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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Miquel und Bennigsen

lichkeit, sondern nur noch Heiterkeit bereitet. Es ist wahr, als Finanzminister
hat der viel gewandte Mann seinen Namen unter das übelberüchtigte Schul¬
gesetz gesetzt und in seiner neuen Stellung muß er die Novelle zum Vereins-
gesetz verteidigen. Wer nicht weiter sieht, als ihm der Horizont seiner haus-
backnen Politik gestattet, der wird allerdings ein Zetergeschrei erheben, aber
wer einen tiefern Blick in den Gang der Geschichte gethan hat, der weiß,
daß die Wege, die leitende Männer gehen müssen, nicht immer gerade sein
können. Auch versteht er es, wenn sie nicht selten in Gesellschaft von Per¬
sonen und in Verbindung mit Dingen gesehen werden, die sie beide nach freier
Wahl nicht um sich dulden würden. Es ist eine Folge aus der Realität des
uns umdrängenden Lebens; der Einzelne allein, und wäre er der größte, kann
es nicht ändern.

Für den Volksvertreter ist es leicht, seine Wahl zu treffen. Das Partei¬
programm liegt fertig vor ihm, er braucht nur in die ausgetretnen Schuhe
hineinzuhüpfen, und nun trabt er, ohne daß ihn die Hühneraugen drücken,
überall mit hin, wohin die Parteileitung ruft. Wenn es doch ein Minister
auch nicht schwerer hätte, wie leicht würde dann das Regieren von der Stelle
gehen! Aber der an oberster Stelle stehende Staatsdiener darf nicht an das
Programm Eugen Richters glauben, ebenso wenig wie sich Wallenstein in die
Weisheit der Kapuzinerkutte einschnüren lassen darf, wenn er seine Schlacht¬
haufen dahin bringen will, wo er sie braucht. Der wackere Führer der Frei¬
sinnigen ist der Überzeugung, daß der Minister Miquel nur auf den für ihn
bereit gehaltnen Wagen zu springen brauche, und daß er dann bequem an das
allen ersprießliche Ziel fahren werde. Aber dasselbe glauben die National¬
liberalen, und erst recht die Agrarier und das Zentrum. Es ist zu verwundern,
daß die Negierung nicht gerade bei uns Platz nimmt -- so sagen sie alle; denn
daß sie sich etwa vorspannen lassen sollte vor unser Fuhrwerk, daran ist vor der
Hand nicht zu denken, es ist von jeher für die in Preußen Regierenden Tradition
gewesen, selber zu fahren. Aber wenn man nur erst das Programm des neuen
Ministers kennte, um genau sehen zu können, ob man an dem Karren ziehen
darf, worauf er seine Regierungsgeschäfte verladen hat. Herr von Miquel
fährt elegant genug vor und läßt sein Programm weithin leuchten: im Grnnde
ist es fehr schmeichelhaft für die Parteien. Durch euch alle scheint die Sonne
der Wahrheit hindurch, sagt er, das unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, aber
ihr dürft mir nicht glauben, daß jede einzeln von euch sie allein im Besitz habe.
Deshalb tretet alle etwas zur Seite, die einen ein bischen nach links, und die
andern ebenso weit nach rechts, während ich das Zentrum bitte, einige Schritte
ans der Mitte hervorzukommen, damit da etwas mehr Licht einfallen kann-
Glaubt mir, wir werden dann alle in eine mittlere Linie einrücken, auf der
allein, soweit das Menschen möglich ist, die Interessen aller gleichmüßig wahr¬
genommen werden können.


Miquel und Bennigsen

lichkeit, sondern nur noch Heiterkeit bereitet. Es ist wahr, als Finanzminister
hat der viel gewandte Mann seinen Namen unter das übelberüchtigte Schul¬
gesetz gesetzt und in seiner neuen Stellung muß er die Novelle zum Vereins-
gesetz verteidigen. Wer nicht weiter sieht, als ihm der Horizont seiner haus-
backnen Politik gestattet, der wird allerdings ein Zetergeschrei erheben, aber
wer einen tiefern Blick in den Gang der Geschichte gethan hat, der weiß,
daß die Wege, die leitende Männer gehen müssen, nicht immer gerade sein
können. Auch versteht er es, wenn sie nicht selten in Gesellschaft von Per¬
sonen und in Verbindung mit Dingen gesehen werden, die sie beide nach freier
Wahl nicht um sich dulden würden. Es ist eine Folge aus der Realität des
uns umdrängenden Lebens; der Einzelne allein, und wäre er der größte, kann
es nicht ändern.

Für den Volksvertreter ist es leicht, seine Wahl zu treffen. Das Partei¬
programm liegt fertig vor ihm, er braucht nur in die ausgetretnen Schuhe
hineinzuhüpfen, und nun trabt er, ohne daß ihn die Hühneraugen drücken,
überall mit hin, wohin die Parteileitung ruft. Wenn es doch ein Minister
auch nicht schwerer hätte, wie leicht würde dann das Regieren von der Stelle
gehen! Aber der an oberster Stelle stehende Staatsdiener darf nicht an das
Programm Eugen Richters glauben, ebenso wenig wie sich Wallenstein in die
Weisheit der Kapuzinerkutte einschnüren lassen darf, wenn er seine Schlacht¬
haufen dahin bringen will, wo er sie braucht. Der wackere Führer der Frei¬
sinnigen ist der Überzeugung, daß der Minister Miquel nur auf den für ihn
bereit gehaltnen Wagen zu springen brauche, und daß er dann bequem an das
allen ersprießliche Ziel fahren werde. Aber dasselbe glauben die National¬
liberalen, und erst recht die Agrarier und das Zentrum. Es ist zu verwundern,
daß die Negierung nicht gerade bei uns Platz nimmt — so sagen sie alle; denn
daß sie sich etwa vorspannen lassen sollte vor unser Fuhrwerk, daran ist vor der
Hand nicht zu denken, es ist von jeher für die in Preußen Regierenden Tradition
gewesen, selber zu fahren. Aber wenn man nur erst das Programm des neuen
Ministers kennte, um genau sehen zu können, ob man an dem Karren ziehen
darf, worauf er seine Regierungsgeschäfte verladen hat. Herr von Miquel
fährt elegant genug vor und läßt sein Programm weithin leuchten: im Grnnde
ist es fehr schmeichelhaft für die Parteien. Durch euch alle scheint die Sonne
der Wahrheit hindurch, sagt er, das unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, aber
ihr dürft mir nicht glauben, daß jede einzeln von euch sie allein im Besitz habe.
Deshalb tretet alle etwas zur Seite, die einen ein bischen nach links, und die
andern ebenso weit nach rechts, während ich das Zentrum bitte, einige Schritte
ans der Mitte hervorzukommen, damit da etwas mehr Licht einfallen kann-
Glaubt mir, wir werden dann alle in eine mittlere Linie einrücken, auf der
allein, soweit das Menschen möglich ist, die Interessen aller gleichmüßig wahr¬
genommen werden können.


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[0352] Miquel und Bennigsen lichkeit, sondern nur noch Heiterkeit bereitet. Es ist wahr, als Finanzminister hat der viel gewandte Mann seinen Namen unter das übelberüchtigte Schul¬ gesetz gesetzt und in seiner neuen Stellung muß er die Novelle zum Vereins- gesetz verteidigen. Wer nicht weiter sieht, als ihm der Horizont seiner haus- backnen Politik gestattet, der wird allerdings ein Zetergeschrei erheben, aber wer einen tiefern Blick in den Gang der Geschichte gethan hat, der weiß, daß die Wege, die leitende Männer gehen müssen, nicht immer gerade sein können. Auch versteht er es, wenn sie nicht selten in Gesellschaft von Per¬ sonen und in Verbindung mit Dingen gesehen werden, die sie beide nach freier Wahl nicht um sich dulden würden. Es ist eine Folge aus der Realität des uns umdrängenden Lebens; der Einzelne allein, und wäre er der größte, kann es nicht ändern. Für den Volksvertreter ist es leicht, seine Wahl zu treffen. Das Partei¬ programm liegt fertig vor ihm, er braucht nur in die ausgetretnen Schuhe hineinzuhüpfen, und nun trabt er, ohne daß ihn die Hühneraugen drücken, überall mit hin, wohin die Parteileitung ruft. Wenn es doch ein Minister auch nicht schwerer hätte, wie leicht würde dann das Regieren von der Stelle gehen! Aber der an oberster Stelle stehende Staatsdiener darf nicht an das Programm Eugen Richters glauben, ebenso wenig wie sich Wallenstein in die Weisheit der Kapuzinerkutte einschnüren lassen darf, wenn er seine Schlacht¬ haufen dahin bringen will, wo er sie braucht. Der wackere Führer der Frei¬ sinnigen ist der Überzeugung, daß der Minister Miquel nur auf den für ihn bereit gehaltnen Wagen zu springen brauche, und daß er dann bequem an das allen ersprießliche Ziel fahren werde. Aber dasselbe glauben die National¬ liberalen, und erst recht die Agrarier und das Zentrum. Es ist zu verwundern, daß die Negierung nicht gerade bei uns Platz nimmt — so sagen sie alle; denn daß sie sich etwa vorspannen lassen sollte vor unser Fuhrwerk, daran ist vor der Hand nicht zu denken, es ist von jeher für die in Preußen Regierenden Tradition gewesen, selber zu fahren. Aber wenn man nur erst das Programm des neuen Ministers kennte, um genau sehen zu können, ob man an dem Karren ziehen darf, worauf er seine Regierungsgeschäfte verladen hat. Herr von Miquel fährt elegant genug vor und läßt sein Programm weithin leuchten: im Grnnde ist es fehr schmeichelhaft für die Parteien. Durch euch alle scheint die Sonne der Wahrheit hindurch, sagt er, das unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, aber ihr dürft mir nicht glauben, daß jede einzeln von euch sie allein im Besitz habe. Deshalb tretet alle etwas zur Seite, die einen ein bischen nach links, und die andern ebenso weit nach rechts, während ich das Zentrum bitte, einige Schritte ans der Mitte hervorzukommen, damit da etwas mehr Licht einfallen kann- Glaubt mir, wir werden dann alle in eine mittlere Linie einrücken, auf der allein, soweit das Menschen möglich ist, die Interessen aller gleichmüßig wahr¬ genommen werden können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/352>, abgerufen am 24.07.2024.