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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage

mit diesem Lande gleichen Schritt im Flottenbau zu halten, umso mehr als
Japans Gewerbthätigkeit im Laufe der kommenden Jahrzehnte uns in einen
sehr gefährlichen wirtschaftlichen Wettkampf mit diesem braven und liebens¬
würdigen, aber auch energischen und rücksichtslosen Völkchen verwickeln wird.
Die deutscheu Streichholzfabrikanten können schon jetzt ein Lied davon singen;
in Japan hergestellte "Schweden" überschwemmen schon Australien und Süd¬
amerika.

Mars giebt zu, "daß namentlich Völker, die die See beherrschten, großen
Wohlstand erreicht haben," meint aber, das sei nicht das ideale Ziel staatlicher
Entwicklung. Eine sonderbare Einschränkung! Die allgemeine Wohlfahrt ist
doch unmöglich ohne Förderung des allgemeinen Wohlstands; auch die sittliche
und geistige Hebung des Volkes setzt die Erhöhung seiner Erwerbsquellen
voraus, auch Kirche und Schule bedürfen der Geldmittel, um ihre Aufgaben
erfüllen zu können. Die Geschichte lehrt auch, daß alle thatkräftigen Völker
und Herrscher uach Vermehrung ihrer Besitztümer und damit nach Vergrößerung
ihres Wohlstands strebten. Zugehen kann man, daß einzelne Völker auch ohne
starke Flotte zur Blüte gelangt sind; aber Mars irrt sehr, wenn er Rom und
Nußland dazu rechnen zu dürfen glaubt. Roms Glanzzeit begann erst, als
Karthago zerstört war, als dem mächtigsten Handelsvolke der alten Welt nach
schweren Kämpfen der Dreizack entrissen war. Und Rußland erwachte erst aus
seiner barbarischen, kräftezersplitternden Bedeutungslosigkeit, als ihm Peter der
Große die Flotte schuf. Die Osmanen mußten übers Meer, um Stambul zu
gewinnen. So bleiben von den Reichen, die nach Mars ohne Flotte zur Blüte
gelangt sind, nur Persien, China, die indischen Reiche und das Reich der Inkas
übrig, von denen aber doch zu wenig sichres bekannt ist, als daß man sie als
Muster von Landmächten aufführen könnte. Das deutsche Reich zur Zeit der
Salier und Hohenstaufen aber war in der glücklichen Lage, daß es Boden im
Überfluß für seine nach heutigen Begriffen sehr schwache Bevölkerung hatte.

"Deutschland würde -- meint Mars -- gleichwie es mit der Erwerbung
seines Kolonialbesitzes zu spät gekommen ist, auch mit der Schaffung einer
großen Flotte, selbst wenn es dabei nicht, wie höchst wahrscheinlich, von den
übrigen Seemächten wiederum übertroffen würde, xost es8wir>, kommen." Spät
sind wir freilich mit der Erwerbung von Kolonien gekommen, aber doch durch¬
aus noch nicht zu spät. Was heißt denn überhaupt xost, l^wir, in der
Geschichte? War es vielleicht zu spät, als die Römer nach dem Muster der
gestrandeten punischen Triere ihre Flotte bauten? Kam etwa Cromwell mit
seiner Navigationsakte, die die Handelsschiffahrt des seemächtigen Hollands
vernichtete, xost, tsstum? Nur der Erfolg ist maßgebend, das läßt sich an
Hunderten von Beispielen zeigen; Maßregeln aber, die zum Erfolge führen
sollen, g> priori zurückzuweisen, weil sie doch xost, tsstuiu kämen, das thun nur
altersschwache Menschen. Das ist eine Kleinmütigkeit, die wir minderwertigen


Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage

mit diesem Lande gleichen Schritt im Flottenbau zu halten, umso mehr als
Japans Gewerbthätigkeit im Laufe der kommenden Jahrzehnte uns in einen
sehr gefährlichen wirtschaftlichen Wettkampf mit diesem braven und liebens¬
würdigen, aber auch energischen und rücksichtslosen Völkchen verwickeln wird.
Die deutscheu Streichholzfabrikanten können schon jetzt ein Lied davon singen;
in Japan hergestellte „Schweden" überschwemmen schon Australien und Süd¬
amerika.

Mars giebt zu, „daß namentlich Völker, die die See beherrschten, großen
Wohlstand erreicht haben," meint aber, das sei nicht das ideale Ziel staatlicher
Entwicklung. Eine sonderbare Einschränkung! Die allgemeine Wohlfahrt ist
doch unmöglich ohne Förderung des allgemeinen Wohlstands; auch die sittliche
und geistige Hebung des Volkes setzt die Erhöhung seiner Erwerbsquellen
voraus, auch Kirche und Schule bedürfen der Geldmittel, um ihre Aufgaben
erfüllen zu können. Die Geschichte lehrt auch, daß alle thatkräftigen Völker
und Herrscher uach Vermehrung ihrer Besitztümer und damit nach Vergrößerung
ihres Wohlstands strebten. Zugehen kann man, daß einzelne Völker auch ohne
starke Flotte zur Blüte gelangt sind; aber Mars irrt sehr, wenn er Rom und
Nußland dazu rechnen zu dürfen glaubt. Roms Glanzzeit begann erst, als
Karthago zerstört war, als dem mächtigsten Handelsvolke der alten Welt nach
schweren Kämpfen der Dreizack entrissen war. Und Rußland erwachte erst aus
seiner barbarischen, kräftezersplitternden Bedeutungslosigkeit, als ihm Peter der
Große die Flotte schuf. Die Osmanen mußten übers Meer, um Stambul zu
gewinnen. So bleiben von den Reichen, die nach Mars ohne Flotte zur Blüte
gelangt sind, nur Persien, China, die indischen Reiche und das Reich der Inkas
übrig, von denen aber doch zu wenig sichres bekannt ist, als daß man sie als
Muster von Landmächten aufführen könnte. Das deutsche Reich zur Zeit der
Salier und Hohenstaufen aber war in der glücklichen Lage, daß es Boden im
Überfluß für seine nach heutigen Begriffen sehr schwache Bevölkerung hatte.

„Deutschland würde — meint Mars — gleichwie es mit der Erwerbung
seines Kolonialbesitzes zu spät gekommen ist, auch mit der Schaffung einer
großen Flotte, selbst wenn es dabei nicht, wie höchst wahrscheinlich, von den
übrigen Seemächten wiederum übertroffen würde, xost es8wir>, kommen." Spät
sind wir freilich mit der Erwerbung von Kolonien gekommen, aber doch durch¬
aus noch nicht zu spät. Was heißt denn überhaupt xost, l^wir, in der
Geschichte? War es vielleicht zu spät, als die Römer nach dem Muster der
gestrandeten punischen Triere ihre Flotte bauten? Kam etwa Cromwell mit
seiner Navigationsakte, die die Handelsschiffahrt des seemächtigen Hollands
vernichtete, xost, tsstum? Nur der Erfolg ist maßgebend, das läßt sich an
Hunderten von Beispielen zeigen; Maßregeln aber, die zum Erfolge führen
sollen, g> priori zurückzuweisen, weil sie doch xost, tsstuiu kämen, das thun nur
altersschwache Menschen. Das ist eine Kleinmütigkeit, die wir minderwertigen


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[0255] Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage mit diesem Lande gleichen Schritt im Flottenbau zu halten, umso mehr als Japans Gewerbthätigkeit im Laufe der kommenden Jahrzehnte uns in einen sehr gefährlichen wirtschaftlichen Wettkampf mit diesem braven und liebens¬ würdigen, aber auch energischen und rücksichtslosen Völkchen verwickeln wird. Die deutscheu Streichholzfabrikanten können schon jetzt ein Lied davon singen; in Japan hergestellte „Schweden" überschwemmen schon Australien und Süd¬ amerika. Mars giebt zu, „daß namentlich Völker, die die See beherrschten, großen Wohlstand erreicht haben," meint aber, das sei nicht das ideale Ziel staatlicher Entwicklung. Eine sonderbare Einschränkung! Die allgemeine Wohlfahrt ist doch unmöglich ohne Förderung des allgemeinen Wohlstands; auch die sittliche und geistige Hebung des Volkes setzt die Erhöhung seiner Erwerbsquellen voraus, auch Kirche und Schule bedürfen der Geldmittel, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die Geschichte lehrt auch, daß alle thatkräftigen Völker und Herrscher uach Vermehrung ihrer Besitztümer und damit nach Vergrößerung ihres Wohlstands strebten. Zugehen kann man, daß einzelne Völker auch ohne starke Flotte zur Blüte gelangt sind; aber Mars irrt sehr, wenn er Rom und Nußland dazu rechnen zu dürfen glaubt. Roms Glanzzeit begann erst, als Karthago zerstört war, als dem mächtigsten Handelsvolke der alten Welt nach schweren Kämpfen der Dreizack entrissen war. Und Rußland erwachte erst aus seiner barbarischen, kräftezersplitternden Bedeutungslosigkeit, als ihm Peter der Große die Flotte schuf. Die Osmanen mußten übers Meer, um Stambul zu gewinnen. So bleiben von den Reichen, die nach Mars ohne Flotte zur Blüte gelangt sind, nur Persien, China, die indischen Reiche und das Reich der Inkas übrig, von denen aber doch zu wenig sichres bekannt ist, als daß man sie als Muster von Landmächten aufführen könnte. Das deutsche Reich zur Zeit der Salier und Hohenstaufen aber war in der glücklichen Lage, daß es Boden im Überfluß für seine nach heutigen Begriffen sehr schwache Bevölkerung hatte. „Deutschland würde — meint Mars — gleichwie es mit der Erwerbung seines Kolonialbesitzes zu spät gekommen ist, auch mit der Schaffung einer großen Flotte, selbst wenn es dabei nicht, wie höchst wahrscheinlich, von den übrigen Seemächten wiederum übertroffen würde, xost es8wir>, kommen." Spät sind wir freilich mit der Erwerbung von Kolonien gekommen, aber doch durch¬ aus noch nicht zu spät. Was heißt denn überhaupt xost, l^wir, in der Geschichte? War es vielleicht zu spät, als die Römer nach dem Muster der gestrandeten punischen Triere ihre Flotte bauten? Kam etwa Cromwell mit seiner Navigationsakte, die die Handelsschiffahrt des seemächtigen Hollands vernichtete, xost, tsstum? Nur der Erfolg ist maßgebend, das läßt sich an Hunderten von Beispielen zeigen; Maßregeln aber, die zum Erfolge führen sollen, g> priori zurückzuweisen, weil sie doch xost, tsstuiu kämen, das thun nur altersschwache Menschen. Das ist eine Kleinmütigkeit, die wir minderwertigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/255>, abgerufen am 24.07.2024.