Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Aus unsrer Gstmark als die dort heimischen, und weil der Bedarf an Arbeitskräften durch die ein- Fast in allen Städten Posens und Westpreußens nimmt das deutsche Aus unsrer Gstmark als die dort heimischen, und weil der Bedarf an Arbeitskräften durch die ein- Fast in allen Städten Posens und Westpreußens nimmt das deutsche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225986"/> <fw type="header" place="top"> Aus unsrer Gstmark</fw><lb/> <p xml:id="ID_1005" prev="#ID_1004"> als die dort heimischen, und weil der Bedarf an Arbeitskräften durch die ein-<lb/> geborne Arbeiterbevölkerung nicht gedeckt sein mochte, mit Freuden aufgenommen<lb/> wurden. Gleichzeitig begann der Nachwuchs der alteingesessenen kinderreichen<lb/> deutschen Bauern, namentlich der Nctzegegend, sich von der heimatlichen Scholle<lb/> abzulösen und in die ackerbautreibenden Staaten Nordamerikas überzusiedeln.<lb/> Als dann die großen deutschen Städte, Berlin voran, einen beispiellosen wirt¬<lb/> schaftlichen Aufschwung nahmen und die Krisis der ostelbischen Landwirtschaft<lb/> in ein chronisches Leiden ausartete, folgten dem Beispiel der Arbeiter und<lb/> Bauern die deutschen Städter, die Kaufleute und die Handwerker; in lücken¬<lb/> losen Zuge räumen sie die halbslawischen Ostprovinzeu, weil sie in rein deutschen<lb/> Gegenden ein reichlicheres Stück Brot als in ihrer ausgepowerten Heimat und<lb/> ungestörte Ruhe vor polnischer Konkurrenz und polnischem Übermut zu finden<lb/> hoffen. Besonders Juden wandern in großer Zahl ab; sie haben sich in dem<lb/> Jahrzehnt von 1885 bis 1895 in der Provinz Posen um 11000 (auf 40000)<lb/> vermindert; da sie, so zweifelhaft ihr Verhalten aus wahltaktischen und geschäft¬<lb/> lichen Gründen im einzelnen Falle ist, mit verschwindenden Ausnahmen deutsch<lb/> empfinden, deutsch gebildet und meist wohlhabend, wo nicht reich sind, so er¬<lb/> leidet das Deutschtum durch ihren Abzug, alles in allem genommen, einen<lb/> schweren, schwer auszugleichenden Verlust. Nicht minder groß ist ein andrer<lb/> Verlust für das deutsche Element der Städte ans einem andern Grunde.<lb/> Während der Pole, der Vermögen erworben hat, in seiner Stadt bleibt oder<lb/> vom Lande in die Stadt zieht, d. h. der Heimat, an der er mit allen Fasern<lb/> seines Herzens hängt, erhalten wird, siedeln die deutschen christlichen Rentner<lb/> und besonders die pensionirten Beamten, durch das slawische Wesen abgestoßen<lb/> und die Beteiligung an dem Nationalitntcnkampfe ängstlich meidend, sofort in<lb/> deutsche Gegenden über, um ihr Leben unter Deutschen zu beschließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1006" next="#ID_1007"> Fast in allen Städten Posens und Westpreußens nimmt das deutsche<lb/> Element entweder ab oder wenigstens nicht zu, während sich das polnische mit<lb/> unheimlicher Schnelligkeit vermehrt. Als ungelernter Lohnarbeiter zieht der<lb/> Pole, zum Teil durch die sich entwickelnde Industrie angezogen, mit Weib und<lb/> zahlreichen Kindern vom Lande in die Stadt; er lebt dort aus der Hand in<lb/> den Mund, läßt sich auch wohl auf Kosten des Armenetats, d. h. der steuer-<lb/> kräftigeu Deutschen durchfüttern. Ein Teil steigt allmählich, vielleicht erst in<lb/> der jüngern Generation, in den Handwerker- und Kaufmannsstand empor,<lb/> schlägt durch billigere Preise, aber auch nicht selten durch bessere Ware die<lb/> deutsche Konkurrenz, die von den polnischen Käufern grundsätzlich gemieden,<lb/> von den deutschen charakterloscrwcise immer wieder im Stich gelassen wird,<lb/> aus dem Felde und zwingt sie, das Feld und die Provinz zu räumen. Durch<lb/> ein vorzüglich organisirtes Kreditwesen gefördert, find die genannten Berufe,<lb/> zu denen auch der rückwärts gehende polnische Adel sein Kontingent stellt,<lb/> sichtlich im Aufsteige» begriffen; sie eignen sich die Tugenden der Deutschen,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Aus unsrer Gstmark
als die dort heimischen, und weil der Bedarf an Arbeitskräften durch die ein-
geborne Arbeiterbevölkerung nicht gedeckt sein mochte, mit Freuden aufgenommen
wurden. Gleichzeitig begann der Nachwuchs der alteingesessenen kinderreichen
deutschen Bauern, namentlich der Nctzegegend, sich von der heimatlichen Scholle
abzulösen und in die ackerbautreibenden Staaten Nordamerikas überzusiedeln.
Als dann die großen deutschen Städte, Berlin voran, einen beispiellosen wirt¬
schaftlichen Aufschwung nahmen und die Krisis der ostelbischen Landwirtschaft
in ein chronisches Leiden ausartete, folgten dem Beispiel der Arbeiter und
Bauern die deutschen Städter, die Kaufleute und die Handwerker; in lücken¬
losen Zuge räumen sie die halbslawischen Ostprovinzeu, weil sie in rein deutschen
Gegenden ein reichlicheres Stück Brot als in ihrer ausgepowerten Heimat und
ungestörte Ruhe vor polnischer Konkurrenz und polnischem Übermut zu finden
hoffen. Besonders Juden wandern in großer Zahl ab; sie haben sich in dem
Jahrzehnt von 1885 bis 1895 in der Provinz Posen um 11000 (auf 40000)
vermindert; da sie, so zweifelhaft ihr Verhalten aus wahltaktischen und geschäft¬
lichen Gründen im einzelnen Falle ist, mit verschwindenden Ausnahmen deutsch
empfinden, deutsch gebildet und meist wohlhabend, wo nicht reich sind, so er¬
leidet das Deutschtum durch ihren Abzug, alles in allem genommen, einen
schweren, schwer auszugleichenden Verlust. Nicht minder groß ist ein andrer
Verlust für das deutsche Element der Städte ans einem andern Grunde.
Während der Pole, der Vermögen erworben hat, in seiner Stadt bleibt oder
vom Lande in die Stadt zieht, d. h. der Heimat, an der er mit allen Fasern
seines Herzens hängt, erhalten wird, siedeln die deutschen christlichen Rentner
und besonders die pensionirten Beamten, durch das slawische Wesen abgestoßen
und die Beteiligung an dem Nationalitntcnkampfe ängstlich meidend, sofort in
deutsche Gegenden über, um ihr Leben unter Deutschen zu beschließen.
Fast in allen Städten Posens und Westpreußens nimmt das deutsche
Element entweder ab oder wenigstens nicht zu, während sich das polnische mit
unheimlicher Schnelligkeit vermehrt. Als ungelernter Lohnarbeiter zieht der
Pole, zum Teil durch die sich entwickelnde Industrie angezogen, mit Weib und
zahlreichen Kindern vom Lande in die Stadt; er lebt dort aus der Hand in
den Mund, läßt sich auch wohl auf Kosten des Armenetats, d. h. der steuer-
kräftigeu Deutschen durchfüttern. Ein Teil steigt allmählich, vielleicht erst in
der jüngern Generation, in den Handwerker- und Kaufmannsstand empor,
schlägt durch billigere Preise, aber auch nicht selten durch bessere Ware die
deutsche Konkurrenz, die von den polnischen Käufern grundsätzlich gemieden,
von den deutschen charakterloscrwcise immer wieder im Stich gelassen wird,
aus dem Felde und zwingt sie, das Feld und die Provinz zu räumen. Durch
ein vorzüglich organisirtes Kreditwesen gefördert, find die genannten Berufe,
zu denen auch der rückwärts gehende polnische Adel sein Kontingent stellt,
sichtlich im Aufsteige» begriffen; sie eignen sich die Tugenden der Deutschen,
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