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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ästhetisches

Pflegen. Gegenüber einigen verhimmelnden Lobgesängen offiziell bestellter
Kunstgelehrten verdient diese feine Skizze eines Kollegen entschieden etwas
niedriger gehängt zu werden. Böcklin, meint Knille, pflegt als ehemaliger
Landschafter von einem Naturklang auszugehen und dazu angemessene Töne
zu suchen, er verfährt also auch impressionistisch, aber sein weiteres Verfahren
ist "unmodern." Denn er steht in der Tradition, versenkt sich in die Traum¬
welt vergangner Zeiten, und zwar mit der Reife gründlichster Küustlererfahrung.
"Sein Kolorit hat die vornehm feierlichen Akkorde italienischer Malerei, wirkt
wie Glockengeläute und befreit die Seele von Nichtigkeiten. Hierin liegt das
Bedeutsame dieses sonderbaren, doch keineswegs nur mit dem eignen Talent
zu messenden Meisters. Er hat der Sphinx mit Ehrfurcht gelauscht, und selbst
da, wo manche seiner Bilder uns an die Fopperei Pucks erinnern, möchten
wir Bedenken tragen, sie der Tombola eines Künstlermaskenfestes einzureihen,
für die so manches allerneueste Opus gemalt zu sein scheint." Auch "radirt,"
möchte man hinzufügen. Überhaupt möchte man gern noch so manche von
Kullich Beobachtungen glossiren, so z. B. möchten wir sagen, daß wir die
englischen Prärasfaeliten (Rosetti, Burne Jones usw.) lange nicht so ver-
ehrungswürdig finden, wie sie unsre Sammlungsvorstände und Kunsthändler
jetzt dem großen Publikum zu machen bemüht sind, daß wir aber in dem
einen Punkte wieder mit dem Verfasser übereinstimmen: besser als die deutschen
nachahmenden Erfinder (wenn zwei sich ausschließende Worte verbunden werden
dürfen) sind sie jedenfalls. Aber nun muß es genug sein. Wir geben dem
Buche die besten Wünsche mit auf seinen Weg und finden es außerdem nett,
daß es aus demselben Verlage hervorgegangen ist, der seine Gegner, die
Modernen, ins Leben zu geleiten pflegt, die "Genossenschaft Pan."

So mag sich denn auch hier das neueste Heft des "Pan" (II, 1896/97,
Ur. 4) friedlich anschließen, umso mehr, als die "Kunst" darin, d. h. die Dich¬
tungen sowohl wie die Kunstbeilagen, auf ein ganz ungefährliches Nichts zu¬
sammengeschrumpft ist, über das sich kein Wort mehr verlohnt: imponirtS
keinem, so thuts doch auch keinem mehr weh. Es scheint also ausgewebt und
ausgewirkt zu haben, obwohl es noch weiter gedruckt wird. Den übrigem und
allein zu betrachtenden Inhalt des Heftes bildet eine Reihe von Aufsätzen, die
mit dem Leben Hamburgs in Kunst und Litteratur zu thun haben: Hamburger
Privatsammlungen, Wandteppiche der Webschule zu Scherrebck, Vom Dilettan¬
tismus, Die Kunst und die Massen, Hamburg, und die uns ein sehr unter¬
haltendes und, wenn es zutreffend ist, auch erfreuliches Bild geben davon, wie
eine reiche Stadt in Kunst und Litteratur, da die Zeit des Großen vorbei ist,
sich das Kleine zum Besten dienen läßt. Früher sind, so wird uns erzählt,
Künstler von Hamburg aus auf die Akademien gezogen, und wenn sie zurück¬
gekehrt waren, haben sie den wenigsten Freude gemacht: die Baumeister bauten,
was nicht zu Hamburg paßte, die Maler malten, was man nicht kannte oder


Ästhetisches

Pflegen. Gegenüber einigen verhimmelnden Lobgesängen offiziell bestellter
Kunstgelehrten verdient diese feine Skizze eines Kollegen entschieden etwas
niedriger gehängt zu werden. Böcklin, meint Knille, pflegt als ehemaliger
Landschafter von einem Naturklang auszugehen und dazu angemessene Töne
zu suchen, er verfährt also auch impressionistisch, aber sein weiteres Verfahren
ist „unmodern." Denn er steht in der Tradition, versenkt sich in die Traum¬
welt vergangner Zeiten, und zwar mit der Reife gründlichster Küustlererfahrung.
„Sein Kolorit hat die vornehm feierlichen Akkorde italienischer Malerei, wirkt
wie Glockengeläute und befreit die Seele von Nichtigkeiten. Hierin liegt das
Bedeutsame dieses sonderbaren, doch keineswegs nur mit dem eignen Talent
zu messenden Meisters. Er hat der Sphinx mit Ehrfurcht gelauscht, und selbst
da, wo manche seiner Bilder uns an die Fopperei Pucks erinnern, möchten
wir Bedenken tragen, sie der Tombola eines Künstlermaskenfestes einzureihen,
für die so manches allerneueste Opus gemalt zu sein scheint." Auch „radirt,"
möchte man hinzufügen. Überhaupt möchte man gern noch so manche von
Kullich Beobachtungen glossiren, so z. B. möchten wir sagen, daß wir die
englischen Prärasfaeliten (Rosetti, Burne Jones usw.) lange nicht so ver-
ehrungswürdig finden, wie sie unsre Sammlungsvorstände und Kunsthändler
jetzt dem großen Publikum zu machen bemüht sind, daß wir aber in dem
einen Punkte wieder mit dem Verfasser übereinstimmen: besser als die deutschen
nachahmenden Erfinder (wenn zwei sich ausschließende Worte verbunden werden
dürfen) sind sie jedenfalls. Aber nun muß es genug sein. Wir geben dem
Buche die besten Wünsche mit auf seinen Weg und finden es außerdem nett,
daß es aus demselben Verlage hervorgegangen ist, der seine Gegner, die
Modernen, ins Leben zu geleiten pflegt, die „Genossenschaft Pan."

So mag sich denn auch hier das neueste Heft des „Pan" (II, 1896/97,
Ur. 4) friedlich anschließen, umso mehr, als die „Kunst" darin, d. h. die Dich¬
tungen sowohl wie die Kunstbeilagen, auf ein ganz ungefährliches Nichts zu¬
sammengeschrumpft ist, über das sich kein Wort mehr verlohnt: imponirtS
keinem, so thuts doch auch keinem mehr weh. Es scheint also ausgewebt und
ausgewirkt zu haben, obwohl es noch weiter gedruckt wird. Den übrigem und
allein zu betrachtenden Inhalt des Heftes bildet eine Reihe von Aufsätzen, die
mit dem Leben Hamburgs in Kunst und Litteratur zu thun haben: Hamburger
Privatsammlungen, Wandteppiche der Webschule zu Scherrebck, Vom Dilettan¬
tismus, Die Kunst und die Massen, Hamburg, und die uns ein sehr unter¬
haltendes und, wenn es zutreffend ist, auch erfreuliches Bild geben davon, wie
eine reiche Stadt in Kunst und Litteratur, da die Zeit des Großen vorbei ist,
sich das Kleine zum Besten dienen läßt. Früher sind, so wird uns erzählt,
Künstler von Hamburg aus auf die Akademien gezogen, und wenn sie zurück¬
gekehrt waren, haben sie den wenigsten Freude gemacht: die Baumeister bauten,
was nicht zu Hamburg paßte, die Maler malten, was man nicht kannte oder


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[0191] Ästhetisches Pflegen. Gegenüber einigen verhimmelnden Lobgesängen offiziell bestellter Kunstgelehrten verdient diese feine Skizze eines Kollegen entschieden etwas niedriger gehängt zu werden. Böcklin, meint Knille, pflegt als ehemaliger Landschafter von einem Naturklang auszugehen und dazu angemessene Töne zu suchen, er verfährt also auch impressionistisch, aber sein weiteres Verfahren ist „unmodern." Denn er steht in der Tradition, versenkt sich in die Traum¬ welt vergangner Zeiten, und zwar mit der Reife gründlichster Küustlererfahrung. „Sein Kolorit hat die vornehm feierlichen Akkorde italienischer Malerei, wirkt wie Glockengeläute und befreit die Seele von Nichtigkeiten. Hierin liegt das Bedeutsame dieses sonderbaren, doch keineswegs nur mit dem eignen Talent zu messenden Meisters. Er hat der Sphinx mit Ehrfurcht gelauscht, und selbst da, wo manche seiner Bilder uns an die Fopperei Pucks erinnern, möchten wir Bedenken tragen, sie der Tombola eines Künstlermaskenfestes einzureihen, für die so manches allerneueste Opus gemalt zu sein scheint." Auch „radirt," möchte man hinzufügen. Überhaupt möchte man gern noch so manche von Kullich Beobachtungen glossiren, so z. B. möchten wir sagen, daß wir die englischen Prärasfaeliten (Rosetti, Burne Jones usw.) lange nicht so ver- ehrungswürdig finden, wie sie unsre Sammlungsvorstände und Kunsthändler jetzt dem großen Publikum zu machen bemüht sind, daß wir aber in dem einen Punkte wieder mit dem Verfasser übereinstimmen: besser als die deutschen nachahmenden Erfinder (wenn zwei sich ausschließende Worte verbunden werden dürfen) sind sie jedenfalls. Aber nun muß es genug sein. Wir geben dem Buche die besten Wünsche mit auf seinen Weg und finden es außerdem nett, daß es aus demselben Verlage hervorgegangen ist, der seine Gegner, die Modernen, ins Leben zu geleiten pflegt, die „Genossenschaft Pan." So mag sich denn auch hier das neueste Heft des „Pan" (II, 1896/97, Ur. 4) friedlich anschließen, umso mehr, als die „Kunst" darin, d. h. die Dich¬ tungen sowohl wie die Kunstbeilagen, auf ein ganz ungefährliches Nichts zu¬ sammengeschrumpft ist, über das sich kein Wort mehr verlohnt: imponirtS keinem, so thuts doch auch keinem mehr weh. Es scheint also ausgewebt und ausgewirkt zu haben, obwohl es noch weiter gedruckt wird. Den übrigem und allein zu betrachtenden Inhalt des Heftes bildet eine Reihe von Aufsätzen, die mit dem Leben Hamburgs in Kunst und Litteratur zu thun haben: Hamburger Privatsammlungen, Wandteppiche der Webschule zu Scherrebck, Vom Dilettan¬ tismus, Die Kunst und die Massen, Hamburg, und die uns ein sehr unter¬ haltendes und, wenn es zutreffend ist, auch erfreuliches Bild geben davon, wie eine reiche Stadt in Kunst und Litteratur, da die Zeit des Großen vorbei ist, sich das Kleine zum Besten dienen läßt. Früher sind, so wird uns erzählt, Künstler von Hamburg aus auf die Akademien gezogen, und wenn sie zurück¬ gekehrt waren, haben sie den wenigsten Freude gemacht: die Baumeister bauten, was nicht zu Hamburg paßte, die Maler malten, was man nicht kannte oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/191>, abgerufen am 29.12.2024.