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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Neue Beweise für den landwirtschaftlichen Notstand

Standes- und Berufsgenossen in Mitleidenschaft gezogen wird. Oft sind sich
wohl auch die Plänkler selbst nicht ganz klar darüber, wohin der Vorstoß, den
sie einleiten helfen, am Ende führen soll, auch die agrarischen Plänkler nicht,
die dem utopischen Rückschritt, dem Umsturz der Wirtschaftsordnung im Sinne
Oldenbergs, die Wege bahnen.

Der Verfasser sagt, wenn trotz der fortschreitenden Entwicklung und der
großartigen Erfolge im landwirtschaftlichen Betriebe und ungeachtet der er¬
höhten Intelligenz und der vermehrten Aufwendung von Arbeit und Kapital
die materielle Lage der Landwirte heute ungemein gedrückt und schwierig, die
Verzinsung des in der Landwirtschaft thätigen Kapitals so niedrig sei, "daß
von einer Rente in den meisten Wirtschaften nicht mehr die Rede ist," so lägen
die Ursachen dieses Notstands und die Möglichkeit zu ihrer Beseitigung zum
größten Teil außerhalb des Machtbereichs des praktischen Landwirth. Durch¬
greifende wirtschaftliche Maßregeln, durch die sich der Landwirt selbst aus der
schlimmen Lage befreien könnte, gebe es nicht. Der Ruf nach staatlicher Hilfe
sei daher begründet und umso gerechtfertigter, wenn die deutschen Landwirte,
wie bisher, bestrebt seien, mit aller Kraft den errungnen hohen wirtschaftlichen
Standpunkt zu behaupten und nach Möglichkeit zu vervollkommnen. Mit Hilfe
des Staats müßten sie in den Stand gesetzt werden, auch in Zukunft in privat-
und volkswirtschaftlichen Interesse zu nützen, damit das Ziel: ein Zusammen¬
gehen beider Interessen auch fernerhin zu ermöglichen, erreicht werde.

Veranlassung zur Erörterung der Frage, wie sich die Rente in den letzten
Jahren gestaltet habe, hat dem Verfasser der Umstand gegeben, daß selbst heute
noch gewisse -- freilich wenig einsichtige -- Kreise ein Darniederliegen der
Landwirtschaft überhaupt leugnen, andre aber in neuerer Zeit nachdrücklich be¬
haupten, die durch Boden, Klima, Absatzverhültnisse bevorzugten Gegenden
unsers deutschen Vaterlands hätten durch die Ungunst der wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse gar nicht oder kaum fühlbar zu leiden, eine Notlage bestehe nur in
den weniger begünstigten Gegenden. Zuzugeben sei allerdings, daß in den
bevorzugten Teilen Deutschlands, so im Herzogtum Anhalt, in Braunschweig,
den Provinzen Sachsen und Hannover u. a., ein eigentlicher Notstand nicht
herrsche, doch gelte das keineswegs allgemein, sondern innerhalb der gedachten
Gebiete nur für die besten Lagen. Ganz spurlos seien aber die letzten zehn
Jahre auch an diesen nicht vorüber gegangen.

Wir haben niemals verstanden, wie jemand behaupten kann, daß die
niedrigen Getreidepreise bei erhöhten Erzeugungsunkosten, namentlich Löhnen,
keine geschäftliche Einbuße für die Landwirte bedeuteten, haben aber auch in
der Güte des Bodens oder der "Lage" niemals ein Schutzmittel dagegen ge¬
sehen. Wir wissen nicht, ob in unfruchtbaren Gegenden die Landwirte die
Güterpreise und die Pachtschillinge noch mehr zu unverständiger Höhe hinauf¬
getrieben haben als in fruchtbaren Bezirken, aber das wissen wir aus eigner


Neue Beweise für den landwirtschaftlichen Notstand

Standes- und Berufsgenossen in Mitleidenschaft gezogen wird. Oft sind sich
wohl auch die Plänkler selbst nicht ganz klar darüber, wohin der Vorstoß, den
sie einleiten helfen, am Ende führen soll, auch die agrarischen Plänkler nicht,
die dem utopischen Rückschritt, dem Umsturz der Wirtschaftsordnung im Sinne
Oldenbergs, die Wege bahnen.

Der Verfasser sagt, wenn trotz der fortschreitenden Entwicklung und der
großartigen Erfolge im landwirtschaftlichen Betriebe und ungeachtet der er¬
höhten Intelligenz und der vermehrten Aufwendung von Arbeit und Kapital
die materielle Lage der Landwirte heute ungemein gedrückt und schwierig, die
Verzinsung des in der Landwirtschaft thätigen Kapitals so niedrig sei, „daß
von einer Rente in den meisten Wirtschaften nicht mehr die Rede ist," so lägen
die Ursachen dieses Notstands und die Möglichkeit zu ihrer Beseitigung zum
größten Teil außerhalb des Machtbereichs des praktischen Landwirth. Durch¬
greifende wirtschaftliche Maßregeln, durch die sich der Landwirt selbst aus der
schlimmen Lage befreien könnte, gebe es nicht. Der Ruf nach staatlicher Hilfe
sei daher begründet und umso gerechtfertigter, wenn die deutschen Landwirte,
wie bisher, bestrebt seien, mit aller Kraft den errungnen hohen wirtschaftlichen
Standpunkt zu behaupten und nach Möglichkeit zu vervollkommnen. Mit Hilfe
des Staats müßten sie in den Stand gesetzt werden, auch in Zukunft in privat-
und volkswirtschaftlichen Interesse zu nützen, damit das Ziel: ein Zusammen¬
gehen beider Interessen auch fernerhin zu ermöglichen, erreicht werde.

Veranlassung zur Erörterung der Frage, wie sich die Rente in den letzten
Jahren gestaltet habe, hat dem Verfasser der Umstand gegeben, daß selbst heute
noch gewisse — freilich wenig einsichtige — Kreise ein Darniederliegen der
Landwirtschaft überhaupt leugnen, andre aber in neuerer Zeit nachdrücklich be¬
haupten, die durch Boden, Klima, Absatzverhültnisse bevorzugten Gegenden
unsers deutschen Vaterlands hätten durch die Ungunst der wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse gar nicht oder kaum fühlbar zu leiden, eine Notlage bestehe nur in
den weniger begünstigten Gegenden. Zuzugeben sei allerdings, daß in den
bevorzugten Teilen Deutschlands, so im Herzogtum Anhalt, in Braunschweig,
den Provinzen Sachsen und Hannover u. a., ein eigentlicher Notstand nicht
herrsche, doch gelte das keineswegs allgemein, sondern innerhalb der gedachten
Gebiete nur für die besten Lagen. Ganz spurlos seien aber die letzten zehn
Jahre auch an diesen nicht vorüber gegangen.

Wir haben niemals verstanden, wie jemand behaupten kann, daß die
niedrigen Getreidepreise bei erhöhten Erzeugungsunkosten, namentlich Löhnen,
keine geschäftliche Einbuße für die Landwirte bedeuteten, haben aber auch in
der Güte des Bodens oder der „Lage" niemals ein Schutzmittel dagegen ge¬
sehen. Wir wissen nicht, ob in unfruchtbaren Gegenden die Landwirte die
Güterpreise und die Pachtschillinge noch mehr zu unverständiger Höhe hinauf¬
getrieben haben als in fruchtbaren Bezirken, aber das wissen wir aus eigner


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[0154] Neue Beweise für den landwirtschaftlichen Notstand Standes- und Berufsgenossen in Mitleidenschaft gezogen wird. Oft sind sich wohl auch die Plänkler selbst nicht ganz klar darüber, wohin der Vorstoß, den sie einleiten helfen, am Ende führen soll, auch die agrarischen Plänkler nicht, die dem utopischen Rückschritt, dem Umsturz der Wirtschaftsordnung im Sinne Oldenbergs, die Wege bahnen. Der Verfasser sagt, wenn trotz der fortschreitenden Entwicklung und der großartigen Erfolge im landwirtschaftlichen Betriebe und ungeachtet der er¬ höhten Intelligenz und der vermehrten Aufwendung von Arbeit und Kapital die materielle Lage der Landwirte heute ungemein gedrückt und schwierig, die Verzinsung des in der Landwirtschaft thätigen Kapitals so niedrig sei, „daß von einer Rente in den meisten Wirtschaften nicht mehr die Rede ist," so lägen die Ursachen dieses Notstands und die Möglichkeit zu ihrer Beseitigung zum größten Teil außerhalb des Machtbereichs des praktischen Landwirth. Durch¬ greifende wirtschaftliche Maßregeln, durch die sich der Landwirt selbst aus der schlimmen Lage befreien könnte, gebe es nicht. Der Ruf nach staatlicher Hilfe sei daher begründet und umso gerechtfertigter, wenn die deutschen Landwirte, wie bisher, bestrebt seien, mit aller Kraft den errungnen hohen wirtschaftlichen Standpunkt zu behaupten und nach Möglichkeit zu vervollkommnen. Mit Hilfe des Staats müßten sie in den Stand gesetzt werden, auch in Zukunft in privat- und volkswirtschaftlichen Interesse zu nützen, damit das Ziel: ein Zusammen¬ gehen beider Interessen auch fernerhin zu ermöglichen, erreicht werde. Veranlassung zur Erörterung der Frage, wie sich die Rente in den letzten Jahren gestaltet habe, hat dem Verfasser der Umstand gegeben, daß selbst heute noch gewisse — freilich wenig einsichtige — Kreise ein Darniederliegen der Landwirtschaft überhaupt leugnen, andre aber in neuerer Zeit nachdrücklich be¬ haupten, die durch Boden, Klima, Absatzverhültnisse bevorzugten Gegenden unsers deutschen Vaterlands hätten durch die Ungunst der wirtschaftlichen Ver¬ hältnisse gar nicht oder kaum fühlbar zu leiden, eine Notlage bestehe nur in den weniger begünstigten Gegenden. Zuzugeben sei allerdings, daß in den bevorzugten Teilen Deutschlands, so im Herzogtum Anhalt, in Braunschweig, den Provinzen Sachsen und Hannover u. a., ein eigentlicher Notstand nicht herrsche, doch gelte das keineswegs allgemein, sondern innerhalb der gedachten Gebiete nur für die besten Lagen. Ganz spurlos seien aber die letzten zehn Jahre auch an diesen nicht vorüber gegangen. Wir haben niemals verstanden, wie jemand behaupten kann, daß die niedrigen Getreidepreise bei erhöhten Erzeugungsunkosten, namentlich Löhnen, keine geschäftliche Einbuße für die Landwirte bedeuteten, haben aber auch in der Güte des Bodens oder der „Lage" niemals ein Schutzmittel dagegen ge¬ sehen. Wir wissen nicht, ob in unfruchtbaren Gegenden die Landwirte die Güterpreise und die Pachtschillinge noch mehr zu unverständiger Höhe hinauf¬ getrieben haben als in fruchtbaren Bezirken, aber das wissen wir aus eigner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/154>, abgerufen am 24.07.2024.