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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Reserve- und Landwehrofsiziere

zugeteilt sind, kein für sie instruktiver Dienst ist, zu einer andern Kompagnie
kommandiren könnte, ohne daß das zu Konflikten führen würde. Es kommt
nämlich vor, daß der Kompagniedienst mit dem von dem Stabsoffizier an¬
geordneten Dienst zusammentrifft; in wie unangenehme Lagen dann der ein-
gezvgne Offizier geraten muß, läßt sich denken. Alles das würde vermieden
werden, wenn der Unterricht dem vorgesetzten Bataillonskommandeur über¬
tragen würde.

Daß die jetzige Ausbildung der Reserve- und Landwehroffiziere oft den
Bestimmungen der Heeresordnung nicht genügt, sondern recht mangelhaft ist,
wird von den aktiven Offizieren sehr wohl bemerkt und oft besprochen. Man
sucht aber den Grund des Übels nicht da, wo er liegt, sondern man schiebt
die schlechten Leistungen auf "Interesselosigkeit," "Unaufmerksamkeit," schlechte
"Qualität" des "Materials," Mangel an militärischen Anlagen und dergleichen.
Kleine Versehen und Unwissenheiten werden da oft in einer Weise und in
einem Tone gerügt, die wenig Überlegung und wenig Pädagogik verrät, vor
allem aber wenig Rücksicht darauf, daß der Offizier des Beurlanbtenstandes
in seinem Zivilverhältnis doch gottlob eine andre Behandlung gewöhnt ist.
Immer gleich heftiges Anfahren, immer gleich der Vorwurf des Nichtwollens
oder der Unaufmerksamkeit!

Dazu kommt noch etwas andres, was ebenfalls in Ur. 15. der Grenz¬
boten schon hervorgehoben worden ist: das Gefühl der Unsicherheit, von dem
das Offizierkorps heute beherrscht wird. Über Fundamentalsätze der Taktik,
ja des gewöhnlichen Gefechtsexerzirens herrscht Streit. Was vor kurzer Zeit
unter einem andern kommandirenden General oder Divisionür verpönt war, ist
heute das "Neueste," und was damals sorgfältig geübt wurde, ist heute der
größte Unsinn. Am interessantesten kommt dies zur Erscheinung bei den aus
einem Armeekorps in ein andres versetzten aktiven Offizieren. Wie unsicher
fühlen sich die oft! Welche Urteile werden da über die ganz andre Taktik
des neuen Korps laut! Und da wundert man sich, wenn der nach langer
Pause wieder eingezogne Offizier des Beurlanbtenstandes in seinem Auftreten
unsicher ist und oft nicht weiß, wie er es dem Vorgesetzten recht machen soll.
Wird er nun unverdient gerüffelt, fallen gar ""parlamentarische Ausdrücke,
über die er sich verletzt fühlen muß, so heißt es: "Sie haben durch Ihre mangel¬
haften Leistungen diese "Hinreißung" veranlaßt und hatten keinen Grund, den
Beleidigten zu spielen."

Doch genug von solchen Einzelheiten. Eine Reform der heutigen Aus¬
bildung der Offiziere des Benrlaubtenstandes wird sich ungefähr an folgendes
Programm halten müssen: 1. Anberanmung der Übungen zwischen der Bataillons¬
besichtigung und dem Schluß der Herbstübungen. 2. Möglichste Ausnutzung
der Zeit zu kriegsmüßiger Ausbildung. 3. Theoretischer und praktischer Unter¬
richt durch den vorgesetzten Bataillonskommandeur. 4. Persönliche Über-


Grenzboten III 1897 4g
Reserve- und Landwehrofsiziere

zugeteilt sind, kein für sie instruktiver Dienst ist, zu einer andern Kompagnie
kommandiren könnte, ohne daß das zu Konflikten führen würde. Es kommt
nämlich vor, daß der Kompagniedienst mit dem von dem Stabsoffizier an¬
geordneten Dienst zusammentrifft; in wie unangenehme Lagen dann der ein-
gezvgne Offizier geraten muß, läßt sich denken. Alles das würde vermieden
werden, wenn der Unterricht dem vorgesetzten Bataillonskommandeur über¬
tragen würde.

Daß die jetzige Ausbildung der Reserve- und Landwehroffiziere oft den
Bestimmungen der Heeresordnung nicht genügt, sondern recht mangelhaft ist,
wird von den aktiven Offizieren sehr wohl bemerkt und oft besprochen. Man
sucht aber den Grund des Übels nicht da, wo er liegt, sondern man schiebt
die schlechten Leistungen auf „Interesselosigkeit," „Unaufmerksamkeit," schlechte
„Qualität" des „Materials," Mangel an militärischen Anlagen und dergleichen.
Kleine Versehen und Unwissenheiten werden da oft in einer Weise und in
einem Tone gerügt, die wenig Überlegung und wenig Pädagogik verrät, vor
allem aber wenig Rücksicht darauf, daß der Offizier des Beurlanbtenstandes
in seinem Zivilverhältnis doch gottlob eine andre Behandlung gewöhnt ist.
Immer gleich heftiges Anfahren, immer gleich der Vorwurf des Nichtwollens
oder der Unaufmerksamkeit!

Dazu kommt noch etwas andres, was ebenfalls in Ur. 15. der Grenz¬
boten schon hervorgehoben worden ist: das Gefühl der Unsicherheit, von dem
das Offizierkorps heute beherrscht wird. Über Fundamentalsätze der Taktik,
ja des gewöhnlichen Gefechtsexerzirens herrscht Streit. Was vor kurzer Zeit
unter einem andern kommandirenden General oder Divisionür verpönt war, ist
heute das „Neueste," und was damals sorgfältig geübt wurde, ist heute der
größte Unsinn. Am interessantesten kommt dies zur Erscheinung bei den aus
einem Armeekorps in ein andres versetzten aktiven Offizieren. Wie unsicher
fühlen sich die oft! Welche Urteile werden da über die ganz andre Taktik
des neuen Korps laut! Und da wundert man sich, wenn der nach langer
Pause wieder eingezogne Offizier des Beurlanbtenstandes in seinem Auftreten
unsicher ist und oft nicht weiß, wie er es dem Vorgesetzten recht machen soll.
Wird er nun unverdient gerüffelt, fallen gar »»parlamentarische Ausdrücke,
über die er sich verletzt fühlen muß, so heißt es: „Sie haben durch Ihre mangel¬
haften Leistungen diese »Hinreißung« veranlaßt und hatten keinen Grund, den
Beleidigten zu spielen."

Doch genug von solchen Einzelheiten. Eine Reform der heutigen Aus¬
bildung der Offiziere des Benrlaubtenstandes wird sich ungefähr an folgendes
Programm halten müssen: 1. Anberanmung der Übungen zwischen der Bataillons¬
besichtigung und dem Schluß der Herbstübungen. 2. Möglichste Ausnutzung
der Zeit zu kriegsmüßiger Ausbildung. 3. Theoretischer und praktischer Unter¬
richt durch den vorgesetzten Bataillonskommandeur. 4. Persönliche Über-


Grenzboten III 1897 4g
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[0361] Reserve- und Landwehrofsiziere zugeteilt sind, kein für sie instruktiver Dienst ist, zu einer andern Kompagnie kommandiren könnte, ohne daß das zu Konflikten führen würde. Es kommt nämlich vor, daß der Kompagniedienst mit dem von dem Stabsoffizier an¬ geordneten Dienst zusammentrifft; in wie unangenehme Lagen dann der ein- gezvgne Offizier geraten muß, läßt sich denken. Alles das würde vermieden werden, wenn der Unterricht dem vorgesetzten Bataillonskommandeur über¬ tragen würde. Daß die jetzige Ausbildung der Reserve- und Landwehroffiziere oft den Bestimmungen der Heeresordnung nicht genügt, sondern recht mangelhaft ist, wird von den aktiven Offizieren sehr wohl bemerkt und oft besprochen. Man sucht aber den Grund des Übels nicht da, wo er liegt, sondern man schiebt die schlechten Leistungen auf „Interesselosigkeit," „Unaufmerksamkeit," schlechte „Qualität" des „Materials," Mangel an militärischen Anlagen und dergleichen. Kleine Versehen und Unwissenheiten werden da oft in einer Weise und in einem Tone gerügt, die wenig Überlegung und wenig Pädagogik verrät, vor allem aber wenig Rücksicht darauf, daß der Offizier des Beurlanbtenstandes in seinem Zivilverhältnis doch gottlob eine andre Behandlung gewöhnt ist. Immer gleich heftiges Anfahren, immer gleich der Vorwurf des Nichtwollens oder der Unaufmerksamkeit! Dazu kommt noch etwas andres, was ebenfalls in Ur. 15. der Grenz¬ boten schon hervorgehoben worden ist: das Gefühl der Unsicherheit, von dem das Offizierkorps heute beherrscht wird. Über Fundamentalsätze der Taktik, ja des gewöhnlichen Gefechtsexerzirens herrscht Streit. Was vor kurzer Zeit unter einem andern kommandirenden General oder Divisionür verpönt war, ist heute das „Neueste," und was damals sorgfältig geübt wurde, ist heute der größte Unsinn. Am interessantesten kommt dies zur Erscheinung bei den aus einem Armeekorps in ein andres versetzten aktiven Offizieren. Wie unsicher fühlen sich die oft! Welche Urteile werden da über die ganz andre Taktik des neuen Korps laut! Und da wundert man sich, wenn der nach langer Pause wieder eingezogne Offizier des Beurlanbtenstandes in seinem Auftreten unsicher ist und oft nicht weiß, wie er es dem Vorgesetzten recht machen soll. Wird er nun unverdient gerüffelt, fallen gar »»parlamentarische Ausdrücke, über die er sich verletzt fühlen muß, so heißt es: „Sie haben durch Ihre mangel¬ haften Leistungen diese »Hinreißung« veranlaßt und hatten keinen Grund, den Beleidigten zu spielen." Doch genug von solchen Einzelheiten. Eine Reform der heutigen Aus¬ bildung der Offiziere des Benrlaubtenstandes wird sich ungefähr an folgendes Programm halten müssen: 1. Anberanmung der Übungen zwischen der Bataillons¬ besichtigung und dem Schluß der Herbstübungen. 2. Möglichste Ausnutzung der Zeit zu kriegsmüßiger Ausbildung. 3. Theoretischer und praktischer Unter¬ richt durch den vorgesetzten Bataillonskommandeur. 4. Persönliche Über- Grenzboten III 1897 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/361>, abgerufen am 28.12.2024.