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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Dichter und Kritiker

und hoffen, daß das Publikum so einfältig sein werde, sie ihnen als fertige
Ware abzunehmen. Nicht viel anders steht es doch auch mit diesem Almanach.
Man kann ihn als eine Art Proben- oder Musterkatalog ansehen, wonach
mancher dieser Fabrikanten bei ernstlichem Bemühen auch wohl etwas ordent¬
liches würde schaffen können. Aber mit dieser Anerkennung sind die Aussteller
nicht zufrieden, sie wollen als wirkliche Dichter behandelt sein und geben ihren
Anspruch in einer Weise kund, daß man es für Scherz halten würde, wenn
es sich nicht so bitter ernst, so bissig und hochmütig äußerte.

Im Märchen und in der Kinderphantasie gehen die Könige mit Krone
und Szepter einher, und auf den Postamenten der Denkmäler stehen die Dichter
ohne eine Erinnerung daran, daß sie im Leben auch noch etwas andres waren
als Dichter. Wer die wirkliche Welt kennt, weiß, daß sie ein gutes Stück
von der materiellen Schwere dieser Welt zu tragen hatten und es meistens
sogar mit den Pflichten, die ihnen daraus erwuchsen, sehr ernst nahmen.
Sollte man sich nicht wieder in das Kindheitsalter zurückversetzt glauben,
wenn man steht, wie die Teilnehmer an diesem Musenalmanach in allen mög¬
lichen Tonarten ihren eignen Dichterruhm und ihre Dichterhöhe besingen, stolz
darauf sind, daß sie nichts weiter thun als dichten, und daß sie solche köstliche
Gabe dem nichtdichtenden Volke gewähren, wenn man ferner liest, wie sie ihren
Kollegen, die sich eine regelmäßige Arbeit bei der Presse, am Theater usw.
gesucht haben, das als unwürdigen Abfall von einer hohen Sache vorwerfen?
Und doch thaten diese allein das richtige, wenn sie nicht reich genug waren,
ohne Beruf zu leben, daß sie sich zur rechten Zeit sagten, daß von dieser Art
Dichtung kein Mensch leben kann. Oder ist das Ganze nur konventionelle
Spiegelfechterei, und haben die Herren vom Musenalmanach so gut wie alle
andern ihre Tagesarbeit, halten es aber für vornehm oder für unpoetisch,
davon zu reden?

Zufällig kam mir kürzlich ein Buch in die Hand, das allen diesen Dichtern
nicht dringend genug zu lesen empfohlen werden kann. Es behandelt die Her¬
stellung der Bücher, von dem ersten Gedanken an ein Thema an bis zu der
Ausgabe und zum geschäftlichen Vertrieb, die Erwartungen und Enttäuschungen
der Autoren, die Aussichten der Verleger und die Stellung des lesenden Publi¬
kums. In seiner klaren und scharfen Erfassung aller realen Verhältnisse, auf
denen das luftige Gewerbe der Schriftstellerei beruht, ist es vorzüglich geeignet,
voreilige Liebhaber des Musenrosfes, solange es noch Zeit ist, über die wirk¬
lichen Eigenschaften des gefährlichen Flügeltiers aufzuklären. Es heißt: I/art,
ä'sorirs AQ livre, cke l'iinxriuiör et as 1s xuvlier (Paris, H. Welter)
und ist ein Buch, wie es, glaube ich, nur in Frankreich geschrieben werden
kann. Sein Verfasser, Eugöne Mouton, ist ein schon älterer Schriftsteller
in sehr ernsthaften Fächern. Er ist Kriminalist, daneben aber Romanschreiber
und Dichter. Er hat Erfolge gehabt und kennt sein Geschäft aus dem Grunde,


Dichter und Kritiker

und hoffen, daß das Publikum so einfältig sein werde, sie ihnen als fertige
Ware abzunehmen. Nicht viel anders steht es doch auch mit diesem Almanach.
Man kann ihn als eine Art Proben- oder Musterkatalog ansehen, wonach
mancher dieser Fabrikanten bei ernstlichem Bemühen auch wohl etwas ordent¬
liches würde schaffen können. Aber mit dieser Anerkennung sind die Aussteller
nicht zufrieden, sie wollen als wirkliche Dichter behandelt sein und geben ihren
Anspruch in einer Weise kund, daß man es für Scherz halten würde, wenn
es sich nicht so bitter ernst, so bissig und hochmütig äußerte.

Im Märchen und in der Kinderphantasie gehen die Könige mit Krone
und Szepter einher, und auf den Postamenten der Denkmäler stehen die Dichter
ohne eine Erinnerung daran, daß sie im Leben auch noch etwas andres waren
als Dichter. Wer die wirkliche Welt kennt, weiß, daß sie ein gutes Stück
von der materiellen Schwere dieser Welt zu tragen hatten und es meistens
sogar mit den Pflichten, die ihnen daraus erwuchsen, sehr ernst nahmen.
Sollte man sich nicht wieder in das Kindheitsalter zurückversetzt glauben,
wenn man steht, wie die Teilnehmer an diesem Musenalmanach in allen mög¬
lichen Tonarten ihren eignen Dichterruhm und ihre Dichterhöhe besingen, stolz
darauf sind, daß sie nichts weiter thun als dichten, und daß sie solche köstliche
Gabe dem nichtdichtenden Volke gewähren, wenn man ferner liest, wie sie ihren
Kollegen, die sich eine regelmäßige Arbeit bei der Presse, am Theater usw.
gesucht haben, das als unwürdigen Abfall von einer hohen Sache vorwerfen?
Und doch thaten diese allein das richtige, wenn sie nicht reich genug waren,
ohne Beruf zu leben, daß sie sich zur rechten Zeit sagten, daß von dieser Art
Dichtung kein Mensch leben kann. Oder ist das Ganze nur konventionelle
Spiegelfechterei, und haben die Herren vom Musenalmanach so gut wie alle
andern ihre Tagesarbeit, halten es aber für vornehm oder für unpoetisch,
davon zu reden?

Zufällig kam mir kürzlich ein Buch in die Hand, das allen diesen Dichtern
nicht dringend genug zu lesen empfohlen werden kann. Es behandelt die Her¬
stellung der Bücher, von dem ersten Gedanken an ein Thema an bis zu der
Ausgabe und zum geschäftlichen Vertrieb, die Erwartungen und Enttäuschungen
der Autoren, die Aussichten der Verleger und die Stellung des lesenden Publi¬
kums. In seiner klaren und scharfen Erfassung aller realen Verhältnisse, auf
denen das luftige Gewerbe der Schriftstellerei beruht, ist es vorzüglich geeignet,
voreilige Liebhaber des Musenrosfes, solange es noch Zeit ist, über die wirk¬
lichen Eigenschaften des gefährlichen Flügeltiers aufzuklären. Es heißt: I/art,
ä'sorirs AQ livre, cke l'iinxriuiör et as 1s xuvlier (Paris, H. Welter)
und ist ein Buch, wie es, glaube ich, nur in Frankreich geschrieben werden
kann. Sein Verfasser, Eugöne Mouton, ist ein schon älterer Schriftsteller
in sehr ernsthaften Fächern. Er ist Kriminalist, daneben aber Romanschreiber
und Dichter. Er hat Erfolge gehabt und kennt sein Geschäft aus dem Grunde,


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[0147] Dichter und Kritiker und hoffen, daß das Publikum so einfältig sein werde, sie ihnen als fertige Ware abzunehmen. Nicht viel anders steht es doch auch mit diesem Almanach. Man kann ihn als eine Art Proben- oder Musterkatalog ansehen, wonach mancher dieser Fabrikanten bei ernstlichem Bemühen auch wohl etwas ordent¬ liches würde schaffen können. Aber mit dieser Anerkennung sind die Aussteller nicht zufrieden, sie wollen als wirkliche Dichter behandelt sein und geben ihren Anspruch in einer Weise kund, daß man es für Scherz halten würde, wenn es sich nicht so bitter ernst, so bissig und hochmütig äußerte. Im Märchen und in der Kinderphantasie gehen die Könige mit Krone und Szepter einher, und auf den Postamenten der Denkmäler stehen die Dichter ohne eine Erinnerung daran, daß sie im Leben auch noch etwas andres waren als Dichter. Wer die wirkliche Welt kennt, weiß, daß sie ein gutes Stück von der materiellen Schwere dieser Welt zu tragen hatten und es meistens sogar mit den Pflichten, die ihnen daraus erwuchsen, sehr ernst nahmen. Sollte man sich nicht wieder in das Kindheitsalter zurückversetzt glauben, wenn man steht, wie die Teilnehmer an diesem Musenalmanach in allen mög¬ lichen Tonarten ihren eignen Dichterruhm und ihre Dichterhöhe besingen, stolz darauf sind, daß sie nichts weiter thun als dichten, und daß sie solche köstliche Gabe dem nichtdichtenden Volke gewähren, wenn man ferner liest, wie sie ihren Kollegen, die sich eine regelmäßige Arbeit bei der Presse, am Theater usw. gesucht haben, das als unwürdigen Abfall von einer hohen Sache vorwerfen? Und doch thaten diese allein das richtige, wenn sie nicht reich genug waren, ohne Beruf zu leben, daß sie sich zur rechten Zeit sagten, daß von dieser Art Dichtung kein Mensch leben kann. Oder ist das Ganze nur konventionelle Spiegelfechterei, und haben die Herren vom Musenalmanach so gut wie alle andern ihre Tagesarbeit, halten es aber für vornehm oder für unpoetisch, davon zu reden? Zufällig kam mir kürzlich ein Buch in die Hand, das allen diesen Dichtern nicht dringend genug zu lesen empfohlen werden kann. Es behandelt die Her¬ stellung der Bücher, von dem ersten Gedanken an ein Thema an bis zu der Ausgabe und zum geschäftlichen Vertrieb, die Erwartungen und Enttäuschungen der Autoren, die Aussichten der Verleger und die Stellung des lesenden Publi¬ kums. In seiner klaren und scharfen Erfassung aller realen Verhältnisse, auf denen das luftige Gewerbe der Schriftstellerei beruht, ist es vorzüglich geeignet, voreilige Liebhaber des Musenrosfes, solange es noch Zeit ist, über die wirk¬ lichen Eigenschaften des gefährlichen Flügeltiers aufzuklären. Es heißt: I/art, ä'sorirs AQ livre, cke l'iinxriuiör et as 1s xuvlier (Paris, H. Welter) und ist ein Buch, wie es, glaube ich, nur in Frankreich geschrieben werden kann. Sein Verfasser, Eugöne Mouton, ist ein schon älterer Schriftsteller in sehr ernsthaften Fächern. Er ist Kriminalist, daneben aber Romanschreiber und Dichter. Er hat Erfolge gehabt und kennt sein Geschäft aus dem Grunde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/147>, abgerufen am 24.07.2024.