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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zu den diesjährigen Kaisermanövern

dort anders, die militärische Überlieferung ist kaum vom Vater auf den Sohn
übergegangen, dagegen leben noch zu viele Leute, deren Wertschätzung des
Soldaten aus den Zeiten stammt, wo nur der arme Teufel und der Thunichtgut
in die Uniform gesteckt wurde, der Wohlhabende sich loskaufte und der Ge¬
bildete von selbst frei kam. Man ersieht auch hieraus, wie wenig in Baiern
der Boden für die Saat des nationalen Gedankens vorbereitet war. In den
schwäbischen und fränkischen Lnndesteilen, die erst später an Altbaiern gekommen
sind, steht es bedeutend besser. Man ist zwar auch ganz gut bairisch gesinnt,
aber die Erinnerungen an Kaiser und Reich sind noch vorhanden, und für den
eigentlich altbairischen Partikularismus sehlt das Verständnis. Durchaus
reichstreu sind die Pfälzer, obgleich sie sich auch ganz als Baiern fühlen. Ein
Blick auf die Reichstagswahlkarte lehrt hierüber mehr, als alle weitern Aus¬
führungen vermöchten.

Wer freilich die öffentliche Meinung nach den Zeitungen bemißt, der
könnte nun nach einem gewissen landesüblichen, aber anderswo nicht mehr
gebräuchlichen Ton auf den Gedanken kommen, daß innerhalb der blauweißen
Grenzpfähle Kaiser und Reich ausgespielt hätten. Das ist aber keineswegs
der Fall, und eine eigentliche Feindseligkeit dagegen ist nirgends vorhanden.
Wenn man die Leute nur darüber aufklären wollte, würden sie, auch in Alt¬
baiern, ganz zufrieden sein. Aber es giebt zu viele, die ein Interesse am
Gegenteil haben. Dazu gehört zunächst ein großer und einflußreicher Teil des
Klerus, der es nun einmal mit Schmerzen empfindet, daß sich der Schwerpunkt
Deutschlands nach dem protestantischen Norden verschoben hat. Dann bearbeitet
die Demokratie namentlich das besitzende Bürgertum und redet ihm ein, das
Reich sei schuld an den hohen Steuern und Armeekosten, und sie findet bei
der herrschenden Nichtachtung des Militärs ein offnes Ohr. Klerikale, Parti-
kularisten und Demokraten aller Schattirungen arbeiten Hand in Hand, indem
sie den Bürger an der empfindlichsten Seite, am Geldbeutel, fassen. Man
braucht aber die Sache nicht zu tragisch zu nehmen, und es ist unbedingt
ein Fehler, wenn es nicht auf geflissentliche Erweiterung des Zwiespalts be¬
rechnet ist, daß norddeutsche Blätter mitunter über gewisse bairische Pre߬
erzeugnisse herfahren. Dergleichen ist als landesübliche Eigentümlichkeit auf¬
zufassen, und es braucht niemand zu glauben, daß solche Leute das Land hinter
sich Hütten. Kein vernünftiger Mensch ist mit der Gesinnung und Haltung
dieser vermeintlichen Stimmführer einverstanden, und Dr. Sigls "Vaterland"
wird von niemand ernst genommen. Man bemißt ja die Stimmung im Norden
auch nicht nach dem Ton der sozialdemokratischen Blätter.

Vor einem Jahrzehnt war die Lage allerdings noch bedenklicher, denn bei
dem bekannten mehr als kühlen Verhältnis zwischen Berlin und München
hatten reichsfeindliche Strömungen Oberwasser. In den obern Kreisen herrschte
eine große Empfindlichkeit. In frischer Erinnerung ist ja noch die scharfe


Zu den diesjährigen Kaisermanövern

dort anders, die militärische Überlieferung ist kaum vom Vater auf den Sohn
übergegangen, dagegen leben noch zu viele Leute, deren Wertschätzung des
Soldaten aus den Zeiten stammt, wo nur der arme Teufel und der Thunichtgut
in die Uniform gesteckt wurde, der Wohlhabende sich loskaufte und der Ge¬
bildete von selbst frei kam. Man ersieht auch hieraus, wie wenig in Baiern
der Boden für die Saat des nationalen Gedankens vorbereitet war. In den
schwäbischen und fränkischen Lnndesteilen, die erst später an Altbaiern gekommen
sind, steht es bedeutend besser. Man ist zwar auch ganz gut bairisch gesinnt,
aber die Erinnerungen an Kaiser und Reich sind noch vorhanden, und für den
eigentlich altbairischen Partikularismus sehlt das Verständnis. Durchaus
reichstreu sind die Pfälzer, obgleich sie sich auch ganz als Baiern fühlen. Ein
Blick auf die Reichstagswahlkarte lehrt hierüber mehr, als alle weitern Aus¬
führungen vermöchten.

Wer freilich die öffentliche Meinung nach den Zeitungen bemißt, der
könnte nun nach einem gewissen landesüblichen, aber anderswo nicht mehr
gebräuchlichen Ton auf den Gedanken kommen, daß innerhalb der blauweißen
Grenzpfähle Kaiser und Reich ausgespielt hätten. Das ist aber keineswegs
der Fall, und eine eigentliche Feindseligkeit dagegen ist nirgends vorhanden.
Wenn man die Leute nur darüber aufklären wollte, würden sie, auch in Alt¬
baiern, ganz zufrieden sein. Aber es giebt zu viele, die ein Interesse am
Gegenteil haben. Dazu gehört zunächst ein großer und einflußreicher Teil des
Klerus, der es nun einmal mit Schmerzen empfindet, daß sich der Schwerpunkt
Deutschlands nach dem protestantischen Norden verschoben hat. Dann bearbeitet
die Demokratie namentlich das besitzende Bürgertum und redet ihm ein, das
Reich sei schuld an den hohen Steuern und Armeekosten, und sie findet bei
der herrschenden Nichtachtung des Militärs ein offnes Ohr. Klerikale, Parti-
kularisten und Demokraten aller Schattirungen arbeiten Hand in Hand, indem
sie den Bürger an der empfindlichsten Seite, am Geldbeutel, fassen. Man
braucht aber die Sache nicht zu tragisch zu nehmen, und es ist unbedingt
ein Fehler, wenn es nicht auf geflissentliche Erweiterung des Zwiespalts be¬
rechnet ist, daß norddeutsche Blätter mitunter über gewisse bairische Pre߬
erzeugnisse herfahren. Dergleichen ist als landesübliche Eigentümlichkeit auf¬
zufassen, und es braucht niemand zu glauben, daß solche Leute das Land hinter
sich Hütten. Kein vernünftiger Mensch ist mit der Gesinnung und Haltung
dieser vermeintlichen Stimmführer einverstanden, und Dr. Sigls „Vaterland"
wird von niemand ernst genommen. Man bemißt ja die Stimmung im Norden
auch nicht nach dem Ton der sozialdemokratischen Blätter.

Vor einem Jahrzehnt war die Lage allerdings noch bedenklicher, denn bei
dem bekannten mehr als kühlen Verhältnis zwischen Berlin und München
hatten reichsfeindliche Strömungen Oberwasser. In den obern Kreisen herrschte
eine große Empfindlichkeit. In frischer Erinnerung ist ja noch die scharfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/110>, abgerufen am 24.07.2024.