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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der Ticrspiele

demselben Arme den Strick an sich, weil dieser ihn würgte, lief auf den Hinter¬
beinen und verteidigte sich mit der größten Tapferkeit gegen seine Angrcfferm.
Sein mutiger Kampf gewann ihm die Bewunderung der Araber in so hohem
Grade, daß ihm keiner sein geraubtes Pflegekind abnahm; sie jagten schließlich
lieber die Hündin weg. Unbehelligt brachte er den jungen Hund mit sich in
unsre Behausung, hätschelte, pflegte und wartete ihn sorgfältig, sprang mit
dem armen Tiere, das gar keinen Gefallen an solchen Tüuzcrkünstcn zu haben
fehlen, auf Mauern und Balken, ließ es dort in der gefährlichsten Lage los
und erlaubte sich andre Übergriffe, die wohl an einem jungen Affen, nicht
aber an einem Hunde gerechtfertigt sein mochten. Seine Freundschaft zu dem
Kleinen war groß; dies hinderte ihn jedoch uicht, alles Futter, das wir dem
jungen Hunde brachten, selbst an dessen Stelle zu fressen und das arme
hungrige Pflegekind auch uoch sorgfältig mit dem Arme wegzuhalten." Gerade
dieser letzte Zug läßt das vorhergehende Pflegen und Hätscheln als reine
Spielerei erscheinen, der sich hier übrigens die Experimentirlnst in einer für
das arme Hündchen peinigenden Weise beigesellt. Die Erscheinung, daß bei
verschiednen Vogelarten halberwachsene Tiere neugeborne Geschwister mit pflegen,
darf wohl auch als Spiel aufgefaßt werden; freilich ist dabei der Nachahmungs¬
trieb mindestens ebenso wichtig wie der Pflegeinstinkt.

Der Nachahmungstrieb, ein in der Entwicklungsgeschichte darum so
wichtiger Instinkt, weil er eine große Menge Arbeit unwillkürlich leisten lehrt
und dadurch der bewußten Willens- und Jntellektthätigkeit viel Kraft für
andre Zwecke erspart -- wie ihn denn in der That die klügsten Geschöpfe am
stärksten entwickelt zeigen, Affe und Mensch --, auch der Nachahmungstrieb
äußert sich spielend, d. h. ohne ernsten Anlaß. Das Lustgefühl, das dabei
eintritt, ist die uns bekannte Freude am Können, hier namentlich eine Freude
am Auchkönnen oder sogar Besferköunen. Ich erinnere mich lebhaft, mit
welchem Genuß ich als Schulknabe in der Turnstunde die Weit- und Hoch-
sprünge meiner Kameraden zum großen Teile innerlich begleitete. Diese innere
Nachahmung eines Vorgangs außer uns, die Einfühlung in das Objekt,
das dazu notwendige Leben in einem Doppelbewußtsein mit dem Gefühl des
Schaffens des Scheines, d. h. also immer wieder mit dem Urluftgcfühl des
Ursacheseins, der That, der Freiheit, das ist der Kern der ästhetischen Leistung.
Im Keime birgt ihn auch das Nachahmungsspiel der Tiere. Es bedarf nur
des Hinweises daraus, wie wichtig er für die Ausbildung der Einzelwesen wie
der Gattungen ist, was für Künste Vögel mit seiner Hilfe entwickeln (z. B.
die sprechenden Papageien und Raben), welche merkwürdigen Massenspiele
von Tieren (z. B. das GeWoge eines Mückenschwarmes) dnrch ihn geleitet
werden.

Auch Neugier saßt Groos als eine spielige Thätigkeit aus, und zwar
bezeichnet er sie als spielend ausgeführte theoretische Aufmerksamkeit, wobei er


Zur Psychologie der Ticrspiele

demselben Arme den Strick an sich, weil dieser ihn würgte, lief auf den Hinter¬
beinen und verteidigte sich mit der größten Tapferkeit gegen seine Angrcfferm.
Sein mutiger Kampf gewann ihm die Bewunderung der Araber in so hohem
Grade, daß ihm keiner sein geraubtes Pflegekind abnahm; sie jagten schließlich
lieber die Hündin weg. Unbehelligt brachte er den jungen Hund mit sich in
unsre Behausung, hätschelte, pflegte und wartete ihn sorgfältig, sprang mit
dem armen Tiere, das gar keinen Gefallen an solchen Tüuzcrkünstcn zu haben
fehlen, auf Mauern und Balken, ließ es dort in der gefährlichsten Lage los
und erlaubte sich andre Übergriffe, die wohl an einem jungen Affen, nicht
aber an einem Hunde gerechtfertigt sein mochten. Seine Freundschaft zu dem
Kleinen war groß; dies hinderte ihn jedoch uicht, alles Futter, das wir dem
jungen Hunde brachten, selbst an dessen Stelle zu fressen und das arme
hungrige Pflegekind auch uoch sorgfältig mit dem Arme wegzuhalten." Gerade
dieser letzte Zug läßt das vorhergehende Pflegen und Hätscheln als reine
Spielerei erscheinen, der sich hier übrigens die Experimentirlnst in einer für
das arme Hündchen peinigenden Weise beigesellt. Die Erscheinung, daß bei
verschiednen Vogelarten halberwachsene Tiere neugeborne Geschwister mit pflegen,
darf wohl auch als Spiel aufgefaßt werden; freilich ist dabei der Nachahmungs¬
trieb mindestens ebenso wichtig wie der Pflegeinstinkt.

Der Nachahmungstrieb, ein in der Entwicklungsgeschichte darum so
wichtiger Instinkt, weil er eine große Menge Arbeit unwillkürlich leisten lehrt
und dadurch der bewußten Willens- und Jntellektthätigkeit viel Kraft für
andre Zwecke erspart — wie ihn denn in der That die klügsten Geschöpfe am
stärksten entwickelt zeigen, Affe und Mensch —, auch der Nachahmungstrieb
äußert sich spielend, d. h. ohne ernsten Anlaß. Das Lustgefühl, das dabei
eintritt, ist die uns bekannte Freude am Können, hier namentlich eine Freude
am Auchkönnen oder sogar Besferköunen. Ich erinnere mich lebhaft, mit
welchem Genuß ich als Schulknabe in der Turnstunde die Weit- und Hoch-
sprünge meiner Kameraden zum großen Teile innerlich begleitete. Diese innere
Nachahmung eines Vorgangs außer uns, die Einfühlung in das Objekt,
das dazu notwendige Leben in einem Doppelbewußtsein mit dem Gefühl des
Schaffens des Scheines, d. h. also immer wieder mit dem Urluftgcfühl des
Ursacheseins, der That, der Freiheit, das ist der Kern der ästhetischen Leistung.
Im Keime birgt ihn auch das Nachahmungsspiel der Tiere. Es bedarf nur
des Hinweises daraus, wie wichtig er für die Ausbildung der Einzelwesen wie
der Gattungen ist, was für Künste Vögel mit seiner Hilfe entwickeln (z. B.
die sprechenden Papageien und Raben), welche merkwürdigen Massenspiele
von Tieren (z. B. das GeWoge eines Mückenschwarmes) dnrch ihn geleitet
werden.

Auch Neugier saßt Groos als eine spielige Thätigkeit aus, und zwar
bezeichnet er sie als spielend ausgeführte theoretische Aufmerksamkeit, wobei er


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[0039] Zur Psychologie der Ticrspiele demselben Arme den Strick an sich, weil dieser ihn würgte, lief auf den Hinter¬ beinen und verteidigte sich mit der größten Tapferkeit gegen seine Angrcfferm. Sein mutiger Kampf gewann ihm die Bewunderung der Araber in so hohem Grade, daß ihm keiner sein geraubtes Pflegekind abnahm; sie jagten schließlich lieber die Hündin weg. Unbehelligt brachte er den jungen Hund mit sich in unsre Behausung, hätschelte, pflegte und wartete ihn sorgfältig, sprang mit dem armen Tiere, das gar keinen Gefallen an solchen Tüuzcrkünstcn zu haben fehlen, auf Mauern und Balken, ließ es dort in der gefährlichsten Lage los und erlaubte sich andre Übergriffe, die wohl an einem jungen Affen, nicht aber an einem Hunde gerechtfertigt sein mochten. Seine Freundschaft zu dem Kleinen war groß; dies hinderte ihn jedoch uicht, alles Futter, das wir dem jungen Hunde brachten, selbst an dessen Stelle zu fressen und das arme hungrige Pflegekind auch uoch sorgfältig mit dem Arme wegzuhalten." Gerade dieser letzte Zug läßt das vorhergehende Pflegen und Hätscheln als reine Spielerei erscheinen, der sich hier übrigens die Experimentirlnst in einer für das arme Hündchen peinigenden Weise beigesellt. Die Erscheinung, daß bei verschiednen Vogelarten halberwachsene Tiere neugeborne Geschwister mit pflegen, darf wohl auch als Spiel aufgefaßt werden; freilich ist dabei der Nachahmungs¬ trieb mindestens ebenso wichtig wie der Pflegeinstinkt. Der Nachahmungstrieb, ein in der Entwicklungsgeschichte darum so wichtiger Instinkt, weil er eine große Menge Arbeit unwillkürlich leisten lehrt und dadurch der bewußten Willens- und Jntellektthätigkeit viel Kraft für andre Zwecke erspart — wie ihn denn in der That die klügsten Geschöpfe am stärksten entwickelt zeigen, Affe und Mensch —, auch der Nachahmungstrieb äußert sich spielend, d. h. ohne ernsten Anlaß. Das Lustgefühl, das dabei eintritt, ist die uns bekannte Freude am Können, hier namentlich eine Freude am Auchkönnen oder sogar Besferköunen. Ich erinnere mich lebhaft, mit welchem Genuß ich als Schulknabe in der Turnstunde die Weit- und Hoch- sprünge meiner Kameraden zum großen Teile innerlich begleitete. Diese innere Nachahmung eines Vorgangs außer uns, die Einfühlung in das Objekt, das dazu notwendige Leben in einem Doppelbewußtsein mit dem Gefühl des Schaffens des Scheines, d. h. also immer wieder mit dem Urluftgcfühl des Ursacheseins, der That, der Freiheit, das ist der Kern der ästhetischen Leistung. Im Keime birgt ihn auch das Nachahmungsspiel der Tiere. Es bedarf nur des Hinweises daraus, wie wichtig er für die Ausbildung der Einzelwesen wie der Gattungen ist, was für Künste Vögel mit seiner Hilfe entwickeln (z. B. die sprechenden Papageien und Raben), welche merkwürdigen Massenspiele von Tieren (z. B. das GeWoge eines Mückenschwarmes) dnrch ihn geleitet werden. Auch Neugier saßt Groos als eine spielige Thätigkeit aus, und zwar bezeichnet er sie als spielend ausgeführte theoretische Aufmerksamkeit, wobei er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/39>, abgerufen am 24.07.2024.