Jahr für Jahr ein Abfluß von acht bis zehn Millionen Mark aus dem reichern Westen nach unserm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/403>, abgerufen am 29.12.2024.