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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Personenwechsel in den Reichsämtern

der Himmel noch erhält. Daß Fürst Hohenlohe selbst den Botschafter
v. Bülow als den künftigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten in
Friedrichsruh gleichsam vorgestellt hat, ist jedenfalls von der größten, erfreu¬
lichsten Bedeutung, was nur ungesunder Pessimismus oder Mangel an Patrio¬
tismus bestreikn kann.

Das wird auch dadurch nicht hinfällig, daß man, wenn die Bismarcksche
Presse den Standpunkt Bismarcks zum Ausdruck bringt, zur Zeit auf sozial- und
wirtschaftspolitischen Gebiet einen Einfluß Bismarcks auf die Regierung nicht
wünschen kaun. Aber nach allem, was bekannt geworden ist, können wir auch
in dieser Richtung keinen Grund zu Befürchtungen entdecken. Der Ersatz des
Herrn v. Bötticher durch den Grafen Posadowski ist sicher nicht im Sinne
einer Wendung der Politik zum sozialen und wirtschaftlichen Rückschritt zu
deuten, wie er augenblicklich als Bismarcksches Programm ausgegeben wird.
Wir möchten die guten Dienste des Herrn v. Bötticher vor und nach 1890
nicht verkannt sehen. Es war schließlich nicht sein Fehler, daß kein Kanzler
da war, der ihn richtig zu benutzen wußte. Aber Herr v. Bötticher ist nicht
der Mann, der in der innern Reichspolitik wieder feste Überzeugungen und
Grundsätze zur Geltung bringen könnte, gerade er war am wenigsten geeignet,
den verfahrnen Wagen ins Gleise zu bringen, er, der Virtuose in der Art von
Politik, die man mit dem Ausdruck "Fortwursteln" zu bezeichnen pflegt. Wer
sich die Mühe giebt, etwas tiefer in die Maschinerie des zu gewaltigem Umfang
angeschwollnen Neichsamts des Innern hineinzusehen, der muß uns Recht
darin geben, daß es ohne ernstliche Schädigung des Gemeinwohls so nicht
mehr weiter gegangen wäre. Hier thun Reformen im großen Stil dringend
not, Reorganisationen an Haupt und Gliedern, damit nicht die Schablone,
der Büreaukrcitcn- und Subalternengeist unheilbar einreiße. Von Herrn
v. Bötticher die Lösung dieser Aufgaben zu hoffen, hatten wir und mit
uns sehr viele längst aufgehört. Ein persönlicher Vorwurf gegen ihn soll
damit nicht ausgesprochen sein. Jeder dient nach seinen Gaben, und kein
gerechter Beurteiler der Entwicklung unsrer Verhältnisse wird dem scheidenden
Staatssekretär des Innern große Gaben und große Dienste absprechen. Aber
den Aufgaben, die jetzt das Gemeinwohl gebieterisch stellt, entsprechen seine
Gaben nicht. Freilich wissen wir nicht, ob der in Aussicht genommne Ersatz¬
mann die heute unerläßlichen Gaben hat. aber wir haben auch keinerlei Anhalt,
das Gegenteil anzunehmen, und niemand hat. wie es scheint, einen Bessern
vorschlagen können. Die Staatsmänner sind eben heute weiße Sperlinge.

Aber vor allem sind uns heute auf dem Gebiete der innern Politik, dem
sozialen und wirtschaftlichen namentlich -- im Unterschiede von dem der aus¬
wärtigen, wo gerade jetzt nur unpraktische Raisonneure verlangen können, den
Schleier von den verfolgten Zielen gelüftet zu sehen --, die hinreichend bekundeten
Grundsätze des Kaisers selbst die Gewähr gegen den Sieg des Rückschritts. Es


Der Personenwechsel in den Reichsämtern

der Himmel noch erhält. Daß Fürst Hohenlohe selbst den Botschafter
v. Bülow als den künftigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten in
Friedrichsruh gleichsam vorgestellt hat, ist jedenfalls von der größten, erfreu¬
lichsten Bedeutung, was nur ungesunder Pessimismus oder Mangel an Patrio¬
tismus bestreikn kann.

Das wird auch dadurch nicht hinfällig, daß man, wenn die Bismarcksche
Presse den Standpunkt Bismarcks zum Ausdruck bringt, zur Zeit auf sozial- und
wirtschaftspolitischen Gebiet einen Einfluß Bismarcks auf die Regierung nicht
wünschen kaun. Aber nach allem, was bekannt geworden ist, können wir auch
in dieser Richtung keinen Grund zu Befürchtungen entdecken. Der Ersatz des
Herrn v. Bötticher durch den Grafen Posadowski ist sicher nicht im Sinne
einer Wendung der Politik zum sozialen und wirtschaftlichen Rückschritt zu
deuten, wie er augenblicklich als Bismarcksches Programm ausgegeben wird.
Wir möchten die guten Dienste des Herrn v. Bötticher vor und nach 1890
nicht verkannt sehen. Es war schließlich nicht sein Fehler, daß kein Kanzler
da war, der ihn richtig zu benutzen wußte. Aber Herr v. Bötticher ist nicht
der Mann, der in der innern Reichspolitik wieder feste Überzeugungen und
Grundsätze zur Geltung bringen könnte, gerade er war am wenigsten geeignet,
den verfahrnen Wagen ins Gleise zu bringen, er, der Virtuose in der Art von
Politik, die man mit dem Ausdruck „Fortwursteln" zu bezeichnen pflegt. Wer
sich die Mühe giebt, etwas tiefer in die Maschinerie des zu gewaltigem Umfang
angeschwollnen Neichsamts des Innern hineinzusehen, der muß uns Recht
darin geben, daß es ohne ernstliche Schädigung des Gemeinwohls so nicht
mehr weiter gegangen wäre. Hier thun Reformen im großen Stil dringend
not, Reorganisationen an Haupt und Gliedern, damit nicht die Schablone,
der Büreaukrcitcn- und Subalternengeist unheilbar einreiße. Von Herrn
v. Bötticher die Lösung dieser Aufgaben zu hoffen, hatten wir und mit
uns sehr viele längst aufgehört. Ein persönlicher Vorwurf gegen ihn soll
damit nicht ausgesprochen sein. Jeder dient nach seinen Gaben, und kein
gerechter Beurteiler der Entwicklung unsrer Verhältnisse wird dem scheidenden
Staatssekretär des Innern große Gaben und große Dienste absprechen. Aber
den Aufgaben, die jetzt das Gemeinwohl gebieterisch stellt, entsprechen seine
Gaben nicht. Freilich wissen wir nicht, ob der in Aussicht genommne Ersatz¬
mann die heute unerläßlichen Gaben hat. aber wir haben auch keinerlei Anhalt,
das Gegenteil anzunehmen, und niemand hat. wie es scheint, einen Bessern
vorschlagen können. Die Staatsmänner sind eben heute weiße Sperlinge.

Aber vor allem sind uns heute auf dem Gebiete der innern Politik, dem
sozialen und wirtschaftlichen namentlich — im Unterschiede von dem der aus¬
wärtigen, wo gerade jetzt nur unpraktische Raisonneure verlangen können, den
Schleier von den verfolgten Zielen gelüftet zu sehen —, die hinreichend bekundeten
Grundsätze des Kaisers selbst die Gewähr gegen den Sieg des Rückschritts. Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/11>, abgerufen am 28.12.2024.